Vorwort
Vor ca. 5 Jahren las ich das erste Mal vom Grand Raid de Reunion, ich war fasziniert. Vor 3 Jahren dann ein weiterer Laufbericht eines Teilnehmers. Seitdem ließ mich der Gedanke an eine mögliche Teilnahme nicht mehr los. Im Internet suchte ich alles Material über den Lauf, über die Insel. In mir arbeitete und gärte es, bis schließlich der Entschluss feststand: Teilnahme 2009. Verschiedenste Gründe führten dann zur Verschiebung ins Jahr 2010. Im Frühjahr Flüge buchen, Quartier suchen- zeitraubend, vieles nur auf Französisch.
Schließlich wurde ich fündig: Unterkunft bei deutschen Vermietern inklusive individuelle Betreuung beim Lauf- im Gandalf Safari Camp, ideal.
Die Vorbereitung die nächsten Monate alles andere als ideal: Fersensporn links. Somit kein Lauftraining möglich. Halte mich mit Radfahren fit. Versuche alle möglichen Einreibungen, Pillen, Bestrahlungen. Nur mäßiger Erfolg. Schließlich Anfang August die Spritze, schmerzhaft aber sie half. Danach öfters an die Spitzhaustreppe, Höhenmeter schrubben. Dann den Ultra Trail im Allgäu über 69 km bei 3000 Höhenmetern, geschafft, aber das schien das Maximum des machbaren. Schließlich noch den Saale- Rennsteig- Marathon, 44 km mit 1250 Höhenmetern. Dazwischen noch eine „Nachtwanderung“ über 70 km. Das musste an Vorbereitung reichen.
Mitte Oktober 2010 fliege ich nach Reunion, der Vulkaninsel im Indischen Ozean. Im Gepäck die Laufausrüstung und Anmeldebestätigung für die Teilnahme am Grand Raid. Dieser Lauf wurde vom Veranstalter Jahr für Jahr länger und härter ausgeschrieben. Nun waren es also 163 km mit 9660 Höhenmetern. Wohne im Gandalf Safari Camp bei Claus und Christine. Mit mir noch zwei weitere Läufer. Diddi, ein Österreicher und Tommy, ein junger Bursche aus Hamburg, beide mit ihren Ehefrauen.
An 3 Tagen werde ich an verschiedene Abschnitte der Laufstrecke gefahren, kann einige Kilometer abwandern. Die Landschaft schon genießen. Am zweiten Tag, beim bergab laufen passiert es- auf schmalem Pfad am Steilhang rutsche ich weg. Über die Kante, 2 Saltos, dann bleibe ich zum Glück in der dichten Vegetation 5 – 6 m tiefer hängen. Diddi, der ebenfalls mit war blieb vor Schreck fast das Herz stehen, wie er später erzählte. Kralle mich in den Pflanzen fest, zum Glück keine Stacheln, drehe mich zum Berg, atme durch, kann alles bewegen, versuche hochzukrabbeln. Diddi reicht seinen Stock. So geht es. Habe Schürfwunden an Armen, Beinen und Händen, blute etwas, aber sonst alles heil- Gott sei Dank! Das war ein Schreck! Oder ein Warnschuss!? Christine behandelt mich im Camp sogleich mit frischer Aloe, heilt schneller.
Der Starttag rückt näher.
Donnerstag, den 21.10. 18.00 Uhr im Gandalf Safari Camp in St. Phillipp
Das Abenteuer beginnt. Claus, Chef vom Gandalf Safari Camp hält letzte Lagebesprechung. An zwei Stellen der Strecke, so nach Kilometer 50 und irgendwo nach Kilometer 130 wollen wir uns treffen. Sind somit nicht auf die beiden „offiziellen“ Gepäcklagerstationen angewiesen.
Diddi, Tommy und ich sind bereit für den Grand Raid de Reunion, den Ultra Lauf über 163 km, mit 9660 Höhenmetern. Leichte Hektik. Müssen umdisponieren- nach letzten Infos muss offizielles T-Shirt beim Start und Zieldurchlauf getragen werden. Also umziehen. Es dürfen keine Metallstöcke verwendet werden, nur geschnitzte Holzstöcke, also unsere Stöcke ab vom Rucksack, Holzstöcke haben wir nicht.
19.00 Uhr ist Abfahrt zum Startort. Nicht sehr weit, aber alle Straßen verstopft. Steigen schon oben an der Hauptstraße aus, laufen paar hundert Meter immer dem Menschenstrom hinterher. Mulmiges Gefühl. Auf was habe ich mich eingelassen!? Noch nie vorher habe ich an einem Lauf teilgenommen, bei dem ich vorher nicht sicher war, ob ich es überhaupt schaffen werde. Doch hier ist es so. Habe den festen Willen ins Ziel zu kommen, werde alles dafür geben. Aber ob es gelingt?
Weiß, dass die Ausfallquote in den letzten Jahren bei ca. 40% lag, und dieses Jahr ist das Rennen noch einmal 10 km länger und hat noch mehr Höhenmeter- keine guten Vorzeichen für die „Diagonale der Verrückten“, wie das Laufabenteuer auch offiziell genannt wird. Auch der Sturz vor paar Tagen erhöht den Respekt vor der Strecke. Trägt nicht zum Optimismus bei. Es ist soweit.
Donnerstag, den 21.10. 20.30 Uhr in Cape Mechanet an der Südküste Reunions
Anstehen am Startgarten. Lange Schlangen. Läufermassen. Laute Musik Alles hell erleuchtet. Bin aufgeregt. Gedränge. Schubweiser Einlass. Bin endlich dran. Genaue Gepäckkontrolle- alles O.K. Regenjacke, Rettungsdecke, Wassersack, Trillerpfeife, Handy, Stirnlampe, Ersatzbatterien und viele andere Kleinigkeiten sind dabei. Der Chip am Handgelenk wird scharf gemacht. Rundgang im Startgarten, noch viel Zeit. Programm auf der Bühne, tolle Musik.
Esse Weißbrotscheiben, trinke Kaffee. Fotografiere. Gemeinsames Foto mit Diddi und Tommy. Gehe nun zum Startbereich, habe beide verloren. Reihe mich in die Läufertraube ein. Manche sitzen. Lange Reden auf Französisch. Beifall. Setze die Stirnlampe auf. Zeit vergeht nur langsam. Dann rückt alles ca. 20 m vor. Gedränge. Noch eine Rede. Wieder Musik. Es ist schwül warm.
Donnerstag, den 21.10. 22.00 Uhr in Cape Mechanet , Startgarten
Endlich der Startschuss. Alles drängt durch enges Tor. Druck von allen Seiten. Muss an Duisburg denken, nicht stolpern. Dann auf die Straße. Überall Zuschauermassen, frenetischer Jubel, südländische Begeisterung, jetzt kann ich endlich frei rennen Anfeuerungsrufe. Bekomme Gänsehautgefühl ohne Ende, drücke mir selbst die Daumen für die kommenden 163 km.
Habe noch 1 – Liter Wasserflasche in der Hand, will am ersten Getränkepunkt nichts nehmen wegen dem Gedränge. Nach 3 km raus aus dem Ort in die dunkle Nacht. Erstmals Stirnlampe an. Zuckerrohrfelder rechts und links. Alles rennt. Weg wird etwas steiler, aber noch gut zu laufen. Nach einer Stunde Untergrund holpriger, teilweise auch steiler. Beginne mit Gehen, wenn es zu steil wird. Treffe Tommy. Bleiben lange zusammen. Quatschen.
Schwül heiß, schwitze extrem, trinke immer wieder aus meiner Flasche. Rucksack reibt unten am Rücken. Jetzt schon!? Mist! Stecke Hemd dazwischen, ziehe alle Schnüre fester. Regen setzt ein. Habe Tommy verloren. Abwechselnd joggen und gehen- immer bergauf. Schon im Wald.
Freitag, den 22.10. 0.16 Uhr nach 16 km und 800 HM
Erste Getränkestelle erreicht, elektronische Kontrolle. Chip wird eingelesen. Außerdem Sichtkontrolle- Startnummer wird angesagt und aufgeschrieben. Massen, alles stürzt durcheinander. Wasserflasche leer getrunken, hat genau gereicht. Dafür Trinkblase im Rucksack noch voll. Brauche nichts. Also schnell durch und weiter. Viele Zuschauer, viele Anfeuerungsrufe. Gewühle. Anstehen. Eine lange Treppe hoch, ein kleiner Platz voller Zuschauer, dann beginnt links steiler Pfad in den Urwald.
Dunkel. Im Gänsemarsch steil nach oben. Schwer zu gehen, alles voll Wurzeln, glatt. Dazwischen nur Steine, auch glatt. Ab und zu auch etwas bergab, schwierig wegen der Wurzeln. An besonders steilen Stellen anstehen. Immer wieder Drängler, die rechts und links halsbrecherisch vorbei turnen, dadurch noch mehr Stau. An Steilpassagen nehme ich die Hände zu Hilfe. Oben muss ich immer wieder hasten, um an den Vordermann ranzukommen. Aufstieg nimmt kein Ende. Fühle mich aber kräftig. Laute Unterhaltung der Franzosen.
Komme aus dem dichten Wald raus. Habe freie Sicht nach unten, sehe die Lichter vom St. Philipp. Bin schon ziemlich hoch. Doch nun wieder im dichten Wald. Steige über kniehohe Wurzeln. Eine Steilwand und Stau, kann etwas verschnaufen. Kein Regen mehr. Auch nicht mehr heiß. Wieder Drängler. Fluche leise.
Komische Bäume mit langen Fransen, sieht gespenstisch aus. Vegetation lässt nach. Jetzt nur noch schulterhoch. Oben Vollmond und Nebelfetzen. Auch die Küste unten sehe ich wieder. Wind kommt auf. Es wird kalt. Jetzt nur noch Gesträuch. Wind immer unangenehmer. Böen. Untergrund krümelig. Pfad immer noch steil bergauf, rutsche bei jedem Schritt zurück. Trete in kleine Ausbuchtung und hole Windweste aus dem Rucksack, ist verdammt kalt jetzt.
Nun Hochebene erreicht. Sehe Lichterschlangen der Stirnlampen vor mir am Berg sich hochwinden und hinter mir nach unten irgendwo im Wald verschwinden. Keine Vegetation mehr, Wind pfeift, habe leider die Handschuhe nicht dabei. Jetzt über riesige Lavabrocken, dazwischen tiefe Spalten. Stirnlampe zu schwach. Weg teilweise unklar. Warte manchmal auf Läufer, um mich anzuhängen. Immer weiter bergauf, aber leichter. Höre den Vulkan fauchen. Kraterkante erreicht, fantastischer Anblick- rot glühende Lava in schwarzer Nacht spritzt hoch. Nun weiter auf hügeliger Ebene, scharfkantige Lavabrocken. Komme gut voran, aber scharfer Wind von der Seite, eisig kalt, bewege mich so schnell ich kann. Erste helle Streifen am Himmel.