Von keiner Veranstaltung gibt es auf Marathon4you mehr Laufberichte und Bilder als vom Rennsteiglauf. Und seit drei Jahren wird er von unseren Lesern zum beliebtesten Marathon des Landes gewählt. Also sind jetzt Judith und ich an der Reihe, den viel gelobten Traditionslauf auch einmal zu erleben. Und schon sind wir auf dem Weg ins „Grüne Herz Deutschlands“ nach Thüringen.
Der Rennsteig ist ein 170 km langer Kammwanderweg von Eisenach nach Blankenstein durch den Thüringer Wald, das Schiefergebirge und den Frankenwald bezeichnet. Mit 100.000 Wanderern jährlich ist er der meistbegangene Weitwanderweg der Bundesrepublik. Sein Kennzeichen ist das große „R“. Über neue Autobahnen ist er leicht zu erreichen, doch ebenso könnte man per Zug anreisen, denn viele Eisenbahnstrecken am Rennsteig werden noch betrieben.
Der gut 73 km lange Supermarathon beginnt im Westen in Eisenach, der Marathon im Osten in Neuhaus. Beide Läufe haben ihr Ziel in Schmiedefeld. Die Halbmarathonis laufen die letzten 21 km der Ultra-Strecke von Oberhof aus.
Somit leistet sich die Region eine 115 km lange Laufstrecke und drei verschiedene Startorte mit allem Drum und Dran. Wir fahren erst mal zur Startnummernausgabe in die GutsMuths-Sporthalle in Neuhaus am Rennweg. Die Anfahrt ist gut ausgeschildert. Um 19:00 Uhr tobt in der Halle schon der Bär. Die Tanzband Hess macht Stimmung und viele Gäste rocken schon auf der Tanzfläche ab. Party habe ich nach zweistündigem Stau auf der Autobahn nicht so im Sinn. Da kommt die Rinderroulade samt Blaukraut und Klößen schon eher wie gerufen. Das ist mehr, als der schlichte Name Kloßparty vermuten ließ. Das Essen ist im günstigen Startpreis ebenso enthalten wie ein Gutscheinheft des Drogeriemarkts DM, eine Sonnencreme, ein Dextro-Energy-Gel und die „langen“ Bustransfers. Viele Informationen gibt es in der Starterzeitung und im Internet. Und in den schon erwähnten zahllosen Berichten auf M4Y.
Die große Veranstaltung füllt natürlich auch die Hotels, Pensionen und Campingplätze der Region. Wir hatten das Glück, im Internet gleich in der Nähe eine Unterkunft zu finden, sodass sich die Anreise am nächsten Morgen kurz gestaltet. Frühstück gibt es ab 4:30 Uhr.
Nach dem ziemlich verregneten Freitag werden wir am Samstagmorgen von Sonnenstrahlen geweckt. Was für eine Überraschung. Am Start in Neuhaus ist natürlich schon die Hölle los. Die Freiwilligen weisen uns einen Parkplatz zu und schon stehen wir im Startbereich. Leider nur vom Toilettenhäuschen aus höre ich das Rennsteiglied und den Schneewalzer. Kurz nach dem Startschuss treffe ich Judith wieder, die auf mich gewartet hat. Los geht‘s.
Die ersten Höhenmeter sind schon gleich in Neuhaus zu bewältigen. Unzählige Zuschauer und Bewohner feuern uns am Streckenrand an. Ich finde es toll, wie sich der hiesige Baustil von dem im nahen Franken unterscheidet. Man fühlt sich sofort wie im Urlaub. Wir laufen jetzt erst mal fünf Kilometer auf der Straße Richtung Süden. Dadurch kann sich das Teilnehmerfeld leicht sortieren, was es uns auf dem schmaleren Rennsteig dann einfacher machen wird. Ein Nikolaus- und Weihnachtsartikelverkauf grüßt am Wegrand. Hier gibt es viele Glasbläsereien, die den begehrten Christbaumschmuck anfertigen. Das neue Industriegebiet ist gut im Wald versteckt.
Schön bergab „rollen“ wir jetzt dahin. Der Rennsteig-Wanderweg liegt gleich neben der Straße und wird später von den erstmals auf dieser Streckenlänge folgenden Power- und Nordic Walkern belegt. 42 Kilometer zu wandern scheint mir auch eine ganz schöne Herausforderung zu sein. 769 Höhenmeter bergauf und 844 bergab stehen uns heute bevor.
Km 5,8, erster VP-Punkt bei der Steinheider Hütte, und dann geht es runter von der Straße. In den folgenden vier Stunden werden sich Asphalt, Waldstraße, Matsch und Singletrail immer wieder abwechseln.
Alle Bewohner von Limbach scheinen an der Straße zu stehen, um uns zu feiern. Wunderschöne Ausblicke über die grünen Wiesen auf die waldbestandenen Hügel. „Bei uns erleben Sie Höhepunkte“, liest man auf der nächsten Bergkuppe. Die Wanderregion ist perfekt ausgeschildert. Es wirkt so, als gäbe es hier an jeder Ecke Richtungsschilder. Die brauchen wir nicht. Bei 3.000 Startern sind wir im Mittelfeld nie allein. Und auch sonst ist die Laufstrecke sehr gut markiert und viele Helfer sind im Einsatz. „Maik, du schaffst es“ steht auf dem Schild einer jungen Zuschauerin am nächsten VP Dreistromstein. Keine Ahnung, ob Maik schon vorbei ist. Der dreiseitige Obelisk markiert hier die Wasserscheide zwischen Weser, Elbe und Rhein.
Ich genehmige mir eine thüringische Banane und lasse mir dann von einem einsamen Trompeter den Marsch blasen. Noch haben Judith und ich es eilig. Die Werrataler Musikanten spielen in der Lichtung Friedrichshöhe auf. Aber nicht nur die Naturfreunde kommen heute auf ihre Kosten. Rechts von uns liegt unsichtbar das größte Pumpspeicherkraftwerk Deutschlands im Wald versteckt. Mit 1060 MW Leistung in der Größenordnung eines AKWs. Für Führungen durch die Anlage muss man sich Monate vorher anmelden. Wir sehen dafür die Trasse der neuen 380 kv-Hochspannungsleitung, die den Windstrom aus dem Norden nach Bayern bringt oder im Pumpspeicher parkt. Die Schneise sieht noch recht wild aus, aber da wird hoffentlich bald Gras drüber wachsen, so wie das auch nach dem Orkan Kyrill oder nach geplanter Abholzung wieder passiert ist, wie langjährige Teilnehmer berichten können.
Der Bahn-Maulwurf folgt gleich danach „ 235 Meter unter Ihnen haben wir fertig geröhrt. Gut Runst!“ informiert uns ein Schild. Hier werden bald die ICE zwischen Nürnberg und Berlin mit 300 km/h verkehren. Mit „Runst“ bezeichnet man übrigens eine Wanderung auf dem Rennsteig. Die Gründer des Rennsteigvereins hielten es vor einem guten Jahrhundert für eine gute Idee, aus dem Verb „rennen“ das Substantiv „Runst“ abzuleiten, wie „Kunst“ von „können“.
Tiere sieht man heute keine. Und ich hatte doch was von einem grünen Rennsteighopper gelesen, der mal das Maskottchen werden sollte.
Und plötzlich spricht uns Andreas aus Eisenach an, den wir beim Salzkammergut-Marathon kennengelernt haben. Der freut sich, dass wir endlich auch zum Rennsteig zu kommen. Da bekomme ich dann auch gleich noch Tipps von einem Einheimischen. Mir waren schon die vielen Grenzsteine aufgefallen. 1.300 sollen es sein. Anscheinend gab es hier viele unterschiedliche Herzogtümer und Landesgrenzen. Auf einigen Steinen sehe ich Jahreszahlen aus dem 18. Jahrhundert.
Und dann weist Andreas mich noch auf die „DDR-Harley“ Simson S50 am Wegesrand hin, ein vom VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ produziertes Kleinkraftrad mit 60 km/h Höchstgeschwindigkeit, das gemäß Ausnahmeregelung im Einigungsvertrag zulassungsfrei in Deutschland gefahren werden kann. Wenn ich mich nicht irre, habe ich in Schmiedefeld ein Motorradgeschäft gesehen, vor dem viele historische Maschinen stehen.
Und dann nimmt mir Andreas noch das Versprechen ab, am nächsten VP „Turmbaude Masserberg“ unbedingt den legendären Schleim zu probieren, ohne den der Rennsteiglauf nicht denkbar wäre. Der Masserberger Schleim sei der beste der ganzen Strecke, nach Geheimrezept zubereitet. Also freue ich mich schon auf den VP, der sich durch einen modernen und hohen Aussichtspunkt ankündigt. Die Rennsteigwarte ist mit 33 Metern Höhe der einzige Aussichtsturm direkt am Wanderweg. An ihrem Fuß gibt es ein Restaurant und eine große Verpflegungsstelle für uns. Ich lasse mir den Schleim schmecken. Außerdem drückt man uns einen Andenken- und Kontrollstempel auf die Startnummer. Der folgende Kilometer vergeht wie im Flug, ob das nun am Schleim liegt oder doch eher an dem starken Gefälle, das uns vom Eselsberg hinunter nach Masserberg bringt. Dann wieder durch die Sommerwiesen nach oben. So wie es eigentlich immer wellig dahingeht. Wellig bedeutet für uns auch mal ein zügiges Marschieren. Der oft erwähnte und berüchtigte Hohlweg steht nun auf dem Programm. Der Sprecher am Start hatte uns vor den vielen glitschigen Wurzeln gewarnt.
Im schnellen Gänsemarsch geht es bergab. Überholen ist meist nicht möglich. Stört mich aber nicht, da diese Geschwindigkeit genau meinem Tempo entspricht. Was aber auch bedeutet, dass erfahrene Downhill-Läufer sich langweilen werden. Ich finde die Zeit, mich mit einem Läufer zu unterhalten, der die „Downtime reduzieren“ will. Der Aufdruck auf seinem Shirt macht Reklame für eine Roboterfirma, die dafür sorgt, dass Autokarosserien „just in time“ fertig werden. Und da soll noch einer sagen, Laufen bildet nicht.
Die nächsten Kilometer bestechen besonders durch die Mittagssonne über den Wiesen zwischen den Waldstücken. Einige Kilometer führt der Rennsteig direkt an der gesperrten Straße entlang. Man läuft auf Teer oder auf weichem Waldboden, ganz nach Wunsch. Unvermittelt geht es dann wieder auf einen Singletrail.
In der nächsten Senke dann der Weiler Kahlert samt Musikgruppe. Sehr gediegen ist es in Neustadt. Der VP bei km 28 verwöhnt uns nach einem Anstieg mit vielen Köstlichkeiten. Für mich ist es nun auch Zeit für ein Wurstbrötchen. Die Getränke- und Essensausgaben sind echte Hingucker. Hier zeigen die organisierenden Vereine viel Liebe zum Detail. Wir revanchieren uns, indem wir die Becher brav in einen der vielen Sammelbehälter nach dem VP werfen. Toilettenhäuschen sind übrigens auch vorhanden.
Ein Restaurant in Neustadt offeriert „echte Klöße“ und zwingt mich nachzudenken, wie wohl „unechte Klöße“ aussehen. Die Pension „Sonne“ am Rennsteig entspricht der aktuellen Wetterlage. Ein nagelneues Massiv-Blockhaus steht am Wegrand. Nur das klapprige Auto davor passt nicht zu dem noblen Anwesen. Da habe sich wohl jemand finanziell übernommen, meint der Läufer neben mir.
Ich gebe ein bisschen Gas, um den Mitstreiter im SportScheck-Stadtlauf-Hemd zu überholen. Interessanterweise steht aber der Ort nicht auf dem Hemd, wie sonst üblich. Ich frage nach, doch Jörg möchte nichts dazu sagen. Wenn es um häufige Teilnahmen geht, rangiert bei mir der Stadtlauf München mit über 15 Mal noch vor dem München-Marathon. Hier am Rennsteig kann man über so etwas nur milde lächeln. Viele Läufer sind hier Mehrfachäter, einige haben sogar schon 40 der 45 Veranstaltungen mitgemacht. Andererseits sind auch viele junge Sportler dabei. Eine schöne Mischung.
Der Große Dreiherrenstein kündigt sich mit einem langen, quälenden Anstieg an. Hier muss jeder mal gehen. Mir bleibt es anhand der Single-Trails und der Anstiege ein Rätsel, wie die Erstplatzierten Nora Kusterer und Marcel Krieghoff diese Strecke in 2:54:00 und 2:34:22 bewältigen können. Dieses Jahr besteht für die Marathonteilnehmer hier eine Ausstiegsmöglichkeit mit Wertung und Prämierung. Auf diese Weise können sie ihr Rennsteigsammelkonto offiziell um eine weitere erfolgreiche Teilnahme erhöhen oder sich an den Marathon herantasten. Am 808 Meter hoch gelegenen Dreiherrenstein liegt der Kreuzungspunkt mehrerer alter Handelswege. Über Jahrhunderte hinweg gab es hier auch Grenzkontrollen zwischen den anliegenden Fürstentümern.
„Abdullah“ lese ich jetzt, doch der richtige Name lautet „Allzunah“ und bezeichnet somit nur auf den ersten Blick eine arabische Enklave. Im Jahre1692 eröffnete ein Franz Wenzel hier an der Poststraße eine Glashütte. Die Glashüttenbetreiber in Stützerbacher fanden, dass sich dieser neue Konkurrent in allzu großer Nähe zu ihrem Betrieb angesiedelt habe, und so entstand der Name. Dazu irgendwie passend erwartet uns eine Guggenmusik. Wir rasen weiter nach Frauenwald. Dazu lese ich, dass es hier bis 1520 ein Frauenstift gab, welches auf Graf Poppo IV zurückgeht, der sich 1177 in dem Wald verirrt hatte.
Wie bei jedem Marathon stelle ich mir irgendwann die Frage, ob die Gehirnleistung abnimmt, je länger ich unterwegs bin. Daher kann ich mir hier auch ohne Gewissensbisse ein dunkles Bier mit Alkohol genehmigen. Schleim war einmal. Und irgendwie werde ich schon ins Ziel finden.
Der folgende Weg verläuft durch sonnigen Mischwald, im Großen und Ganzen stetig bergab. Oder wie ich es einem Mitläufer erkläre: Man kann sich alles schön trinken. Kurz vor Kilometer 41 erreichen Judith und ich den Rand von Schmiedefeld. Der Ort war ein Zentrum der Eisenverhüttung, bis man im 19. Jahrhundert auf diesem Gebiet der rheinisch-westfälischen Konkurrenz den Vortritt lassen musste. Aktuell sind die Glasindustrie und der Musikinstrumentenbau als Wirtschaftszweige bedeutend und natürlich der Tourismus, wovon unter anderem der Skilift zeugt. „Ob Sommer, Sonne, Winterwelt – dein Reiseziel heißt Schmiedefeld“ lautet der unmissverständliche Slogan.
Am heutigen Samstag steht Schmiedefeld ganz im Zeichen des Rennsteiglaufs. Über die Bahnanlagen geht es schnurstracks auf unseren letzten Anstieg zu. Der wird durch unzählige Zuschauer versüßt, die uns begeistert anfeuern. Oben angekommen bin ich erstaunt über die Menge der Buden und Stände. Bei Kaffee- und Biergeruch müssen wir einmal das Gelände umrunden und treffen auf der Geraden mit den Supermarathonis zusammen. Unter dem Jubel der Zuschauer geht es durch den Zielbogen.
Die glänzend goldene Medaille zeigt das Lutherhaus in Eisenach. Wir versorgen uns mit Getränken, halten noch ein Schwätzchen mit Andreas. Ein Finisher-Shirt gibt es nur für die Ultraläufer. Dann zur Gepäckwiese, den gelben Kleidersack holen, und zurück zur Umkleide samt Dusche. Auch eine mobile Sauna gibt es hier, so etwas hat Seltenheitswert. Das Duschwasser ist schön warm, fließt aber nicht sehr reichlich. Für den Gutschein an der Startnummer gibt es ein Köstritzer Läuferbier und ein warmes Süppchen. Im Zelt steigt später die After-Run-Party. Viele Essensstände bieten günstige Produkte aus Thüringen an. Wir müssen aber leider schon bald wieder aufbrechen. Shuttlebusse bringen die Läufer zurück an ihren jeweiligen Startort.
Auch wenn mir die Marathonmedaille mit ihrem rot-weißen Band viel besser gefällt als die gelb bebänderte Supermarathonmedaille, steht für mich schon heute fest: Den westlichen Teil des Rennsteigs will ich nächstes Jahr auch noch erleben.
Teilnehmer:
abgemeldet 18.059
gestartet 15.829
Wettbewerbe
Supermarathon: 73,5 km
Marathon für Läufer und erstmals auch für Langstreckenwanderer und Nordic Walker
Halbmarathon
Nordic Walking -Tour 17 km
Juniorcross für Kinder
Special-Cross für Menschen mit Handicap