Als ich mich an der Getränkestation bediene, hat sich das Wetter geändert. Schwarze Wolken verdunkeln den Himmel. Hoffentlich hält das noch. Es geht wieder bergauf. Hinter einer Kurve öffnet sich der Wald und macht einer weiten Wiesenfläche Platz. Hier sitzt eine Gruppe Jugendlicher auf Campingstühlen, die eine La-Ola-Welle nach der anderen für die Läufer machen. Das motiviert für das folgende lange Stück auf dem Feldweg. Hier weht ein unangenehmer Wind von vorne.
Auf dem folgenden Abschnitt, nun wieder bergauf, überholt mich Rudi, mein Gesprächspartner von vorhin. Er ist doch nicht ausgestiegen. Dies sei meine Schuld, sagt er. Schnell steigt er vorbei und bald verliere ich ihn aus den Augen. Er wird in unter 10 Stunden das Ziel erreichen.
Bei der VP Neuhofer Wiesen km 45,4 gibt es kleine geräucherte Würste und Brot. Ich bleibe bei Schmalzbrot mit Salz und Schleim. Irgendwie ist der Schmalz auch an meine Hände geraten. Vergeblich versuche ich sie an der Laufkleidung sauber zu bekommen. Ein Helfer hilft mir mit Wasser. Der weitere Weg verläuft durch ein Feuchtgebiet. Heute ist der Untergrund weitgehend trocken. Rechts und links sieht man ein paar Tümpel.
Es geht hinauf zum Aussichtspunkt Hoher Schorn. Hier ist abermals einer der neuen Türme zu bestaunen. Auf der anderen Seite geht es wieder hinunter. Ich sehe bereits die nächste Steigung; da zweigt der Weg auf einmal scharf rechts ab. Die Pfeile auf dem Boden sind nicht zu übersehen. Kurz laufen wir auf einem unwegsamen Trail, dann geht es steil bergauf am km 50 Schild vorbei. Beim Supermarathon gibt es nur alle 5 Kilometer eine Kilometeranzeige. Jedes Schild ist dadurch ein großer Sprung nach vorne.
An der Getränkestelle Gustav-Freytag-Stein sitzen Helfer auf einer Bank. Einer hat ein Bier - das wäre jetzt genau das richtige für mich. Der Mann sieht meinen Blick und deutet ihn ganz richtig. Bis zum Rand füllt er meinen Becher. Wir stoßen an und ich trinke den Rest im Weitergehen. Die Zeitmessung zeigt 13 Uhr 25. Ich bin eine halbe Stunde später dran, als in den Vorjahren. Mein Knie zwingt mich immer noch zu längeren Gehpausen.
Bis zum Grenzadler ist es ein Katzensprung. Zweimal überqueren wir die Rollerskatingstraße, die im Sommer den Biathlethen und Langläufern als Trainingsstrecke dient. Der Grenzadler bei Oberhof bezeichnet eigentlich den mannshohen Grenzstein mit preußischem Adler, der die frühere Grenze auf der Schützenwiese zwischen Preußen und Kurhessen markierte. Heutzutage ist der Name mit bekannten Wintersportstätten verbunden: dem Biathlonstadion, einer Rodelbahn, dem Skihang und etwas weiter unten zwei Skisprungschanzen. Seit April gleicht das Areal einer Großbaustelle. Geplant sind ein multifunktioneller Hallenkomplex und vor allem ein großer Teich als Wasserspeicher für die umfangreichen Beschneiungsanlagen. Damit will Oberhof zukünftig für wintersportliche Großereignisse gerüstet bleiben.
Für die Rennsteigläufer verläuft die Strecke etwas oberhalb der Baustelle und führt dann über die Parkplatzzufahrt zur Skisporthalle. Vorher ist das Ziel für die Wanderer und eine weitere Zeitnahme für die Supermarathonläufer - mit der Möglichkeit auszusteigen. Ein Transport mit Kleinbussen zum Zielort Schmiedefeld wird hier vom Organisator bereitgestellt. Zwei Sprecher begrüßen jeden Läufer und sprechen kurze persönliche Worte. Hier ist ein windiges Eck. Das Wetter hat bisher gehalten, nun weht aber ein kalter, böiger Wind über die große Freifläche.
Eine kurze Rast mit Schmalzbrot und Himbeerschleim - und ich bin wieder auf dem Weg vorbei an den gefinishten Wanderern, die sich in das schützende Buswartehäuschen zurückgezogen haben. Es geht am km 55 Schild vorbei, knieschonend bergauf. Oben ist der Spaß vorbei. Auf dem langen Bergabstück versuche ich sämtliche Varianten, um das Knie zu entlasten. Am besten geht es noch, wenn ich den Schmerz einfach ignoriere.
Unten überqueren wir die B 247 auf einer futuristischen Bogenbrücke. Hier befindet sich das Rondell, ein steinerner Obelisk als Denkmal der Verkehrsgeschichte an der Kreuzung der B 247 mit dem Rennsteig. Der Name Rondell rührt von einem runden Rasenstück, das früher den Obelisken umgab. Hier stehen Schaulustige, die klatschen und tröten. Im Vorbeilaufen ruft mir einer zu, dass ich ihn schon zum dritten Mal fotografiert hätte. Ich schaue mir den Fan genauer an und erkenne ihn wieder. Im Ziel wird er mich und die anderen zum vierten Mal anfeuern.
Bis zur Getränkestelle Sommerwiese geht es wellig weiter. Der Sprecher begrüßt uns mit der Verheißung, es wären nur noch 12 Kilometer zum Ziel. Gefühlsmäßig kann das nicht sein. Wenn ich mich nicht irre, sind es noch 14 Kilometer. Ist aber auch egal. Ich labe mich erneut an Schmalzbrot und dunklem Köstritzer. Das hat mich hier bereits in den letzten Jahren beflügelt. Am Ende des Areals hat ein Mann eine riesige Musikanlage aufgebaut. Ein Schild mit der Aufschrift “Du bist schön“ bringt mich zum Schmunzeln.
Nun folgt ein weniger schönes Stück: der breite Weg ist im Winter wohl eine Skipiste. Ohne Schnee wirkt der erdige Weg ziemlich trostlos. Es geht wellig dahin, tendenziell aber hinunter. Unversehens zweigt es dann aber wieder auf einen netten, für den Rennsteig typischen Waldweg ab und das Laufen macht gleich viel mehr Spaß, obwohl es nun wieder bergauf geht. Schilder weisen auf das Biosphärengebiet hin, das sich um den Gipfel des Großen Beerbergs erstreckt. Bald haben wir den höchsten Punkt der Strecke mit 973 m erreicht. Wir genießen im Vorbeilaufen „Plänckners Aussicht“.
Jetzt geht es bergab und der Weg ist gut zu laufen. Vor der VP Schmücke ist nochmal eine Wiese zu überqueren. Der löchrige Untergrund fordert einem nochmal alles ab. Dann geht es über die Zeitmessung zur VP.
In diesem Moment öffnet der Himmel seine Schleusen und von jetzt auf gleich gießt es wie aus Eimern. Ich stelle mich notdürftig an der VP unter. Immer mehr Läufer finden sich ein. Die Helfer öffnen ihr Zelt um die Herde aufzunehmen. Ein paar Mutige laufen weiter; ich aber beschließe, den schlimmsten Regen abzuwarten. Es gibt genügend Schmalzbrot und Bier, meine Lage könnte schlechter sein.
Plötzlich, wie es gekommen ist, so plötzlich hört es auch wieder auf. Der Streckenposten, der den Übergang über die Straße sichert, meint, heute seien schon mehr Läufer nass geworden.
Ein Singletrail führt abseits der Straße bergab. Dann geht es auf einen breiten Weg. Bei mir läuft es jetzt wieder ganz gut. Die Schmerzen im Knie ignoriere ich noch immer. Es geht stetig weiter bergab. Das km 65 Schild kommt vorbei. Trails wechseln ab mit extrem steinigen Wanderpfaden. Insgesamt tut die Abwechslung gut, aber der anspruchsvolle Untergrund fordert die letzte noch vorhandene Konzentration.
Schon eine Weile folgen wir den Schildern des Halbmarathon, bei dem jeder einzelne Kilometer ausgewiesen ist. Bei km 16 (Halbmarathon) kommt der letzte Anstieg und danach bei km 68 die letzte Getränkestation Kreuzwege. Da ich nun schon mal bei Bier bin, bleibe ich auch dabei. Ein breiter Waldweg schlängelt sich sanft nach unten am km 69 Schild vorbei.
Da vorne ist der Schmiedefelder Skilift. An dieser baumlosen Stelle kann man einen Blick auf den heißersehnten Zielort werfen. Dann ist mein Fotoakku leer. Es geht nochmals über eine Straße und links auf einen kleinen Weg. Die Läuferin vor mir wird von einem Begleiter informiert: „Noch eine kleine Steigung, dann bist Du schon im Ziel“.
Hoffentlich nimmt die Frau das nicht allzu wörtlich. Denn wie immer ziehen sich die letzten Kilometer. Die kleine Steigung nutze ich nochmals zum Gehen. Da vorne ist ein großer roter Torbogen, der leider noch nicht unser Zieltor ist. Er kündigt aber, beschallt von lauter Musik, den letzten Kilometer an. Die Anwohner klatschen und beglückwünschen uns bereits. Die Weiche für den Zieleinlauf der verschiedenen Wettbewerbe kommt in Sicht. Noch eine Kurve und ich sehe das Ziel.
Der Anblick ist gigantisch. Ich hatte schon vergessen, wie fantastisch das ist. Vorne sind der lange Zielkorridor und dann bereits das Zielbanner. Dahinter auf der Anhöhe der Campingplatz mit den Wohnmobilen. Das muss man einfach selbst erlebt haben. An den Absperrungen stehen immer noch viele Zuschauer und klatschen und jubeln. Auch den Fan von unterwegs kann ich erkennen. Ich bin noch ein paar Meter vom Ziel entfernt, da werde ich bereits angesagt.
Stolz nehme ich meine Medaille in Empfang. Norbert beglückwünscht mich und nimmt mir meine Startnummer ab, um damit meinen Kleiderbeutel abzuholen. Mein erster Weg führt zu den Sanis, die mein Knie mit Eis kühlen. Es gibt noch eine Flasche Köstritzer, eine Suppe im Zelt und das einmalige Finisher Shirt. Im Vorbeigehen bekomme ich mit, dass der Vorjahressieger des Supermarathons, Christian Seiler, in diesem Jahr den Marathon gewonnen hat.
Der Rennsteiglauf ist etwas ganz Besonderes. Er ist, wie Herr Ramelow schon erwähnt hat, ein großes Abenteuer und wer hier besteht, kann sich zu Recht als Held feiern lassen. Die Atmosphäre auf der Strecke und das Drumherum sind eine Mischung aus „Großer Sause“ und Volkssportveranstaltung. Zum einen wird geschlemmt und getrunken, zum anderen werden laufstrecken von 21 bis 72 km bewältigt. Walker und Wanderer sind selbstverständlich auch dabei.
Wer hier einmal gelaufen ist, versteht, was ich meine. Die Bevölkerung, die durch die umfangreichen Streckensperrungen und Änderungen eingeschränkt ist, scheint das nicht zu stören. Im Gegenteil: Es wird rege Anteil genommen, wenn man nicht sowieso als Helfer engagiert ist. Das lässt hoffen, dass es mindestens nochmal 43 Jahre so weiter geht.
Weitere Bilder vom Marathon ab Neuhaus
gibt es hier auf Marathon4you.de
Einen Laufbericht mit Bildern vom Marathon
gibt es hier auf Marathon4you.de
Männer
1 Jurkschat, Wolf (GER) GutsMuths RSLV - 05:41:45
2 Lynas, Matthew (GBR) GutsMuths RSLV - 05:43:44
3 Blasbichler, Josef (ITA) SG Eisacktal - 05:44:58
Frauen
1 Hempel, Kristin (GER) KS-Sportsworld - 06:16:50
2 Ahrendts-Konold, Silke (GER) LT Herbrechtingen - 06:26:23
3 Giesen, Britta (GER) Laufwerk Hamburg - 06:33:25
2080 Finisher
Männer
1 Seiler, Christian (GER) GutsMuths RSLV - 02:43:01
2 Weigel, Christoph (GER) USV Erfurt - 02:53:04
3 Militzke, Martin (GER) TV 1848 Coburg - 02:55:39
Frauen
1 Kusterer, Nora (GER) SV Oberkollbach - 03:01:31
2 Herzberg, Anna (GER) KS-Sportsworld - 03:21:05
3 Rottenbach, Christina (GER) KS Sportsworld - 03:21:24
2704 Finisher