Das Feld ist nun nicht mehr so dicht und man kann auf dem welligen Terrain sein Tempo finden. Im Wald geht es dahin. Auf einer breiten Lichtung sehen wir zum ersten Mal die Sonne. Die meisten Läufer haben sich bereits ihrer Jacken entledigt. Es verspricht ein wunderbarer Tag zu werden. Kein Wunder, dass die Helfer an der Getränkestation Ascherbrück bei km 12,7 ordentlich zu tun haben. Wenn es warm wird, ist ausreichend Trinken von Anfang an oberstes Gebot. Vor allem dem warmen Tee wird reichlich zugesprochen.
Oben am Anstieg hinter km 15 liegt eine Station der Bergwacht. Die Helfer feuern uns an. Einer bietet einen Müllsack, in den die vorbeikommenden Läufer Überflüssiges umweltfreundlich entsorgen können. Das Angebot wird auch rege genutzt.
Bei km 18 kommt dann die erste richtige Verpflegungsstelle. Auf der Glasbachwiese gibt es das volle Programm: Äpfel, Bananen, Zitronen, Schmalz- und Butterbrote, liebevoll mit Schnittlauch bestreut. Und dann natürlich Schleim. Ich probiere zum ersten Mal Orangengeschmack. Der ist lecker!
Es folgt ein kleiner Singletrail, welcher in die erste Wurzelstrecke mündet. Bergauf muss man ganz schön die Füße heben. Der fast Blinde Didi und sein Guide überholen mich. Erstaunlich, wie sicher er trotz Sehbehinderung seine Füße setzt. Nach weiteren 100 Hm Anstieg zur Hirschbalzwiese und dann zur nächsten Getränkestelle Dreiherrenstein bin ich ein bisschen außer Puste. Hier bei km 20,6 wird jeder vorbeikommenden Frau ihre aktuelle Platzierung angesagt. Ich bin 290ste. Witzig finde ich, dass hier an der Getränkestation das Wasser ausgegangen ist. Es gibt nur noch Cola. Das habe ich oft genug anders herum erlebt.
Auf das folgende Gefälle folgt ein 5 km langer Anstieg. Dieser wird zwar immer wieder durch kleine Bergabpassagen unterbrochen, tendenziell geht es aber doch bergauf. Vor allem oben wird es dann auch einmal richtig steil. Das km 25 Schild und somit der Gipfel vom großen Inselsberg ist für mich ein erster Marker zum Ziel.
Mit 916,5 m ist er der vierthöchste Berg Thüringens und die zweithöchste Erhebung des Rennsteiglaufs. Mit seinen drei markanten Türmen kann man ihn bereits von weitem erkennen. Hier steht auch ein Gedenkstein zu ehren von Karl Volkmar Stoy. Ähnlich wie Johann GutMuths hat er sich um die körperlichen Ausbildung von Kindern und Jugendlichen in der Schule verdient gemacht. Stoy gilt als Erfinder des „Wandertages“, der ja bis heute an jeder Schule begangen wird.
Erleichtert erreichen die Läufer den Gipfel. Es geht über eine Zeitmessmatte, dann hat man Gelegenheit, die großartige Aussicht zu genießen. Nicht wenige zücken ihr Smartphones, um den Augenblick festzuhalten.
Die Straße und der Parkplatz der Gaststätte sind neu gerichtet und wirken gepflegt. Ich weiß, was jetzt kommt: hölzerne Treppen! Aber es wird noch besser - auf 1,3 km Länge geht es fast 200 Hm bergab. Das ist so steil, dass ich mit kleinen Schritten hinunter trippeln muss. Eine Gruppe Kinder im Vorschulalter steht an der Seite bereit, um jeden Läufer abzuklatschen. Den Kleinen macht es sichtlich Spaß und den Läufern auch. Das Gefälle scheint kein Ende zu nehmen. Ich sehne mich bereits nach der nächsten Steigung. Da hören wir Musik. Die Verpflegungsstation Grenzwiese bei km 26,8 ist erreicht. Es gibt nun zusätzlich Salamibrot. Ich habe den Fotoapparat und einen Becher mit Schleim in der einen Hand und in der anderen Hand ein Butterbrot. Eine Helferin bietet mir Salz an und weil ich allem Anschein nach mit dem Angebot überfordert bin, streut sie dieses auch gleich auf mein Brot. Danke für so viel Aufmerksamkeit.
Bis zur Getränkestation Possenröder Kreuz bei km 33,6 geht es immer wieder rauf und runter. Mir gelingen hier ein paar hübsche Aufnahmen von den Höhenzügen des Thüringer Waldes. Wir passieren einen der neuen Aussichtstürme, die am Rennsteig gebaut wurden. Diese zwischen drei und acht Meter hohen Stahlkonstruktionen sind überdacht und so mit Lärchenholz verkleidet, dass sie sich gut in die Landschaft einfügen. Jeder soll um die 125.000 Euro gekostet haben. Aber ich finde, das hat sich wirklich gelohnt. Ein Läufer klettert flugs hinauf. Dass der nichts anderes zu tun hat!
Es geht auf Mittag zu. Beim Überqueren der Straße steht ein Mann mit einer Fernsehkamera. Der MDR berichtet ausführlich vom Rennsteiglauf. Langsam werde ich müde. Am Possenröder Kreuz bewundere ich die große Gulaschkanone. Außerdem wird Thüringer Rostbratwurst als Verpflegung für die Helfer zubereitet. Ich stärke mich mit Cola und Banane. Mühsam kämpfe ich mich weiter. Auch um mich herum sind mittlerweile die Gespräche verstummt. Irgendwie ist gerade die Luft raus. Mich überholen zwei Mädels, die noch guter Dinge zu sein scheinen. Schnell mache ich ein Foto von ihnen. Es handelt sich um zwei Rennsteigneulinge, wie sie mir im Vorbeilaufen zurufen. Na, wenn die weiter so flott laufen, ist das Finish kein Problem.
Ein Schild kündigt die nächste VP in 1000 Meter Entfernung an. Es geht etwas bergauf. Bald kommt ein Schild, von wo aus es nur noch 500 m sein sollen. Höre ich von Ferne nicht schon Musik und Sprecheransagen? Doch, genau, noch eine letzte Kurve und die Ebertsweise liegt unter mir. Beschwingt laufe ich den breiten Weg hinunter. Es geht über die Zeitmessmatte: Die Hälfte der Strecke ist geschafft.
Diese Wiese gilt wegen seiner üppigen Vegetation als die schönste Bergwiese des Thüringer Waldes und ist nach Eberhard, dem ersten Abt von Georgenthal, benannt. Früher trafen sich hier alte Handelsstraßen, die die Messestädte Frankfurt, Nürnberg, Erfurt und Leipzig verbanden. Heute sieht es hier aus wie auf einer Kirmes. An den Ständen werden übersichtlich die verschiedenen Spezialitäten angeboten. Ich mache das obligatorische Bild von den heißen Brühwürsten aus dem Kessel. Dann wende ich mich dem Stand mit dem Schleim zu. Hier bin ich besser aufgehoben. Dann suche ich das Sanitätszelt auf. Schon seit einigen Kilometern schmerzt mein Knie. Der Sanitäter kühlt es mit Kältespray und will wissen, ob ich weiter laufen will. Was ist das für eine Frage? An einem Tisch hat es Platz. Gemütlich setze ich mich, um die anderen Läufer zu beobachten.
Irgendwann muss ich aber weiter. Zunächst führt der Weg bergauf. Oben versuche ich anzulaufen. Aber mein Knie schmerzt immer noch und so beschließe ich, vorerst so viel wie möglich zu wandern. Nur bergab falle ich in leichten Trab. In Rudi finde ich nun einen Leidensgenossen und Gesprächspartner. Er überlegt an der nächsten VP, Neue Ausspanne, auszusteigen. Schade wäre es schon, wenn er seinen 11. Rennsteiglauf nicht beenden könnte.