Jetzt wird es matschig. Der Weg ist total aufgeweicht. Der Pulk teilt sich in Reihen, die hintereinander die Pfützen zu umgehen versuchen. Gerade witzeln wir noch über diese erschwerten Bedingungen, da zieht es einem Laufgenossen elegant die Füße weg, und er landet weniger elegant in einer Pfütze. Für Schadenfreude bleibt keine Zeit - aber wir sind gewarnt.
Am Waldsportplatz bei km 6,4 liegt die erste Getränkestation. Übersichtlich angeordnet werden beidseitig des Wegs Wasser, Tee aber auch schon diverses Obst angeboten. 500 m weiter an der Hohen Sonne streifen wir kurz die B19 um dann aber sofort wieder im Wald zu verschwinden. Ab jetzt laufen wir offiziell auf dem Rennsteig und haben seit dem Start bereits 200 HM geschafft.
Der Untergrund wird besser; das Feld löst sich langsam auf; Zeit das eigene Tempo zu finden.
Grob eingeteilt gibt es hier bei mir drei Gruppen von Läufern: die größte Gruppe sind Menschen, die Spaß daran haben, sich in der Natur zu bewegen und dabei eigenen Grenzen auszuloten. Oftmals aus der Region stammend, sind sie mit diesem Lauf aufgewachsen. Auch viele Ersttäter sind dabei. Alle haben letzte Nacht kaum geschlafen und sind voller Erwartung und Tatendrang. Sie finden sich als größere Gruppe zusammen und tauschen Ihre Erfahrungen aus.
Eine weitere kleinere Gruppe sind erfahrene Ultralangstreckenläufer. Für diese ist heute eine lange Trainingseinheit. Sie bereiten sich gerade auf einen der großen meist ausländischen Extremläufe vor, von denen man lauffernen Freunden und Bekannten lieber nichts erzählt. Man will ja nicht unbedingt für verrückt erklärt werden. Sie sind am ruhigen, völlig gleichmäßigen Tempo zu erkennen und haben Wahnsinnsgeschichten zu erzählen.
Und dann sind da noch die Veteranen. Sie sind von Anfang an dabei. Mitten im Läuferfeld fallen sie durch fortgeschrittenes Alter und einem diskreter Hinweis auf dem Shirt (wievielfacher Rennsteig- Finisher) auf. Sie werden mit großem Respekt behandelt und können der Hochachtung aller anderen Läufer gewiss sein.
Bei km 12,7 erreichen wir die Getränkestation Ascherbrück. Die Helfer haben hier schon ordentlich zu tun. Vor allem dem Tee wird reichlich zugesprochen.
Nach Aussage des Wetterberichts hätte es heute eigentlich kühl und regnerisch sein sollen. Ich hatte mich mit Winteroutfit darauf eingestellt. Nun sieht es aber gar nicht danach aus. Im Gegenteil: schon einige Male hat sich trotz der frühen Stunde die Sonne gezeigt. Ich komme schon leicht ins Schwitzen. Dass das anderen auch so geht, erklärt den enormen Getränkekonsum an dieser frühen Stelle.
Bei km 18 kommt dann die erste Verpflegungsstelle. Auf der Glasbachwiese gibt es das volle Programm: Äpfel, Bananen, Zitronen, Schmalz- und Butterbrote, liebevoll mit Schnittlauch bestreut. Und dann natürlich der Schleim mmhhh! Mittlerweile haben auch andere Veranstalter den Vorteil von Haferschleim erkannt. Aber so gut und in so großerr Auswahl gibt es ihn halt nur beim Rennsteiglauf. Vor allem den mit Himbeeren kann ich nur empfehlen.
Nach dieser kräftigen Stärkung sind die 100 HM Anstieg zur Hirschbalzwiese und dann zur nächsten Getränkestelle Dreiherrenstein kein Problem. Hier bei km 20,6 wird jeder vorbeikommenden Frau ihre aktuelle Platzierung angesagt. Ich bin 253te.
Auf dem folgenden kurzen aber knackigen Gefälle bekomme ich plötzlich einen Krampf im Oberschenkel. Anhalten ist aber nicht drin (nie bergab stehen bleiben!) und so trudle ich, um Lockerheit bemüht, nach unten zur Brotteröder Hütte.
Jetzt habe ich 5 km Anstieg lang Zeit mich mit meiner latenten Krampfgefahr auseinander zu setzten. Stefan und Bernd kommen in ungewöhnlichem, pinkfarbigem Outfit von hinten. Stefan hat tatsächlich eine Gitarre dabei. Das kann ich mir nicht entgehen lassen und wünsche mir das Rennsteiglied. Stefan zieht die Noten aus dem Ärmel und beginnt zu singen. Textsicher fällt auch Bernd sofort ein und so intonieren wir beim Aufstieg auf den Großen Inselsberg das bekannte Wanderlied.
Ich wand're ja so gerne
am Rennsteig durch das Land.
Den Beutel auf dem Rücken,
die Klampfe in der Hand.
Diesen Weg auf den Höh'n
bin ich oft gegangen.
Vöglein sangen Lieder.
Bin ich weit in der Welt
habe ich Verlangen
Thüringer Wald nur nach dir.
(Das Rennsteiglied; Text: Karl "Kaschi" Müller, Musik: Herbert Roth)
Jutta hält sich die Ohren zu. Nach einem kurzen Abgleich der Meinungen zum bevorstehenden Championsleague-Finale und einem letzten "Highway to Hell" machen sich die beiden Männer nach vorne davon. Jutta und ich stellen fest, dass wir gemeinsame Bekannte haben.