Kurz vor Lembach sind 3 Stunden um, eingeprägt habe ich mir eine Cut-off-Zeit von 3:25h. Das müsste gerade noch reichen, um im Limit zu bleiben. Doch am Ortsanfang werden wir wieder hoch und in einen großen Bogen um die Ortschaft geführt. Die Zeit verrinnt und ich mache mir langsam Sorgen, aus dem Rennen genommen zu werden wenn nicht bald die Verpflegungsstelle kommt. Für meinen Geschmack muss ich das Tempo auf dieser langen Distanz ungewohnt verschärfen. Bisher hatte ich in meinem Läuferleben noch nie mit Sollzeiten zu kämpfen. Günter verliert hinter mir den Anschluss.
Mit Ach und Krach erreiche ich genau in 3:25h den Cut. Puuhh, das hat Kraft gekostet. Günter kommt ein paar Minuten später an und klärt mich auf: Ich habe mich um eine Stunde verrechnet. Da muss ich mir wohl beim nächsten Treffen mit Daniel erläutern lassen, wie man das richtig berechnet. Bei ihm lernen das schon die ABC-Schützen.
Den Kräfteverschleiß des Zwischenspurts spüre ich deutlich beim langen nachfolgen Anstieg. Dazu beinhaltet dieser Abschnitt bis zur nächsten VP fast 1000 Höhenmeter und ist damit auch der selektivste.
Den Anfang einer stattlichen Anzahl von Burgruinen, die unseren Weg kreuzen, macht Château du Fleckenstein. Schon von Weitem kann man die Burg, hoch oben auf einem Felsen postiert, ausmachen. Über einen herrlichen wurzeligen Pfad, vorbei an wunderschönen Sandsteinformationen werden wir direkt an sie heran geführt. Imposant steht sie auf einem 90 m langen und 30 m hohen Felsplateau.
Im 12. Jahrhundert erbaut, galt sie als eine uneinnehmbare Zitadelle. Ihre Aufgabe bestand darin, eine der Verbindungsstraßen zwischen dem Elsass und Lothringen zu überwachen. Diesen Zweck erfüllte sie vier Jahrhunderte lang, bevor sie 1680 durch französische Truppen größtenteils zerstört wurde. Mit 100.000 Besuchern pro Jahr ist sie heute die meistbesuchte nichtrestaurierte Burg des Elsass. Insgesamt befinden sich im ganzen Park 35 mittelalterliche Burgruinen.
Hindernisse á la Braveheart Battle finden wir bei der nächsten Steigung vor. Waldarbeiter haben am Vortag kräftig gewütet, der komplette Hang ist von gefällten Bäumen übersät. Hier helfen nur ein paar Klettereinheiten weiter. Wenig später passieren wir nur einen Steinwurf entfernt bei Hirschthal die Grenze. Auf deutscher Seite grenzt hier der Naturpark Pfälzerwald an. 1998 wurde er mit dem „Vosges du Nord“ unter der Schirmherrschaft der UNESCO zum grenzüberschreitenden Biosphärenreservat Pfälzerwald/Nordvogesen zusammengefasst.
Obwohl die Strecke hervorragend ausgeschildert ist, laufe ich schnurstracks an einer Wegemarkierung vorbei, den Hang hinunter. Bin versehentlich einem Wegweiser der Biker nach. Von hinten höre ich Gejohle. Günter gibt alles, um mich vor meinem Irrtum zu bewahren. 200 m Zusatzaufstieg hat mir das eingebracht. Der falsche Weg war aber vom Veranstalter mit einer Sägemehllinie vorbildlich gekennzeichnet, ich bin einfach blind darüber gebrettert. Kilometermarkierungen werden im Übrigen nicht aufgestellt.
Die nächste Ruine nennt sich Chateau de Froensburg, Die Franzosen haben sie 1677 dem Erdboden gleich gemacht. Ein paar stattliche Reste sind aber noch übrig geblieben. Man könnte auch raufklettern… nach fast 40 km in den Beinen ist mir aber nicht mehr danach.
An einer Wegekreuzung vor geraumer Zeit war in einer Schautafel des Vogesen Club Haguenau-Lembach ein Gedicht ausgehangen, jeweils in Französisch und Deutsch. Der Titel lautete: Mon sentier Vosgien préféré – Mein liebster Vogesenpfad. Welchen Pfad Henri Hirschinger damit genau gemeint hat, darüber kann ich nur rätseln. Aber der, auf dem wir uns gerade befinden, könnte es sein. Er ist ein Gedicht. Die bizarren Buntsandsteinfelsen entlang unserer Route sind atemberaubend schön. Die Natur hat hier phänomenale Kunstwerke erschaffen. Was natürlich Günter und mir auch gravierende Nachteile einbringt: wir kommen nicht mehr vorwärts, sind nur noch am Fotografieren und Filmen. Unsere Stunde plus auf das Zeitlimit wird deutlich schwinden.
Im Nibelungenlied ist der Wasigenstein Schauplatz des Kampfes von Walther gegen König Gunther und Hagen von Tronje und hat damit besonderen Ruhm erlangt. Vor uns erhebt sich der Burgfelsen auf einem spornartigen Ausläufer. 1878 wurde er unter Denkmalschutz gestellt. Wir ziehen kurz vor dem Abstieg zur Sollstelle daran vorbei.
Eine halbe Stunde vor dem Cut treffen wir in Obersteinbach ein und werden sofort in eine Liste eingetragen. Uns bleibt aber noch ausgiebig Zeit zum Verpflegen und unsere leeren Getränkeflaschen wieder aufzufüllen. Neben Wasser werden auch Cola und Bouillon mit Nudeln angeboten. Mit Bananen, Orangen, Trockenfrüchten, Riegeln und Kuchen kann man seinen Hunger stillen.