Rückblende zum 3. September 2006: Ich starte erstmals in Thüringen und weihe beim Brückenlauf mit vielen anderen gute 30 km lang von und nach Suhl über 10 Talbrücken des Thüringer Waldes die nagelneue A 73 ein. Der Spruch „Achtung – Läufer auf der Autobahn!“ ziert das attraktive grellorange Finishershirt, mit dem man auch heute noch auffällt und prima angeben kann.
Während des Laufs komme ich mit einem mitrennenden Reporter vom RBB ins Gespräch, der sogleich seinen Motorradkollegen samt rittlings aufsitzendem Kameramann zu sich beordert und ein Interview für die Abendnachrichten im Fernsehen mit mir dreht. „Ich freue mich heute schon auf meinen Erstauftritt beim Supermarathon des Rennsteiglaufs im kommenden Jahr!“ höre und sehe ich mich noch tönen, begleitet vom Applaus der um uns Laufenden.
Ich hatte das wirklich vor. Und zwar Jahr für Jahr. Gut, einmal war ich, schon angemeldet, mit zermatschter Zehe verletzt (das einzige Mal überhaupt in meinem Läuferleben), aber selbst in den anderen Jahren habe ich es nicht auf die Reihe bekommen. Auch wenn ich mittlerweile mit Hochgenuß beide Untertagemarathons absolviert habe, ist es allerhöchste Zeit, diese gewaltige Lücke in meiner Laufhistorie zu füllen. Von weiteren schönen Marathons und Ultras im Herzen Germaniens ganz zu schweigen.
Egal, jetzt habe ich es endlich gepackt und nehme mir mit meiner Elke drei Tage Zeit, die Sache in Ruhe anzugehen. Wir treffen uns mit dem rennsteigerfahrenen Markus, der mich die 72,7 km über +1.470/-969 Höhenmeter begleiten wird, und seiner Familie in Eisenach. Geschlafen wird in der nahe gelegenen Jugendherberge. Das stößt bei meiner Gattin nicht unbedingt auf ungeteilte Begeisterung, aber, Schatz, es kann nicht immer die Schatzalp hoch über Davos sein.
Am späten Freitagmorgen sind wir bereits vor Ort und beginnen direkt mit dem touristischen Teil, der uns auf Schusters Rappen, ohne angesichts der zu erwartenden morgigen Strapazen allzu sehr zu fordern, in die sehenswerten Drachen- und Landgrafenschluchten führt. Wo denn der Einstieg in die Drachenschlucht sei? „Nu, beim Borgblotz am Dümbel!“ Ah ja! Um 14 Uhr übergibt man uns im Herzen der Eisenacher Altstadt als eine der ersten die Startunterlagen, dann geht’s weiter, um endlich einmal die Wartburg aus nächster Nähe zu inspizieren. Dem schließt sich auch unser „kleiner“ Klaus gerne an, den wir bei der Startnummernausgabe getroffen haben. Es erscheint uns sinnvoll, die Wartburg direkt heute mitzunehmen und uns nicht nach dem Lauf am Sonntag durch große Besucherkonkurrenz quetschen zu müssen.
Ums Essen und Kohlehydratebunkern brauchen wir uns gar keine Gedanken zu machen, denn im Startgeld ist die Teilnahme an der einzigartigen Kloßparty inbegriffen. Ich finde es klasse, wenn das Muskelfutter regionstypisch serviert wird, man denke z.B. andernorts nur an die Kaiserschmarrenparty. Auch Nichtläufer sind für fünf Euronen dabei und Nachschlag gibt es ebenfalls. Entsprechend intensiv bemühen wir uns um die Reduzierung der reichlichen Vorräte. Im Zelt rocken lautstark die Schildkröten, weshalb wir uns zwecks Konversation nach außen begeben. Strategisch günstig sitzend gabeln wir auch noch Birgit und Norbert Fender auf (die Euch demnächst von einer ganz besonderen Veranstaltung berichten werden) und die heutige Marathon4you-Familie ist vereint. Schon früh sind wir in der Heia verschwunden, denn der Start erfolgt um sechs Uhr morgens.
Das Aufstehen um 4:00 ist definitiv zu früh für einen Samstagmorgen, aber nichts gegen die Abfahrt um 3:30 Uhr von Schmiedefeld für diejenigen, die dort übernachtet haben, somit geht’s uns noch gut. Frühstück gibt’s lobenswerterweise ab 4:30 Uhr und nach einem ganz langsamen Fußmarsch sind wir gegen 5:45 Uhr am Start. Das Wetter verspricht kühl zu bleiben, aber ebenso trocken und darauf kommt es mir an. Erstmals teste ich Ärmlinge, die ich mir im letzten Jahr beim Davoser Nachtlauf (keine Urkunde, ich fasse es heute noch nicht) verdient habe. Sie bewähren sich, ich trage sie bis ins Ziel.
Nach dem traditionellen Abspielen des Rennsteiglieds mache ich mich mit Markus und Klaus GuthMuths (bei ihm studierte übrigens der berühmte „Turnvater Jahn“ Leibesübungen) auf den Weg. Wirklich guten Mutes, auch wenn für mich die heute zu überwindenden Entfernung sowie Höhenmeter ganz große Nummern darstellen. Aber ich habe andererseits einige ordentliche erfolgreich absolvierte Ultras als Erfahrung auf der Habenseite stehen, nicht zuletzt Röntgenlauf, K 78 und vor allem den Hunderter in Biel, die mich gelehrt haben, daß alles auszuhalten ist, wenn man das Gehirn beim Laufen nicht völlig ausschaltet und sich die Strecke vernünftig einteilt. Obwohl es Leute wie zum Beispiel meinen Freund Thorsten gibt, die hartnäckig behaupten, die 72,7 km des Rennsteiglaufs seien schwieriger zu laufen als die 100 km von Biel. Heute Nachmittag werde ich es aus eigenem Erleben bewerten können.
Vom Marktplatz auf 210 m NN führt uns der Weg zunächst in die Fußgängerzone durch das heute restaurierungsbedingt leider verhüllte Nikolaitor, ein freundliches Schild „Nur noch 72 km bis Schmiedefeld!“ macht wirklich Mut. Nach nur 1,5 km erreichen wir den Stadtrand von Eisenach, ein langer Anstieg von 7,4 km liegt nun vor uns. Auf der ersten Serpentine schieße ich ein schönes Foto der Läuferschar von oben, trete anschließend in ein Loch und lege mich formvollendet auf die Fr… Glück gehabt, alles noch dran und funktionsfähig.
Ab jetzt im Wald unterwegs, geht es vorbei an der “Moosbacher Linde” (km 3,6 / 351 m NN) und über die Weinstraße” (km 5) zum “Marienblick” (km 6). Waren bisher alle km bis zum fünften ausgeschildert, sehen wir die Wegmarkierungen ab jetzt nur noch alle weiter 5 km. Erst die letzten beiden werden wieder einzeln ausgewiesen. Der zwischenzeitliche Stau macht mir gar nichts, denn ich gehe es ganz ruhig an. Die mit +1.470/-969 Höhenmetern gepaarten 72,7 km (mein bisher drittlängster Lauf) sind elend lang, zudem will ich in zwei Wochen bei meinem nächsten Einsatz an hochinteressanter Stelle einigermaßen vernünftig aussehen, da sollte ich heute nicht auf der allerletzten Rille ankommen.