Just in Windstein schafft die Sonne es endlich, sich endgültig gegen die Wolken durchzusetzen. Warm wird es sogleich, aus Läufersicht fast schon unangenehm warm. Doch das Licht-Schattenspiel, das die Sonne im Wald zaubert, und die Farben der Natur, die sie erleuchten lässt, bieten mehr als nur eine Entschädigung.
Jenseits des Verpflegungspostens geht es über einen holprigen Pfad durch dichten Mischwald gleich wieder – was sonst - kräftig bergauf. Durch das Geäst sehe ich hinter mir den mächtigen Sandsteinzacken mit der Burg Alt-Windstein empor ragen. Was für eine Aussicht muss man von da oben haben! Aber ein direkterer Kontakt zu diesem Felsen ist nicht im Streckenplan vorgesehen. Dafür kommen wir umso näher dem gleichfalls aus dem 13. Jahrhundert datierenden Châteaux du Nouveau-Windeck (Neu-Windstein), das nur ein paar hundert Meter weiter inmitten des Waldes direkt an unserem Parcours thront. Dessen Lage mag nicht ganz so exponiert sein wie die von Alt-Windstein, dafür ist die Burgruine in einem sehr viel besseren Zustand. Erhalten sind insbesondere die Fassade des Wohnturms mit schönen gotischen Fenstern und Teile der Wehrmauern. In einem Bogen führt unser Weg um die Burg herum. Besonders schön: Die großflächig mit Moos überzogenen Sandsteinfelsen rundherum.
Im Galopp hinab und im Kriechgang hinauf setzt sich unser Kurs fort. Weitere Schlammpassagen sind ebenso zu überwinden wie Baumwerk quer über dem Weg. Inmitten des stillen Waldes: ein verwunschener kleiner Weiher. Ein weiteres Stündlein in diesem herrlichen Wald vergeht so im Nu.
Bizarre Sandsteinformationen, typisch für die Region, wecken einmal mehr meine Aufmerksamkeit. Erst auf den zweiten Blick erkenne ich: Eine weitere Burgruine liegt vor uns, die dritte von insgesamt fünf entlang unseres Rundkurses. Das Châteaux Wineck mag die kleinste dieser Burgen sein, der Erlebniswert für uns Läufer ist zweifelsohne der intensivste. Denn die optische Symbiose, die der in der Sonne intensiv leuchtende, fast schon kunstvoll erodierte Fels mit den Festungsresten inmitten des Waldes eingeht, ist einmalig. Mitten durch das Burggelände werden wir geleitet und durch ein altes Mauertor wieder entlassen. Wie ein Leuchtturm thront der gut erhaltene Burgturm über der über Mauern und Felsen brandenden Natur. Ich lasse die Mitläufer passieren und gebe mir etwas Zeit, diese besondere Komposition und die Details zu genießen – die changierenden Farben des Sandsteins, die großflächigen Moosteppiche, ein natürliches Felsentor.
Auch der weitere Weg aus der Burg hinaus ist überaus reizvoll: An neuerlichen Sandsteintürmen vorbei führt er über einen Grat, von dem aus wir durch das Buchengehölz zur Linken wie zur Rechten weit in die Tiefe blicken. Wenig später verlieren wir uns auf schmalen Pfaden wieder in den Weiten des Waldes mit seinem ganz eigenen Charakter und Charme.
Eine halbe Stunde später ist schon der nächste Kulturspot erreicht: Das Châteaux de Schoeneck.
Aus dem 13. bis 16. Jahrhundert stammen die Reste der sich auf einem langen Felsgrat aus Sandstein erhebenden Burgfestung. Sie ist die am besten erhaltene der 35 mittelalterlichen Burgen in den Nordvogesen. Dank ihrer Abgelegenheit wurde sie nach ihrer Zerstörung und Aufgabe nicht als Steinbruch missbraucht, weshalb relativ viel Mauerwerk erhalten ist und, wie wir persönlich beobachten können, auch derzeit Restaurierungsarbeiten im Gange sind. Entlang des Grates kämpfen wir uns bis auf die Höhe des Zugangs empor, wo Touristen behäbig unseren Weg kreuzen. Viel Zeit zum Schauen bleibt nicht, schon finden wir uns entlang der anderen Gratseite wieder auf einem steilen Pfad gen Tal, geradewegs hin zu einem stillen, schilfumwucherten See, dessen Ufer wir ein Wegstück folgen.
Richtig einsam wird es auf den langgezogenen Forstwegen wenig später. Niemanden vor mir, niemanden hinter mir sehe ich. Dank der auffallenden Wegweiser weiß ich aber stets, dass ich keinen unerwarteten Abzweig verpasse. Ich erreiche ein verwildertes Plateau, von dem aus der Blick tief ins Schwarzbachtal hinab reicht. Mehr noch als die Aussicht motiviert mich die Gewissheit, dem nächsten Verpflegungspunkt nun nicht mehr allzu fern sein zu können. Vorbei an einer beeindruckenden Sandsteinsteilwand windet sich der Pfad in steilen Serpentinen hinab. Meine Oberschenkelmuskulatur macht mir deutlich, dass sich für sie der Spaß nurmehr in Grenzen hält. Und auch im Tal angekommen, muss ich mich noch gedulden. Denn zunächst gilt es in stehender Hitze das einzige etwas längere Wegstück auf Asphalt zurücklegen zu müssen, bis der Ort meiner Sehnsucht erreicht ist: der zweite Verpflegungspunkt bei km 36 inmitten des Dörfleins Dambach. Wie ein Kamel komme ich mir vor, als ich endlich einen Becher Wasser und Cola nach dem anderen in mich hinein kippen darf und mich trotzdem latent durstig fühle. Mit frisch aufgefülltem Wasservorrat mache ich mich auf, das letzte Drittel in Angriff zu nehmen.
Und erneut heißt es: Hinauf gehts. Frisch getränkt läuft es sich zwar wieder ein wenig besser, doch der gebückte Marsch nach oben bringt alles andere als Dynamik zum Ausdruck. Inmitten riesiger alter Buchen steigt erneut eine hohe Felswand vor uns auf. Nomen est omen: Das Châteaux Hohenfels ist erreicht. Nur wenige Reste der mittelalterlichen Burg sind erhalten, dafür sind die roten Sandsteinformationen, auf denen sie thronen, umso beeindruckender. Geradezu unwirklich schmal ist der Felsgrat, den Wind und Wetter abgetragen haben. Kaum zu glauben ist, dass dieser eine Festung tragen kann. Und überhaupt ist mir auf den ersten Blick völlig schleierhaft, wie das Felsplateau ohne Kletterausrüstung erreichbar ist.
Schwere Kilometer liegen vor mir. Denn das nächste Zwischenziel, der Grand Wintersberg, ist mit 576 m üNN die höchste Erhebung der nördlichen Vogesen und unseres Kurses. Und das bedeutet: Steigungen "satt". So zieht sich der Weg durch die Weiten der Wälder hin, obwohl mich "nur" acht Kilometer von diesem Punkt trennen. Das letzte Wegstück ist das knackigste. In Stufen führt der Pfad im Zickzack nach oben. Ein paar verstreute Zuschauer feuern uns an.
Dann ragt er endlich vor uns auf: Der 25 Meter hohe Aussichtsturm auf dem Gipfelplateau Grand Winterberg. Zugegebenermaßen: Rein von der Optik her klingt die Bezeichnung "Berg" ein wenig übertrieben. Gefühlsmäßig fühle ich mich aber durchaus wie ein Bergbezwinger.
Auf dem Grand Wintersberg, wunderbar von Baldachinen beschattet, ist bei km 45 der dritte Verpflegungstisch gedeckt. Ich lasse mir Zeit. Die Hitze und der Schweißverlust fordern ihren Tribut. Neun Kilometer liegen noch vor mir, und die gehen erfreulicherweise nun weitgehend bergab.
Vor allem die ersten Kilometer des Schlussstücks sind wundervoll: Zunächst durch undurchdringlichen Nadelwald mit Pfaden, auf denen es sich läuft wie auf samtenen Kissen, dann durch fels- und moosgetränkten jungen Buchenwald, der mir vorkommt wie ein verwunschener Zauberwald. Dazwischen mischen sich riesige, nur in den Spitzen grüne Kiefern, die mich an südländische Pinien erinnern.
Die letzten, eher eintönigen Kilometer auf langgezogenen Forstwegen muss ich mir aber dann hart erarbeiten. In der Ferne aus dem Tal tönt schon von Weitem laute Musik und das ausdrucksstarke Organ des Zielmoderators. Aber ich schleiche nur noch dahin. Irgendwann ist es aber dann doch so weit: Über den roten Teppich beende ich den Trail, kehre endgültig zurück in die Zivilisation. Auf der Wiese zwischen Zielbogen und Sporthalle sonnen sich die Einläufer, trinken ein kühles Bier, holen sich etwas vom Grill oder tanzen gar – so entspannt habe ich selten einen Zieleinlauf erlebt. Und das bei 26 Grad im Schatten. Willkommen Frühling!