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23.07.16 - Großglockner Ultra-Trail

Hart und traumhaft: Laufreise zu den Glocknerseen

Downhill zum Weißsee

 

Stets den Weißsee im Blick geht es über Fels und Altschneeflecken hinab. Vor allem der Weg durch den Schnee schräg am steilen Hang entlang ist nicht ohne – bloß nicht ausrutschen heißt die Devise. Denn dann gäbe es kein Halten. Aber auch im Fels ist mir eine schnellere Fortbewegung nur sehr eingeschränkt möglich. So dauert es, bis das Blau des Sees immer präsenter und satter mein Blickfeld füllt.  

 

 
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Eine halbe Stunde später habe auch ich es geschafft. Das Hüttlein am See entpuppt sich als Hüttenriese, der sich zu Recht Berghotel nennt und immerhin 200 Betten und 50 Lagerplätze bietet. Für uns ist die Rudolfshütte (2.315 m üNN) nach 20 km vor allem eines: Erster großer Verpflegungspunkt. Indoor im Untergeschoss wird uns für Laufveranstaltungsverhältnisse wahrlich fürstlich aufgetischt: Von saftiger Wassermelone über Cherrytomaten bis zu Tortellini in zwei Variationen, Suppen, Wurst und Käse, Kaffee und Kuchen, selbst bunte Lakritzmischung und noch vieles mehr. Mein läuferisches Heilsbringergetränk gibt es auch: Cola. Erschöpft bin ich angekommen – nun ist die Welt für mich wieder in Ordnung. Auch die Zwischenzeit wird genommen. Bis 12:30 Uhr muss man hier angekommen sein, sonst schlägt das Zeitlimit zu. Aber da droht noch keine Gefahr.

 

Durch die Einsamkeit des Hochgebirges

 

Fast schon unangenehm zugig und kalt ist es, als ich wieder nach draußen trete. Verdüstert hat sich der Himmel, nicht aber meine Stimmung. Zum Aufwärmen darf ich sogleich ein Stück bergan stapfen, gerade so viel, um nochmals einen Postkartenblick auf die Rudolfshütte vor der Kulisse des Weißsees genießen zu dürfen.

Dann geht es hinab, steil hinab mitten in die Bergeinsamkeit. Ein unwegsamer, matschiger Pfad windet sich durch das triefende Graswerk in die Tiefe. Noch herausfordernder ist wenig später ein wilder Haufen schroffer Felsblöcke, über den wir mehr klettern und turnen müssen als marschieren können. Immer wieder muss ich inne halten, um den idealen Kletterweg zu finden und nicht immer liege ich richtig mit meiner Wahl. Zum Glück verhindern vereinzelte Markierungen allzu große Fehlwege. Die Kletterei macht andererseits natürlich Spaß, doch zieht und zieht sich das hin. Über 300 Höhenmeter verlieren wir dabei. Und als ich endlich den Talgrund erreiche, durch den der Rifflbach milchig weiß rauscht, bleibt auch hier das flache Gelände schwergängig. Matsch und Morast erinnern daran, dass es zuletzt viel und häufig geregnet hat. Zum Glück heute (noch) nicht.

 

 
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Einmal mehr herrlich ist natürlich die Bergwelt um uns herum. Hunderte von Metern stürzt vor mir ein Bach die steilen Wände hinab. Hoch oben sehe ich die Zungen des ewigen Eises aus den Gipfelregionen quellen. Fern jeglicher Zivilisation und im Urzustand wirkt die Natur. Wären da nicht die Läufer, die als bunte Punkte durch diese grün-graue Einsamkeit geistern.

Über eine einfache Holzbrücke queren wir den Rifflbach. Das bizarr ausgewaschene Bachbett aus weißem Kalkstein lässt erahnen, woher der Bach seine eigentümliche Färbung hat. Auf etwa 2.000 m üNN sind wir angelangt – fast 650 positive Höhenmeter liegen jenseits der Talsohle auf den nächsten 2,5 km vor mir. Und völlig unklar ist mir, wie ich dabei die vor mir liegende Felsenfestung überwinden soll.

Schicksalsergeben mache ich mich ans Werk. Im gleichmäßigen Schritt stapfe und ziehe ich mich mit den Laufstöcken auf dem sich steil nach oben windenden Pfad empor. Im dichten Blättergrün ist der Boden bisweilen kaum auszumachen. Schnell gewinne ich Höhe, blicke hinab in das einsame Tal und das sich stetig darüber weitende Panorama. Zu meinen Füßen entfaltet im lichten Blau der nächste Stausee seine ganze Pracht. Die geschwungene 1.100 m lange Staumauer des Tauernmoossees ist eine der längsten Europas. Aus der Höhe ist die aber kaum zu bemerken, dafür überblicke ich den See mit all seinen Verästelungen und Inselchen.

Mehr und mehr dominiert das Geröll die Landschaft und auch unseren Weg. Wir treten ein in ein Hochtal, dem unschwer anzusehen ist, dass hier einst ein mächtiger Gletscher geflossen ist und die seitlichen Felswände abgeschliffen hat. Vom Gletscher sind hoch oben nur noch Reste zu erspähen. Über die Moräne des Unteren Rifflkees gelangen wir in das Rifflkar, den einstigen Fließkanal des Gletschers. Nach wie vor ist mir schleierhaft, wie wir die das Gletscherkar wie eine Festungsmauer umschließenden Felswände überwinden sollen. Aber irgendwie und irgendwo muss es gehen. Der sogenannte Austriaweg führt uns steil seitlich am Abhang empor. Gigantische Felsblöcke im Geröllmeer sind stumme Zeugen früherer Bergstürze. Mehr und mehr fühle ich mich in eine arktische Urlandschaft versetzt, auch wenn die Temperaturen trotz der Höhe alles andere als arktisch sind. Wohin ich auch blicke - in alle Himmelsrichtungen erstreckt sich die Steinwüste. Immer näher rückt der hoch oben thronende Rest ewigen Eises des Rifflkees.

Bis zuletzt kann ich nicht erkennen, wo nun eigentlich die Passstelle ist, über die wir den Felsenkamm überschreiten. Aber als ich über mir im Fels einen entspannt im Fels kauernden Mann sehe, weiß ich: Das kann nur die Bergwacht sein und vor allem: Hier muss der Pass sein. Und tatsächlich. Ein paar steile Stufen noch und ich stehe nach 24 km wie in einer Tür vor dem schmalen, felsgerahmten Durchgang des Kapruner Törl (2.639 m üNN).  

 

Rutschpartie vom Kapruner Törl

 

Der höchste Punkt des Glocknertrails ist geschafft  und bietet ohne Zweifel den atemberaubendsten Ausblick unserer Tour: Hinter mir auf Augenhöhe prangt der nun gewaltige Gletscherabbruch des Rifflkees. Ich blicke in die glücklichen Gesichter derjenigen, die aus der Tiefe kommend überrascht wie ich auf einmal im Törl stehen. Ein Erinnerungsfoto ist ein absolutes Muss.

 

 
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Beeindruckend ist allerdings auch der Blick hinab in die Tiefe jenseits des Törls – nur ganz anders. Am vorsichtigen Tapsen der Läufer sehe ich schon: Hier ist Wachsamkeit geboten. Den Anfang macht eine wenig stabile Halde aus Schiefergeröll. Die ist noch die leichtere Übung. Dann heißt es jedoch: Rutsch ahoi!

Der Neuschnee von der Wochenmitte ist zwar schon wieder abgeschmolzen. Der sulzige Altschnee ist aber noch reichlich vorhanden. Ob man will oder nicht: Da muss man jetzt durch. Eine breite Schneespur führt durch die sogenannte Wintergasse, ein trogähnliches Tal hinab, mindestens einen Kilometer weit. Am Anfang wackelt das Gros der Läufer noch reichlich unbeholfen, armrudernd um Gleichgewicht bemüht, dahin. Aber am effektivsten und kommodesten ist dann doch, in leichter Rückenlage einfach im schnellen Rutscheschritt den Schnee hinabzuschlittern. Nicht jeder schafft es, dabei die Vertikale durchzuhalten. Aber der Spaß und das Gejohle beim Fall in den weich-feuchten Untergrund ist groß. Ein positiver Nebeneffekt: Die matschbesudelten Schuhe werden blitzeblank. Der Nachteil: Sie sind innen wie außen auch pitschenass.

In Fels und Bächen läuft das Schneefeld aus. Und weiter geht es durch die Talsohle hinab. Überhaupt: Darauf einstellen kann man sich, dass es auf den verbleibenden 26 km jenseits des Kapruner Törls fast nur noch downhill geht, bis zum 1.850 m tiefer gelegenen Ziel in Kaprun. Entspanntes Laufen ist im schwierigen Gelände aber keineswegs angesagt. Von allen Seiten rauscht und spritzt das Wasser in großen und kleinen Bächen die Felswände hinab oder auch mitten durch unseren Weg.

Schon bald sehe ich aus der Höhe unser nächstes Ziel, sozusagen mein Kindheitssehnsuchtsziel: Den blauschimmernden Stausee Mooserboden. Und bin erst einmal ein wenig enttäuscht. Irgendwie habe mich mir da mehr erwartet. Auf den ersten Blick wirkt, zumindest von hier aus, die Bergwelt um den See weit weniger spektakulär wie bei den bisher schon besuchte Stauseen. Und der See selbst scheint auch nur gerade einmal halb gefüllt zu sein. Mindestens 20 m ragt die Staumauer auf der wasserzugewandten Seite aus dem See heraus.

Konzentrieren muss ich mich aber erst einmal auf den ausgesetzten, sich steil ins Stauseetal hinab windenden Pfad. Erst auf dem Höhenweg, der im Hang parallel zum Seeufer entlang führt, entspannt sich die Situation. Meine müden Beine wollen diese Entspannung aber nicht wahrhaben und so bin ich meist nur im Marschtempo durch die Blumenwiesen unterwegs.

 

Informationen: Großglockner Ultra-Trail
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