Die Défi des Vosges findet bereits zum 16. Mal statt und bietet bei sehr guter Organisation und Verpflegung eine Strecke, die mit kurzen, knackigen Trails und vielen breiten, flach ansteigenden Waldwegen auch für Anfänger geeignet ist.
Vor allem der Zeitpunkt macht den Reiz dieser Veranstaltung aus, denn genau jetzt leuchten die erst wenige Tage alten Blätter der Laubbäume im schönsten Grün. Nach dem langen Grau des Winters wirkt ein Start in Niederbronn auch für uns Läufer wie eine Wiederbelebung, vor allem wenn der Himmel so makellos blau leuchtet wie heute. Burgruinen, blühende Sträucher und Obstbäume, markante Felsen und kleine Weiher ergänzen die Wohltat für die Seele.
Manchmal sind spontane Entscheidungen die besten. Eigentlich hätte ich heute arbeiten müssen. Eigentlich wollte ich im April zur Regeneration nur kürzere Trainingsstrecken laufen. Eigentlich wollte ich in diesem Jahr zur Abwechslung ausschließlich neue Wettkampfstrecken kennenlernen.
Aber der Wetterbericht lässt auf 12 Stunden Sonnenschein hoffen, ich fühle mich fit und die ideale Frühlingsstrecke in Niederbronn, wo ich bereits drei Mal gestartet bin, lockt mich so sehr, dass ich mich ganz kurzfristig erneut für einen Ausflug in die Vogesen entscheide. Als Karlsruher brauche ich mit dem Auto nur knapp über eine Stunde. Im Vergleich zu den meist sehr langen Anfahrtswegen meiner Trailtouren starte ich heute also fast vor der Haustür.
Vom auf der französischen Seite der Rheinebene gelegenen Niederbronn-les-Bains sieht man weder bei der Anfahrt noch beim Wettkampf viel, denn der Start ist oberhalb am Sportplatz. Die Heilkraft der regionalen Quellen wurde bereits von den Römern erkannt und vor über 2000 Jahren genutzt. Heute gibt es in der etwa 5000 Einwohnern zählenden Stadt ein Thermalbad, verschiedene Thermalquellen und eine große Mineralwasser-Abfüllanlage.
Auch wer kein Französisch versteht, kommt bei Laufveranstaltungen im Elsass ohne Probleme durch, allerdings darf man das ärztliche Attest nicht vergessen, das für alle Laufveranstaltungen in Frankreich erforderlich ist. Jedes Jahr starten hier viele Deutsche und ich freue mich, einige gute Bekannte zu treffen. Rückblickend kann ich sagen: Wenn ich daran denke, mit wie vielen deutschen Läufern ich unterwegs rede, kann ich kaum glauben, dass ich in Frankreich bin.
Die Teilnehmerzahlen steigen von Jahr zu Jahr. Der gute Ruf der Vosgirunners spricht sich herum. Bei der traditionellen Défi des Vosges (58 km / 2200 Höhenmeter) kommen heute 213 Finisher ans Ziel, gestern schafften 250 Finisher die Défi des Seigneurs (74 km / 2700 Hm), außerdem werden der schon seit Wochen ausgebuchte MAC VI (26 km /1100 Hm) und die Vosgigazelle (12 km / 300 Hm) ausgetragen. Für Seigneurs + MAC VI sowie Seigneurs + Vosges gibt es auch Kombinationswertungen.
Unter wolkenlosem Himmel versammeln wir uns auf dem Sportplatz. Die Chefs erzählen uns beim Briefing abwechselnd auf Französisch und Deutsch etwas über die Strecke, dann drehen wir um 8 Uhr eine Runde um den Platz und laufen schnell zum Waldrand. Schon kurz nach dem Start marschieren wir durch herrlich grünen Laubwald bergauf. Herrlich, endlich wieder grüne Blätter zu sehen! Und dazu der tiefblaue Himmel! So muss Frühling sein!
Am Anfang wechseln Auf- und Abstiege, leichte Trails und breite Wege recht häufig. Auf der rechten Seite blicken wir zur Rheinebene. Nach etwa einer Stunde erreichen wir den ersten richtigen Downhill-Trail, der von Anfängern Aufmerksamkeit fordert, mich aber mit viel Spaß bergab sausen lässt.
Unten bei Jaegerthal wird normalerweise der Schwarzbach zu einem kleinen See aufgestaut, doch heute ist der See trocken. Schon Anfang des 17. Jahrhunderts wurden hier mit Wasserrädern die Großhämmer einer Eisenschmiede betrieben. Doch mit der Aufgabe des Hochofens des Hüttenwerkes endete hier 1885 die Industriekultur. Übrig blieb eine Ruine, die umgeben von kleinen Fachwerkhäuser heute einen recht romantischen Anblick bietet.
Weiter geht es durch ein idyllisches Tal mit großer Wiese und blühenden Bäumen. Dann steigen wir durch den Wald auf, zwischendurch in einem engen Hohlweg. Wir kommen an Bunkern der 1930-1940 erbauten Ligne Maginot vorbei, die zeigen, dass der Wald nicht immer so friedlich war wie heute. Die zum Schutz der französischen Grenzen erbaute Kette von Bunkern und Festungen konnte aber insgesamt doch nicht den Ansturm deutscher Truppen verhindern.
Nun folgt ein langer Abschnitt mit nur leichter Steigung auf breiten Forstwegen. Nicht gerade anspruchsvoll, aber genau richtig, um bei dem Frühlingswetter dem Anblick des blauen Himmels, der grünen Bäume sowie der zwischen den Bäumen hindurch zu sehenden Bergrücken widmen zu können und dem Gezwitscher der Vögel zu lauschen.
Aber beim nächsten Downhill-Trail stößt man aber dann aber doch auf erhebliche Reste der Holzfällerei. Aber das sind für einen Trailer keine Hindernisse, sondern das Salz in der Suppe.
Défi heißt eigentlich Herausforderung, aber die Strecke nicht sehr schwer und, zumindest wenn man sie ohne Wettkampf-Ambitionen läuft, entspannte Freude und Genuss. Noch einige schöne und abwechslungsreiche Pfade, dann erreiche ich unterhalb Chateau du Vieux-Windstein (Alt-Windstein) die erste Verpflegungsstelle.
Diese Burg, von der wir aus unserer Perspektive kaum etwas sehen, wurde Anfang des 13. JH erstmals urkundlich erwähnt. 1332 wurde die Burg nach zehn Wochen Belagerung, bei der 80 Tunnelbauer, vier Wurfmaschinen und zwei mobile Schutzdächer eingesetzt wurden, erobert. Nach Wiederaufbau wurde sie im Dreißigjährigen Krieg und noch einmal 1677 zerstört.
Die drei Verpflegungsstellen auf unserer Strecke sind vielseitig bestückt. Es gibt Orangen, Rosinen, Bananen, getrocknete Aprikosen, kleine Salzbrezeln und salzige Kekse, Käse, Salami, Honigkuchen, Mars-Riegel und mehr.
Ein kurzer Aufstieg bringt uns zur im 13. JH erbauten und 1676 zerstörten Burg Neu-Windstein. Dies ist einer der fotogensten Punkte unserer Strecke, denn wir dürfen sogar durch die Ruine laufen. Hier sieht man nicht nur öde Mauern. An den Fenstern im ehemaligen Wohnturm erkennt man noch gut die neoromanische Gestaltung.
Nach einem rasanten Abstieg geht es wieder viele Kilometer weit auf meist recht flachen Wegen weiter. Wohin ich blicke - überall nur Natur! Die ganze Region wird von der UNESCO als grenzüberschreitendes Biosphärenreservat Nordvogesen / Pfälzerwald geschützt. Meist laufen wir durch lichten Laubwald, ab und zu zieren mächtige Kiefern den Weg. Der weiche Sandboden ist fast auf unserer gesamten Strecke ein sehr angenehmer Untergrund. Nach einem kraftzehrenden Aufstieg erreiche ich die mittelalterliche Höhenburganlage Wineck. Hier laufen wir direkt unter einem schönen Sandsteinfels vorbei und durchqueren dann ein altes Tor.
Ein sonniger Trail führt über einen Bergrücken, bald darauf geht es zu einer Straße, auf deren anderer Seite ein Seil hilft, die kleine Böschung zu überwinden. Bald steht die nächste Burg auf dem Programm. Schöneck, im 15. und 16. JH auf Resten einer mittelalterlichen Burg errichtet, gilt als besterhaltene Burg der Nordvogesen, da ihre Mauern nach der Zerstörung wegen ihrer abgelegenen Lage im Gegensatz zu vielen Nachbarn nicht als Steinbruch genutzt wurden. Wir laufen aber außen vorbei und sehen nicht allzu viel von der Burg.
Nun geht es hinab zu einem idyllischen Teich, dann aufwärts. Etwas später folgt dann mein liebster Streckenabschnitt. Zuerst laufen wir an einer hohen Felswand aus Sandstein entlang, dann in steilen Serpentinen bergab. Immer wieder habe ich einen Riesen Spaß!
Unten geht es zuerst über eine Wiese, dann an einem idyllischen Bach entlang. Hier sehen wir die Rinder, die auch das Logo der Veranstaltung zieren. In Dambach steht vor der Kirche ein weiteres Bauwerk der Maginot-Linie. Als ich hier die zweite Verpflegungsstelle erreiche, ist es schon fast sommerlich warm, aber noch immer ideales Laufwetter.
Kurz nach dem Ortes fordert uns ein längerer, technisch leichter, aber steiler Aufstieg. Erst ab Burg Hohenfels, von der man beim Vorbeilaufen nur einige Mauerreste auf dem Fels erkennt, wird es wieder bequemer. Die Ruine selbst ist unscheinbar, aber der wuchtige, wie eine Mauer auf dem Bergrücken stehende Burgfels, bietet von der Seite betrachtet einen außerordentlich faszinierenden Anblick.
Nun folgen wieder viele Kilometer meist auf breiten Wegen ohne allzu steile Passagen. Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass ich nicht im geplanten Tempo laufe. Aber mich plagt kein Zeitdruck. Ganz entspannt kann ich einige Streckenabschnitte marschieren, die ich auch problemlos hätte laufen können. Schonung und Genuss sind angesagt.
Allzu spannend sind die Kilometer bis zum letzten Aufstieg nicht. Aber schön. Ständig könnte ich stehen bleiben und fotografieren. Auch viele Spaziergänger sind unterwegs und nutzen den herrlichen Frühlingstag. Manchem Läufer macht der kurze, aber sehr steile Aufstieg zum Gipfel des Grand Wintersberg zu schaffen. Auf dem mit 581 m höchsten Gipfel der nördlichen Vogesen steht unter dem schon über 120 Jahre alten und 25 m hohen Aussichtsturm die letzte Verpflegungsstelle. Hier lasse ich mich mit einem der Organisatoren fotografieren, der sich als Maskottchen kostümiert hat.
Auf dem interessantesten Trail des Tages geht es nun rasant hinab zum Col du Wintersberg, wo eine große Hütte des Vogesenclubs steht. Auf den letzten Kilometern wird der Abstieg immer wieder durch kurze, eigentlich gar nicht so schwere Zwischenaufstiege unterbrochen. Ganz zum Schluss darf ich noch einmal auf schnellen Trails bergab sausen. Gleich darauf erreiche ich das Stadion und dann die Ziellinie.
Meine geplante Finisherzeit verfehle ich deutlich, denn ohne Wettkampfmodus bin ich nur 2 Minuten länger unterwegs als im letzten Jahr, wo ich engagierter zur Sache ging. Ich fühle mich gut gerüstet für meine wichtigstes sportlichen Ziel, in diesem Jahr meinen 50. Ultra zu feiern. Nr. 45 ist gut gelungen.