Kaum im Zelt, bricht das vorhergesagte Unwetter los. Es windet heftig und regnet in Strömen. Von 30 Grad soll es einen Temperatursturz auf 10 Grad oder noch weniger geben. Unser Zelt ist dicht, dank modernster Materialien. Zu Pfadfinderzeiten war das nicht immer so, kann ich mich erinnern. Um Mitternacht ist das Schlimmste überstanden und der Regen hört wieder auf. Oh, Mann wie hart sind doch die Campingmatten, ich schlafe schlecht.
2:25 Uhr, mein Handywecker klingelt. Fertig machen, Ankleiden im Auto. Natürlich habe ich auch die Taschenlampe vergessen und schon ist es 3 Uhr. Ungewaschen, ungeschminkt und völlig nüchtern geht’s zum Treffpunkt bei Conny vor dem WoMo. Zu guter Letzt vergesse ich noch, wenigstens eine Cola oder ein Red Bull einzupacken. Mein Körper hat weder von außen noch von innen einen Tropfen Flüssigkeit gesehen. Vielleicht gibt’s ja was in Eisenach. Fußmarsch zur Bushaltestelle im Ort. Irgendwie unwirklich alles, ziemlich unchristliche Zeit. Man könnte jetzt doch ganz bequem zu Hause bei Mama im Bettchen liegen und schnarchen.
10 Euro sind zu berappen für die Fahrt und der Bus ist wunderbar warm, ich schlafe besser als im Zelt. Ankunft Marktplatz Eisenach 4:45 Uhr. Noch ist nicht besonders viel los. Die Startnummern sind schnell empfangen. Jan muss noch nachmelden, geht auch ruckzuck. In einer Seitenstraße des Marktplatzes ist in einem Innenhof eine Batterie von Dixis aufgebaut, um 5:15 Uhr ist noch nichts los. Wenigstens das wäre erledigt. Zum Trinken kann ich immer noch nichts auftreiben. Auf dem Marktplatz ist ein Festzelt zu Umkleiden umfunktioniert worden, auch sehr praktisch. Kaffee ist aber nirgends aufzutreiben. Auf den Tischen stehen die Trinkflaschen der Sportkameraden …ich sollte mir eine unter den Nagel reißen. Es muss auch so gehen.
Langsam füllt sich der Marktplatz, das Rennsteiglied läuft in Dauerschleife, man trifft sich. Die üblichen Verdächtigen der Ultraszene sind fast alle da. Zum Jubiläum wird ein neuer Teilnehmerrekord beim Supermarathon erreicht. Im letzten Jahr gab es 2.250 Anmeldungen, heuer wird knapp die 3.000er-Marke verfehlt. Aus 1979 stammte die alte Rekordmarke mit 2.510 Anmeldungen. Ab dem Jahr pendelte die Teilnehmerzahl bis 1989 immer um die 2.000. Es gab aber auch drei schlechte Jahre. Nach der Wende, Ende der 90er, drohte dem Langen Kanten mit nur noch gut 900 Teilnehmern sprichwörtlich die Luft auszugehen.
Das gleiche Problem, aber im wahrsten Sinne des Wortes, ereilt heute den Startbogen auf dem Markplatz kurz vor dem Start um 6 Uhr. Es wird improvisiert, ein Helfer steht in der Mitte und stützt das einstürzende Tor mit den Händen nach oben. Alle kommen gut durch, ein einstürzendes Starttor bringt hier keinen aus der Ruhe. Hektik habe ich auf dem Marktplatz noch nie erlebt. Wer hier am Start ist, weiß schon warum. Auf geht’s zum schönsten Ziel der Welt, das liegt ja bekanntlich in Schmiedefeld.
Am Start sind über 2.500 Läufer/innen, verständlich dass es da in den ersten engeren Wegpassagen einige Verzögerungen gibt. Mich stört das momentan weniger, habe andere Probleme. Irgendwie fühle ich mich so komplett nüchtern wie im falschen Film. Am Waldsportplatz erreichen wir nach 7 km die erste Getränkestation. Gierig schnappe ich mir warmen Tee und zwei Becher Cola. Das zeigt Wirkung, schlagartig fühle ich mich besser.
Kontinuierlich geht es aufwärts, bis zum Gipfel des Großen Inselsberg sind über 900 Höhenmeter zu bewältigen, darin sind aber nur wenige steile Rampen. Meist geht es noch im Laufschritt. Niederschläge sind nicht mehr zu vermelden, aber es ist frisch, ich glaube nicht, dass in den Vormittagsstunden noch zweistellige Temperaturen erreicht werden. Es wird eher kühler, je höher wir kommen.
Spektakuläre Aussichten über die Weite des Thüringer Waldes kann man auf der Supermarathonstrecke eigentlich eher selten genießen, überwiegend verläuft der Kurs im Wald. Dennoch gibt es an einigen Stellen die Möglichkeit zu kleinen Abstechern. Ich bin für solche Extra-Touren immer zu haben. Mehr als 100 m muss ich mich dabei aber nie von Strecke entfernen. Insgesamt Drei Ausflüge genehmige ich mir beim Aufstieg zum Gipfel. Die erste Gelegenheit bietet sich mir kurz vor der Glasbachwiese, ein Mitläufer weißt mich auf einen herrlichen Überblick rechts des Weges hin.
Um 8 Uhr knurrt mein Magen doch schon beträchtlich. Am VP Glasbachwiese (Km 17,7) kann ich endlich Abhilfe schaffen. Als erstes genehmige ich mir einen Becher Heidelbeerschleim, gehört für mich auf dem Rennsteig zur Pflichtverpflegung. In den Geschmacksrichtungen Himbeer, Orange und Neutral wäre er auch noch zu haben. Oh, der ist heute aber zäh, das Mischungsverhältnis passt hier nicht ganz. Er bleibt mir noch auf den Lippen kleben. Nur mit zusätzlicher Flüssigkeit kann ich ihn runter spülen.
Weiter unterwegs kann ich eine Unterhaltung über die Schlafplätze im Elisabethengymnasium aufschnappen. Um meine Einleitung zu ergänzen, erkundige ich mich noch näher darüber. „Wer Sammelunterkünfte mag, ist dort sehr gut aufgehoben, zudem gibt es am Morgen noch ein Frühstück und der Shuttle-Dienst funktioniert auch hervorragend“, meint Rolf. Dann wäre das ja auch geklärt.
Die nächste Landschaftsübersicht bietet sich am Oberen Beerberg. Diesmal zur linken Seite. Vielleicht 30 Meter und eine kleine Klettereinheit sorgen für einen super Ausblick. Ich bin nicht der einzige, der sich das nicht entgehen lässt, der Punkt ist unter Läufern bekannt und beliebt. Die nächste Option folgt 10 Minuten später. Das Schild „Wartburgblick 0,1 km“ sorgt für meine Aufmerksamkeit und schon setze ich den Blinker zum Abbiegen. Eine sagenhafte Rundumsicht sorgt wieder für Begeisterung, obwohl ich die Wartburg in der Eile nicht ausmachen kann. Ich weiß nämlich gar nicht genau in welcher Richtung ich genau suchen muss.
5 Minuten später bin ich am Gipfel des Vulkans. Der Große Inselsberg ist vulkanischen Ursprungs, sein herausragender Gipfel ist ein besonderes Markenzeichen des ganzen Gebirges und weithin sichtbar. Auf dem Plateau befinden sich eine Jugendherberge sowie einige Sendeanlagen. Vom 126 m hohen Sendemast werden 2 Fernsehprogramme sowie 6 UKW-Programme abgestrahlt. Früher verlief hier die Grenze zwischen dem Herzogtum Sachsen-Gotha und dem Kurfürstentum Hessen, daher kommen noch zwei Gasthäuser dazu, auf jeder Seite der früheren Grenze eines. Wir haben 25 km hinter uns. Ein kurzer Fotostopp und ich mach mich wieder von den Socken, es ist sehr schattig hier oben, nur noch 4 Grad zeigt das Quecksilber an.