Es ist doch ein Kreuz mit den Silvesterläufen. Die in akzeptabler Entfernung hat man alle schon durch und der Trierer, zu dem ich eigentlich schon seit Jahren will, ist mit einer Startzeit von 17 Uhr einfach zu spät, um noch rechtzeitig zu den Jahresendfeierlichkeiten wieder zuhause zu sein.
Da stoße ich beim Googlen in den Laufkalendern der Leichtathletikverbände Rheinland und Nordrhein auf Gummersbach. Wenig mehr als eine Autostunde entfernt, Start um 11.10 Uhr über 10,7 km bei 266 Höhenmetern und als „ältester und härtester Silvesterlauf Deutschlands“ - 56. Ausgabe (noch älter als ich!) - bezeichnet – das ist genau meine Kragenweite. Mehr brauche ich nicht zu lesen, schon sind Elke (über 5 km) und ich angemeldet.
Dank hervorragender Beschreibung auf der Internetseite der veranstaltenden LG Gummersbach und ebensolcher Ausschilderung in der Stadt finden wir den Veranstaltungsort heute auch mal ohne Navi sofort. Startnummernausgabe, Umkleide, Duschen, Kaffee, Kuchen & Co., Siegerehrung finden alle in einer Sporthalle unmittelbar am Stadion Lochwiese/Kerberg statt. Dort erfolgen sowohl Start als auch Zieleinlauf. Nach den Schülerläufen geht es um 11 Uhr für ein ordentliches Feld von knapp hundert 5 km-Läufer los, zehn Minuten später dürfen auch die Läufer über die Hauptstrecke, knapp 180 an der Zahl (Rekordbeteiligung!) mit dem Schweißvergießen beginnen. Das Wetter tut dazu das Übrige – strahlendes Winterwetter bei etwa 5 ° C haben wohl viele Nachmelder zum Mitmachen animiert. Der Startschuß erfolgt übrigens, ganz dem heutigen Ereignis angemessen, in Form einer Silvesterrakete. Starke Sache!
Nachdem ich meine Panasonic Lumix, die mich fünf Jahre lang treu begleitet und Euch viele bunte Bilder beschert hatte, wegen erst partieller und dann multipler Ausfälle in den Ruhestand entlassen mußte, teste ich heute erstmals ihre Nachfolgerin. Daher wird die Kamera mein Lauftempo bestimmen, mein übliches „Volles Rohr, was die morschen Knochen noch hergeben“ wird es bei dieser vergleichsweisen Sprintstrecke nicht geben. Einer Eingabe von oben folgend, starte ich in GoreTex-Schuhen mit Gamaschen. Wie sinnvoll diese Entscheidung gewesen sein sollte, wird mir mit jeder Laufminute klarer werden.
Zunächst jedoch flitzen wir quer über das Kunstrasen-Fußballfeld, ein äußerst angenehmes Laufgefühl, das jedoch nicht lange anhält. Eine erste kleine Steigung führt uns über die einzigen max. 200 m Asphalt, dann verschluckt uns der Wald und bietet gute 10 km unterschiedlichste Untergründe. Kaum im Wald angekommen, steht alles, Stau vor einigen geländerbewehrten Serpentinen. Gut, daß ich keine Hektik habe, so ist es mir egal, hier bestimmt zwei Minuten liegenzulassen. Wer an dieser Stelle wirklich ungehindert durchkommen möchte, muß ganz vorne dabei sein. Kaum oben und wieder frei laufend, empfängt mich die erste Matschpassage. Zumindest empfinde ich die als solche in völliger Verkennung dessen, was noch kommen sollte.
Wunderbare Waldwege bei tollem Sonnenschein sind zu nehmen, es ist jetzt schon die pure Lust zu laufen. Ups – was ist das denn? Ein Wiesenweg, reiner Trampelpfad. Sollte dieser als Crosslauf bezeichnete Kurs wirklich mal halten, was einem so oft vollmundig versprochen, aber nicht gehalten wird? Das läßt sich ja gut an. Kerstin v. Scheidt, die sympathische WUT (Wiedtal-Ultratrail)-Läuferin 2013 und auch 2014 hatte es mir am Start prophezeit: „Du wirst diese Strecke lieben!“ Erste Glücksgefühle machen sich in mir breit. Dann eine feucht-matschige Bergabpassage, über die Elke im hinteren 5 km-Feld vorsichtig heruntereiert. Bald darauf schmiert einer ab und landet mit einem vollendeten halben Salto filmreif auf seinen vier Buchstaben. Die Warnung „Achtung! Wiesenrutsche“ kam für ihn zu spät. Egal, er berappelt sich hübsch verziert schnell wieder.
Etliche Streckenposten sichern uns beifallklatschend gegen mögliche Verlaufer ab; mit weiteren flotten Schildern versuchen uns die Veranstalter zu erheitern. Vollkommen unnötig, zumindest bei mir, denn ich habe Blut geleckt. Als wir das erste Mal von der 5 km-Runde auf eine Zusatzschleife geschickt werden, amüsiere ich mich über den Spendenkorb, in den 4 € für eine Abkürzung eingeworfen werden sollen/können/dürfen. Nee, Ihr Scherzbolde, keinen einzigen Meter lasse ich heute aus, meine Laune steigert sich exponentiell! Der Matsch nimmt zu, dicke Pfützen sind zu umkurven. Noch tue ich das auch… Gut, zwischendurch gibt’s auch mal ein paar trockene Meter, aber glücklicherweise nie lange.
Dann kommt der Oberhammer: Abbiegen zum Cross in den Märchenwald. Ja! Ja! Ja! Mit Trassierband ist eine lange Strecke quer durch den Wald vorgegeben, rechts rum, links rum, querfeldein, Matschepampe, fette Pfützen - geil! „Was ist das denn?“ fragt hinter mir entsetzt Norbert Korte, späterer Zweiter der M60. Das ist Cross, Herr Kollege, und zwar genau so, wie er sein muß! Kurzzeitig geht es aus dem Wald heraus, eine große freigeschlagene Lichtung läßt die Sonne durch, die uns die Herzen wärmt. Hatte ich schon mal erwähnt, daß es heute die pure Lust ist zu laufen? Und wieder geht es hoch hinein in den Wald, klar, wir sind ja auch im Oberbergischen Kreis, da ist es halt bergisch. Denkt der Nichtwissende, aber bergisch und bergig ist hier halt ein Unterschied, denn die Bezeichnung kommt von den seligen Grafen von Berg, die dem ehemaligen Herzogtum ihren Namen gaben.
Wieder kommt nach erfreulicherweise nur kurzer Erholung eine Cross-Passage, gefolgt von wieder festeren Wegen, die uns zum dritten Mal über die Kreuzung der beiden Läufe führt. Jetzt dürfen wir steil bergab springen, nicht ohne den wertvollen Tipp des zartfühlenden Streckenpostens mitzunehmen: „Paßt jetzt auf, daß Ihr Euch die Schuhe nicht dreckig macht!“ Au Backe, der Hinweis ist gut, denn der Hohlweg hat nochmal alles parat, was das Herz des Trailläufers höherschlagen läßt. Hunderte von Metern Matsch, Sumpf, Schmodder, um mich herum fallen die letzten Hemmungen – Augen zu und durch! Unfallfrei wird die kleine, schlüpfrige Brücke genommen und dann geht’s auf bestens zu belaufendem Weg im Schweinsgalopp Richtung Stadion. Schon ist der Sprecher zu hören, die kurze Asphaltphase wieder erreicht, das Stadion in Sicht und wie auf Wolken schwebe ich über den Kunstrasen ins Ziel. Wow!
Ich habe schon viele schöne Läufe gemacht, aber das hier und heute, gepaart mit dem sensationellen Wetter, war eindeutig mein schärfster Volkslauf bisher. Endlich mal ein Crosslauf, der seinen Namen verdient. Nur wenige hundert Meter Asphalt, über 10 km Naturboden, davon gefühlt die Hälfte satte Crossstrecke – Läuferherz, was willst Du mehr? Ja, genau, noch mehr davon!
Das hat Spaß gemacht, Lauf- und Schreibkollege Klaus Klein, der in der Nachbarschaft wohnt und trotzdem auch zum ersten Mal hier ist, empfängt mit als echter Kamerad mit einem Becher herrlich warmem und süßem Tee und strahlt ebenfalls über alle Backen. Die strahlen bei uns auch noch nach dem Genuß des reichhaltigen und preiswerten Kuchenbuffets. Die eineinviertel Stunden Anfahrt haben sich echt gelohnt und wenn eines, das bei mir nicht häufig vorkommt, klar ist: Hier war ich nicht zum letzten Mal! Vielleicht ist die Strecke ja ausbaufähig?
Streckenbeschreibung:
Welliger Kurs teilweise quer durch die Botanik mit hohem Trailanteil, die Anstiege über die 10,7 km addieren sich auf 266 Höhenmeter.
Startgebühr:
6 €
Zeitnahme:
Bib-Chip in der wiederverwendbaren Startnummer.
Weitere Veranstaltungen:
5 km, Schülerläufe.
Auszeichnung:
Urkunde, jede Menge Pokale für die Erstplazierten.
Logistik:
Optimal nahe durch Stadion und Sporthalle.
Verpflegung:
Im Ziel warmer Tee.
Zuschauer:
Fehlanzeige.