So steil es zuletzt auf den Inselsberg hinauf ging, so steil geht es auf der anderen Seite hinunter. Auf nur 1,3 km verlieren wir 170 Höhenmeter. Der zunächst asphaltierte, teils gestufte Weg fordert die Beinmuskeln aufs höchste. Einen Schweinsgalopp traue ich mir nicht zu, weil mir der Boden teilweise rutschig erscheint. Andere sind da nicht so zimperlich und rauschen an mir vorbei. Ich bin bloß froh, dass der Boden nicht auch noch nass ist.
Die Verpflegungsstelle Grenzwiese beendet dieses Teilstück und läutet - wieder auf Naturwegen - ein relativ gemütliches Dahintraben auf einem Höhenniveau von 700 bis 800 m üNN ein. In zahllosen Wellen zieht sich die Strecke durch die üppig grüne Natur. Der Läuferstrom hat sich nun schon so weit auseinander gezogen, dass nur vereinzelt das Trappeln der Schuhe das Zwitschern der Vögel übertönt. Das ändert sich allerdings ab der Getränkestelle Possenröder Kreuz (km 33,6). Denn hier stoßen die Wanderer der 35 km-Strecke Schnepfenthal - Oberhof mit auf die Strecke. Gerade die im hinteren Teil des Feldes marschierenden Wanderer treten, ganz dem Klischee entsprechend, primär in Form dynamisch gekleideter, stockbewaffneter Nordic Walker im “Kampfverband” in Erscheinung. Es ist aber eine durchaus friedliche Koexisenz: Ich muss keine Umwege durch den Wald nehmen. Die Wanderer begleiten uns bis zum Grenzadler bei Oberhof und im vorderen Feld sind durchaus welche dabei, die, nicht selten hundbegleitet, ein beeindruckendes Tempo vorlegen.
Auf der Ebertswiese bei km 37,5 ist die Hälfte der Strecke geschafft und die nächste Verpflegungsstation erreicht. Die Getränke- und Verpflegungsstellen entlang des Rennsteigkurses - insgesamt 15 an der Zahl - sind ohne Zweifel eines der besonderen Markenzeichen des Laufs. Oft urplötzlich tauchen sie aus dem Grün auf, stets sind sie ein Ort der Freundlichkeit und aufmunternden Worte. Mal wird Musik gespielt, mal wird man per Lautsprecher begrüßt. Jede wird von einem bestimmten Verein betreut. Das kulinarische Angebot ist einmalig. Was man von anderen gut ausgestatteten Läufen so kennt, gibt es hier natürlich auch: Wasser, Tee, Isotonisches, Cola, Apfel, Bananen.
Beim Rennsteig kommen allerdings weitere Spezialitäten hinzu, so etwa Schmalz- und Wurstbrote, Heidelbeersuppe (lecker!) oder der legendäre warme Haferschleim. Letzteren würde ich „freiwillig“ wohl nie probieren – aber mittlerweile weiß ich: Gerade bei einem so langen Lauf ist er einfach genial. Dazu kommen stationsspezifische Spezialitäten, wie grobe Mettwürste, Gürkchen, heiße Bouillon und für den, der es wirklich braucht: Köstritzer Schwarzbier.
Unter den Verpflegungsstellen sticht die auf der Ebertswiese in besonderer Weise hervor. Zum einen ist es sicher die malerische Lage auf der großen Wiesenlichtung im Wald, auch ist die Versorgung hier noch ein bisschen üppiger als sonst. Wer zum Beispiel unbedingt heiße Wiener Würstchen zur Regeneration braucht: hier gibt es selbst so etwas. Und dann spielt natürlich auch der Psychofaktor eine Rolle. Denn wir wissen: Genau die Kraft, die wir bisher verschwendet haben, müssen wir jetzt nochmals vorhalten - hmm ..... Wie dem auch sei: wie nirgendwo sonst fällt es mir schwer, mich wieder zu verabschieden, aufzuraffen, loszulaufen.
Davon, dass auch die zweite Hälfte kein Zuckerschlecken wird, dürfen wir uns stante pede überzeugen: Denn sogleich ist der nächste Anstieg bewältigen. Es sind zwar nur 50 Höhenmeter zum nahen Glasberg hinauf, doch selbst kleinere Steigungen merke ich jetzt schon deutlich. Hinzu kommt, dass mein ebertswiesenbedingt angespannter “Ranzen” nicht unbedingt die Lauflust fördert. Mein innerer Schweinehund hat daher leichtes Spiel, mich zu einem Verdauungsspaziergang zu überreden. Fast schon beruhigend ist, zu sehen, dass es den anderen genauso geht.
Durch Wald und Wiesen kämpfe ich mich von einer zur nächsten Versorgungsstation. So schön die Umgebung auch ist: Immer schwerer fällt es mir, mich zum Weiterlaufen zu motivieren, nach einem Berganstück wieder den Übergang vom Marschier- in den Laufschritt zu finden. Wie gut ist es da, wenn man unterwegs nette Gesprächspartner findet, die einen ein Stück des Weges begleiten und so die Anstrengung fast schon vergessen lassen. Und das ist hier nicht schwer. Zunächst ist es Joachim aus Saarbrücken, später Dirk, der mir Gesellschaft leistet.
Spannend wird es auch am Himmel: Schwarze Wolkenbänke verheißen nichts Gutes, aber gerade im Gegensatz zur weiterhin gleißenden Sonne bilden sie einen reizvollen Kontrast. Ein paar dicken Regentropfen kann ich nicht entkommen, aber das war es zunächst einmal.
Die Verpflegungsstation “Grenzadler” nahe dem thüringischen Wintersportzentrum Oberhof bei km 54,7 bildet den nächsten Meilenstein unserer Streckenkurses. Wer genug hat, hat hier die Möglichkeit zum offiziellen Ausstieg mit Zeitnahme und kann einen Shuttlebus ins Ziel nehmen. Diese Option wird aber von den wenigsten wahrgenommen.