Nach leichter Streckenänderung sind in diesem Jahr beim Supermarathon 73,9 Kilometer zu bewältigen. An fehlendem Schlaf soll das Gelingen nicht scheitern, weshalb ich wegen der frühen Startzeit von 6.00 Uhr bereits am Freitagabend mit meiner besseren Hälfte nach Eisenach fahre.
Gerade rechtzeitig treffen wir am Markt ein, um meine Startunterlagen abzuholen und uns traditionell mit Klößen zu stärken. Anschließend geht es direkt zurück zu unserer feinen Unterkunft, der kleinen Wartburg, denn die Nacht wird kurz werden. Auch wenn der Lauf für mich nicht neu ist (es ist meine 5. Teilnahme), ist meine Aufregung größer als bei einem „normalen“ Marathon. Ohne Wecker bin ich um 4.00 Uhr wach. Das Frühstück ist schon gerichtet und so komme ich gut gestärkt zum Start am Markt.
Beliebt ist er, der Supermarathon. Über 2.025 Gleichgesinnte machen sich mit mir auf den Weg. Vor dem Rathaus drängen sich die Teilnehmer. Nicht nur in Neuhaus am Rennweg, wo um 9.00 Uhr die Marathonis auf den Weg nach Schmiedefeld geschickt werden, schunkeln sich die Teilnehmer mit dem Schneewalzer vor dem Start warm. Auch in Eisenach dürfen wir diese Klänge genießen. Da gibt es ordentlich was auf die Ohren, dass der Countdown fast untergeht.
Pünktlich setzt sich der Läuferlindwurm in Bewegung. Über die Karlstraße und den Karlsplatz könnte ich gleich am Anfang zu schnell loslegen, denn die ersten Meter sind flach. Gut dass mich die dicht gedrängte Menge abbremst. Am Karlsplatz nehme ich noch den Gruß Luthers entgegen, bevor ich durch das Stadttor den Bereich der Innenstadt verlasse und in Richtung Wartburg verlasse. Links am Haus verkündet das mir bekannte Plakat die noch ausstehenden 72 Kilometer ins Ziel. Damit ich ohne große Beschwerden dort ankomme, halte ich es wie die meisten meiner Mitstreiter nach der nächsten Kurve und verfalle in einen flotten Gehschritt, denn die ersten Höhenmeter liegen vor mir. Zeit, mich umzuschauen. So fallen mir die Läufer auf die als Tom und Jerry unterwegs sind. Mir reicht schon die normale Laufkleidung, die ich heute moderat gewählt habe. Noch ist es zwar frisch, aber es soll warm werden.
Im Sonnenschein steigt der Nebel aus der Tiefe. Rechts grüßt das Burschenschaftsdenkmal. Es erinnert an das Wartburgfest vor über 200 Jahren. Auf den klassischen Darstellungen ist erstmals unsere heutige Nationalflagge zu sehen. Im Wald geht es weiter hinauf zur hohen Sonne, wo ich nach über 7 Kilometern endlich auf den Rennsteig komme, dem ich bis kurz vor Schmiedefeld folgen werde. Das Shirt einer Läuferin kündet von ihrer 12. Teilnahme am Supermarathon, dessen Länge im Laufe der Jahre zwischen 65 und 76 Kilometern variierte.
Am Waldsportplatz kurz vor KM 7 wartet die erste Verpflegungsstation. Noch brauche ich nichts zu beißen, dafür beginne ich zu trinken, was bei den angesagten Temperaturen von etwa 20 Grad wichtig ist. Kurz darauf überhole ich einen Läufer mit dem orangenen Jubiläumsshirt von 2014. Er ist seinerzeit seinen 40. Supermarathon gelaufen. Ich bin tief beeindruckt. Es geht über die Straße in Richtung Ruhla. War der Wanderweg bisher gut ausgebaut und geschottert, erwartet mich bis zur Glasbachwiese der erste richtige Trailabschnitt. Über Wurzeln, Stock und Stein hüpfe ich noch wie ein junges Reh, nur erhöhte Aufmerksamkeit ist gefordert. Da habe ich mir die nächste Verpflegung redlich verdient, zumal es hier erstmals den legendären Schleim gibt.
Nur noch etwa 7 KM und ich habe den ersten Höhepunkt des Tages erreicht: den Inselsberg. Um mich rum wird behauptet, dass damit der höchste Punkt des Rennsteiglaufes erreicht sei. Diesen Zahn muss ich den Unwissenden ziehen, denn erst bei KM 63 am großen Beerberg werden wir diese Hürde genommen haben. Vorher darf ich am Dreiherrenstein noch einmal auftanken. Der deutschen Kleinstaaterei ist es zu verdanken, dass ich heute noch zahlreiche Grenzsteine passieren werde. Auf der Marathonstrecke gibt es einen weiteren, nämlich den großen Dreiherrenstein, der zudem den Mittelpunkt des Rennsteiges bildet. Wie an jeder Verpflegungsstelle warten gut gelaunte Zuschauer auf uns.
Lautstark werde ich weiter auf den Weg geschickt. Und das ist auch gut so, denn es geht weiter stetig bergauf. Die Flachpassagen halten sich stark in Grenzen. Hinauf wandere ich, wie die meisten meiner Mitstreiter. Körner müssen gespart werden. Dafür bleibt Luft zum Quatschen und man hört so einiges. Eine Läuferin erzählt, sie sei bisher nicht mehr als einen Halbmarathon gelaufen. Ob hier ein wenig geflunkert wird? Ich kann es nicht beurteilen. Ich wünsche der Debütantin aber viel Glück. Derweil wird der Aufstieg in Richtung Fernsehturm immer knackiger. Mein Lauftempo entspricht genau meinem Pan. Nach knappen 3 Stunden und 25 Kilometern erreiche ich den kahlen, von der Sonne beschienenen Gipfel.
Auf dem nächsten Kilometer gehen viele der mühsam eroberten Höhenmeter verloren. Bei KM 26,4 ist die Grenzwiese erreicht. Am hiesigen Verpflegungspunkt ist das Angebot noch deutlich vielseitiger. Da verwundert es nicht, dass die Läuferinnen und Läufer etwas länger verweilen. Es gibt den ersten Hinweis auf die Ebertswiese, dort wird Halbzeit sein. Es sind noch 10,7 KM bis dahin, die aber locker zu laufen sind, da die Strecke bis dahin nur leicht wellig ist.
Sonne und Schatten wechseln sich ab, aber die angekündigten 20 Grad sind noch nicht erreicht. Am Posseroder Kreuz wird bereits die nächste Verpflegungsstelle erreicht. Engagierte Helferinnen und Helfer werden nicht müde, den Läufern Getränke zu reichen.
Es läuft gut bei mir, die Sonne scheint und so dauert es nicht lange, bis ich hinab zur Ebertswiese laufe. Ein Schild macht auf das umfangreiche Angebot aufmerksam. Da habe ich die Qual der Wahl. Ich gehe auf Nummer sicher und gebe ziehe die Heidelbeersuppe Wurst und Broten vor. Anschließend gehe ich gleich wieder bergan. Die Müllsäcke sind bis zum „letzten Sack“ nummeriert. Ich bin froh, damit nicht gemeint zu sein. Wie auch? Ich fühle mich ganz und gar nicht so. Im Gegenteil, ich bin weiterhin leichtfüßig unterwegs. eine Zeit unter 9 Stunden könnte heute drin sein. Das spornt zusätzlich an.
Weiter geht es munter auf und ab bis zur neuen Ausspanne bei KM 40,9. Neu ist hier für mich das 2014 erbaute Rennsteighaus. Ansonsten erinnert mich der Name daran, wie beschwerlich es früher war, auf dem Rennsteig unterwegs zu sein. Bei den sogenannten Ausspannen wurden früher nämlich die Pferde ausgespannt, um ihnen eine Pause zu gönnen.
Keine 5 Stunden bin ich unterwegs, als ich die Marathonmarke erreiche. Das wäre die richtige Motivation, jetzt noch einen Zahn zuzulegen. Aber gerade jetzt wartet eine von ziemlich gefürchtete Steigung auf mich. So erklimme ich die nächsten Meter wieder gehend. Dabei erwischen mich Gaston und Martina und wundern sich, denn schließlich seien wir bei Marathon4you doch laufende Reporter. Na ja, man tut, was man kann.
Die Steigungen lassen jetzt langsam nach, ich gehe sie aber weiter konsequent. Kleine Steinchen sammeln sich in meinen Schuhen, bei den großen muss ich achtgeben, nicht darüber zu stolpern. Ich erreiche den Gustav-Freytag-Stein bei KM 51,3. Den neuen Dreiherrenstein sehe ich nicht, ich bin zu sehr vom Angebot der Verpflegungsstelle abgelenkt. Einer Dehydrierung wird erfolgreich entgegen gewirkt und schnell bin ich wieder auf dem Weg. Der Grenzadler wartet.
Ein Gedenkstein erinnert an eine Luftschlacht über dem Thüringer Wald im 2. Weltkrieg. Ich freue mich darüber, dass wir in Europa seither in Frieden leben und seit 1990 wieder ein Deutschland sind. Zu DDR-Zeiten hätte ich hier nicht laufen dürfen. Heute sind Läufer aus aller Welt beim Rennsteiglauf am Start. Die weiteste Anreise soll übrigens ein Teilnehmer aus Tadschikistan haben.
Absperrbänder weisen den Weg zur Verpflegungsstation am Grenzadler. Wer will, kann hier aussteigen, mit Zeitnahme und Wertung. Für mich kommt das nicht in Betracht. Ich bin noch keine 7 Stunden unterwegs und hätte bis zum offiziellen Cut-off noch 2 Stunden Zeit.
Ich bin mit Christian unterwegs, als Westfalen verstehen wir uns gleich bestens. Einige hundert Höhenmeter warten noch bis zum großen Beerberg auf uns, da tut etwas Ablenkung gut. Vorher überlaufen wir beim Rondell noch die Straße nach Oberhof, dem Wintersportzentrum in Deutschland schlechthin. Vor allem die Biathlon- und Skilanglauf-Wettbewerbe machen den Ort international bekannt.
Dieser Streckenabschnitt kann einem den Zahn ziehen. Nur mühsam kommen wir den Berg hinauf. Aber auch diese Quälerei hat ein Ende, als wir bei KM 61,6 den höchsten Punkt des Tages erreichen. Auf 980 Metern ist das passende Schild das ein oder andere Erinnerungsfoto wert.
Hinab zum Verpflegungspunkt Schmücke verlieren wir fast 100 Höhenmeter. Orientieren können wir uns an den Schildern der Halbmarathonläufer, auf deren Strecke wir uns jetzt befinden und auf der wir bis ins Ziel bleiben. Das angebotene Bier lasse ich lieber stehen, da ich befürchte, es nicht zu vertragen. Ich weiß, solche Bedenken haben etliche M4Y-Kollegen nicht. Na ja, im Ziel werde ich das nachholen.
Bis zu den Kreuzwegen schaffe ich es einigermaßen, mit Christian Schritt zu halten. Dann muss ich abreißen lassen und schicke ihn nach vorne. Ich denke, dass ich ihn auf der Bergab-Passage nach Schmiedefeld wieder einholen kann. Doch dann machen eine Waden machen nach und nach zu. Das Laufen ist nicht sehr angenehm, ich muss sogar abwärts gehen und muss mich zahlreich überholen lassen. Doppelter Trost: 70 Kilometer liegen schon hinter mir und zwei Mitstreitern geht es genau wie mir. Doch denen hilft ein bisschen Dehnen, wieder richtig in Schwung zu kommen. Ich bleibe neidisch zurück.
Über die letzte Wiese, angefeuert von Zuschauern und Musik aus der Box erreiche ich das letzte Waldstück. Nächster Halt ist Schmiedefeld, dann sind auch diese Anstrengungen vorbei. Die letzten Schilder: KM 71, KM 72. Vorbei an Gärten, KM 73. Die Straße zum Stadion, Kinder begrüßen mich mit einer La Ola, da mache ich doch gerne mit. Die letzte Kurve und das Stadion (man könnte auch Festwiese sagen) kommt in Sicht. Links laufen die Marathonis ein, die rechte Seite ist den Supermarathon-Finishern vorbehalten. Begrüßt werden alle namentlich im schönsten Ziel der Welt.
Mein 5. Rennsteiglauf ist im Kasten. Es ist nicht mein letzter …
Streckenbeschreibung:
Punkt zu Punkt-Strecke über den Rennsteig
Zeitnahme:
Einmalchip im Fußtransponder
Startgeld:
Marathon: 60 – 65 -70 - 75 €, je nach Anmeldezeitpunkt
Auszeichnungen:
Medaille, Finisher-Shirt, frisch gedruckte Urkunde
Verpflegung:
14 Verpflegungs- und Erfrischungspunkte an der Strecke und Verpflegung im Ziel. Gereicht werden Wasser, Cola, Apfelschorle, Tee und Bier. Dazu Obst, Haferschleim, Wurst und Brühe.
Zuschauer:
Zahlreich an der gesamten Strecke, besonders geballt zudem an den Powerpoints und im Ziel.