Kilometer 4,6. Auf gut ausgebauten Waldwegen erreichen wir das Kurhaus Passugg (765 Meter), wo die erste Verpflegung mit Iso und Wasser wartet. Die Helfer rödeln, da wir bereits eifrig zugreifen. Ein paar Meter später verengt sich der Weg und wir haben ein paar Treppen bergab zu bewältigen. Die Quittung folgt aber auf dem Fuß, denn eine scharfe Rampe bringt das Gros des Feldes in den Gehschritt. Mich auch. Später können wir wieder laufen. Der Weg ändert sich mehrmals in seiner Beschaffenheit. Wurzeln, Steine, ein paar Mal auch Sprungeinlagen über Wasserläufe, auch ein Stück Grasweg ist darunter. Langweilig wird es nicht.
An der nächsten Tankstelle im Helltobel (Kilometer 8,1, 1030 Meter) können wir bereits die ersten Berge sehen. Dieses Jahr haben die keinen weißen Hut mehr auf, denn der Schnee ist bereits abgetaut. Auf der steilen Rampe kurz vor Churwalden bearbeitet eine Frau eine Kuhglocke. Und dann oben, wo unser Kurs auf die Hauptstrasse mündet, hat sich eine kleine Schar Zuschauer eingefunden, die nicht mit Applaus geizen.
Knapp 650 Höhenmeter haben wir uns bis jetzt erarbeitet, denn Churwalden mit 1200 Einwohnern liegt bereits auf 1237 Meter Seehöhe. Der Ort ist vom Fremdenverkehr im Sommer wie Winter stark abhängig. Wenn wir nach Norden schauen, dann können wir auf die längste Rodelbahn der Welt auf Schienen (3,1 Kilometer lang) schauen, die vom Sportgebiet Pradaschier direkt in den Ort führt. Bis zum 12. Jahrhundert trug die Ansiedelung den Namen Aschera (lateinisch: acer = Ahorn). Der jetzige Name tauchte erst im 16. Jahrhundert auf.
Bei Kilometer 11,8 gibt’s wieder was zum Futtern, neben Flüssigem greife ich zu Riegel und Gel. Kurz zuvor sind auf der Strasse zwei Oldtimer uns entgegengekommen, Teilnehmer einer Rallye vermute ich. Die Sonne hat nun Oberhand gewonnen, die Läufer ziehen mitunter schon schattige Stückchen vor.
Bei Kilometer 12 biegen wir links von der Hauptstraße ab. Jetzt führt uns der Weg wieder in den Wald, später auf Almwiesen. Prachtvoll sind die blühenden Almwiesen anzusehen. Teilweise mähen die Bauern die Almwiesen. Das vorhergesagte gute Wetter in den nächsten Tagen muss ja für die Heuernte genutzt werden. Mich spricht der Däne Klaus Egedesö an. Seine Startnummer 100 deutet auf eine Besonderheit hin. Er erklärt, dass sein Hundertster Marathon etwas Spezielles sein soll. Und das ist der Grund für die heute Teilnahme auf der Lenzerheide. Eine Saugstelle (oder Saufstelle?) ist bei Büel (1522 Meter, Kilometer 15,5) eingerichtet. Unser Weg bleibt steigend. Ach ja, der Torsten Frings alias Bernd Priebs ist auch wieder dabei. Nur hat der Schweizer nicht das deutsche Nationaltrikot von Torsten an, sondern ein anderes Ländertrikot.
Foppa-Pass, hinter Kilometerschild 17, die erste langgezogene Steigung von Chur herauf endet. Knapp 1200 Höhenmeter liegen hinter uns. Ich könnte jetzt schon Feierabend machen. Nächstes Mal muss ich im Vorfeld entweder einen Übungsberglauf (vielleicht Liechtenstein) oder eine längere Pause nach dem Bieler Hunderter machen. Vielleicht kann ich mich jetzt auf den nächsten Kilometern ein wenig erholen.
Bei der Trinkstelle Foppa (1754 Meter, Kilometer 17,6) sind Kinder beim Getränkeverteilen und Becher sammeln eifrig dabei. Auf den vier Kilometern verlieren wir gut 200 Höhenmeter. Auf asphaltierter Bergstrasse lasse ich es rollen, doch dann geht es scharf rechts auf einen Grasweg mit entsprechenden unebenen Stellen. Vorsicht ist nötig, denn der Untergrund ist noch feucht und teilweise auch rutschig. Trailschuhe sind hier keine schlechte Wahl.
Bei Kilometer 20 ist ein kurzer Wiesentrail zu absolvieren, das Gefälle nimmt im folgenden Kilometer noch zu. Wir haben das Hochtal von Lenzerheide erreicht. Ab hier folgt das zweite Streckendrittel, eine kupierte und abwechslungsreiche Strecke mit kurzen Steigungen und Gefällen, die mir außerordentlich gut gefällt.
In Parpan (Kilometer 23,5, 1509 Meter) ist neben der Kirche wieder eine Tankstelle zur freien Benützung. Da werden wir auch über Lautsprecher namentlich angekündigt. Ja, über die Verpflegung brauchen wir nicht meckern, denn es gibt auch etwas festen zum Futtern, Bananen. Wir verlassen Parpan, es wird schön schattig im folgenden Waldstück, aber dafür müssen wir aufpassen, denn der Kurs gleicht einem Crosstrail, zahlreiche Wurzeln und Steine, auch einige Wasserlöcher und Sumpfstellen wollen beachtet werden. Keiner will sich hier verletzen.
In Valbella (Kilometer 27,4, 1486 Meter) laufen wir dann an den Igl Lai (Heidsee), den wir fast vollständig umrunden. Wer aber glaubt, es geht eben um den Heidsee, der täuscht sich, denn der Kurs ist weiterhin wellig. Mittlerweile sind wir im rätoromanischen Teil der Schweiz angelangt. Ob hier noch jemand diese Sprache versteht, weiß ich natürlich nicht. Im anschließenden Campingplatz am Igl Lai werden wir von Urlaubern angefeuert und weitergetrieben.
Durch eine Unterführung ersparen wir uns die Überquerung der Voa Principala, der Hauptstrasse, und wir sind nun in Sichtweite der Talstation der Rothornbahn.
Nach einem kurzen Waldstück laufen wir nach Lenzerheide (1458 Meter) hinein. Auf der Unterführung der Hauptstrasse kommen uns die vor uns Laufenden entgegen. Ich will abkürzen, habe schon einen Fuß über der Metallabsperrung und werde dann zurückgepfiffen. „Erst wird Mittag gegessen“, erklärt mir eine Helferin, „dann kannst du weiter“.
Wir umrunden das Schulgelände. Für die 20 Meilen-Läufer ist hier Feierabend. Von einem Moderator werde ich angekündigt. Der folgende Verpflegungstisch ist wieder reichlich gedeckt. Ich nehme Cola und Iso und spüle damit das Gel hinunter.
Lenzerheide selbst gehört politisch zur Gemeinde Vaz/Obervaz. Trotz des deutschen Namens liegt die Lenzerheide im romanischen Sprachgebiet und heißt auf Romanisch Lai. Bereits 1903 wurde hier der erste Skikurs durchgeführt. Der eigentliche Aufschwung im Tourismus begann erst etwa 20 Jahre später. Heute spielt daneben noch die Landwirtschaft und das Baugewerbe eine wichtige wirtschaftliche Rolle.