Bei km 11 (Dreistromstein) kommt die erste Verpflegungsstelle, beim Rennsteiglauf auch so eine Besonderheit. Tee, Wasser, Cola und Bananen gibt es wie (fast) überall. Aber Salami- und Schmalzbrote, Schleim (Igitt!) und Bier (echtes, mit Alk)? Es gibt Läufer, die kommen das ganze Jahr ohne diese Kalorienbomben aus, schlagen aber beim Rennsteiglauf erbarmungslos zu.
Ich wurde ja mit Haferschleim großgezogen. Seit mir meine Mutter dann das Zeug nicht mehr zwangsweise zuführte, war ich clean. Bis zu meinem ersten Rennsteiglauf. „Musst Du trinken!“ Eberhard war’s, der weiß ja immer was. Ok, Cola mit Schleim, so ging’s. Schleim mit Heidelbeeren? Hm, nicht schlecht. Heute pumpe ich den Zaubertrank pur in mich rein. Freiwillig. Schade, dass meine Mutter das nicht sehen kann.
Den Leuten hier im Thüringer Wald ging es ähnlich. Als die schlimmste Zeit nach dem Krieg vorbei war, verschwand der Haferschleim aus den Speiseplänen. Erst die Skilangläufer kamen in Skandinavien wieder damit in Berührung und brachten ihn als Sportlernahrung zurück in die Heimat. Da bleibt er jetzt. Denn es wird ja nichts geändert.
Noch kurz was zum Dreistromstein, dann geht’s weiter. Er markiert seit über 100 Jahren die Wasserscheide von Weser, Elbe und Rhein. Der Sockel ist aus den Steinen gemauert, die für den jeweiligen Fluss typisch sind: Quarz für den Rhein, Grauwacken für die Weser und Granit für die Elbe.
Entgegen der Wettervorhersage kommt es hin und wieder zu Aufheiterung, die Temperaturen bleiben allerdings einstellig. Das stört aber nur die Zuschauer. Die Läufer spüren höchstens mal den Wind, wie hier auf der Friedrichshöhe (km13). Die Werrataler Musikanten spielen zur Unterhaltung und wünschen uns blasenfreie Füße. Viele Läufer mit Fotoapparat sind heute noch nicht vorbei bekommen. Jedenfalls sind die Zuschauer ganz aus dem Häuschen, als sie mich knipsen sehen: „Der hat eine Startnummer, der läuft ja mit!“ Na ja, sagen wir mal so: Ich tu mein Bestes.
Über ein paar einsame Wohnhäuser hinweg sieht man in der Ferne den Blessberg (865 m), der 2008 für die Bahnstrecke Nürnberg – Erfurt nach Schweizer Art durchbohrt wurde.
Es gibt auf dem Rennsteig, der ja ein 170 km langer Kamm- und Grenzweg ist, über 1000 Grenzsteine, die teilweise bis ins 15. Jahrhundert zurückgehen. Viele sind, wie dieser bei der Hohen Heide (km 18) als Denkmal gekennzeichnet und geschützt. Dreiherrenstein heißt er, weil hier, wie auch an anderen Orten, die Grenze dreier Herzog- oder Fürstentümer zusammenstoßen. Ganz in der Nähe ist auch die Werraquelle.
Unser nächstes Ziel ist aber der Eselsberg (km 19). Wir erreichen den mit 841 m höchsten Punkt der Strecke auf ganz bequemem Weg, den Anstieg merkt man kaum. Die Bergwertung in Sichtweite der 33 m hohen Rennsteigwarte ist längst entschieden, man kann sich das Spurten sparen. Um den Aussichtsturm herum hat man die Verpflegungsstelle aufgebaut, die nichts auslässt, was man beim Rennsteiglauf erwarten darf.
Der Abstieg hinunter nach Masserberg ist kurz, dafür ziemlich steil. Auf einem weichen Wiesenweg kann man sich aber gleich wieder ganz gut erholen. Mitten im Wald piepst es dann plötzlich. 21,1 km sind erreicht, die Zeit wird festgehalten.
Richtig rustikal wird es, als es hinunter zur Schwalbenhauptwiese geht. Schmal ist der Pfad, steinig und von Wurzeln durchzogen. Traillauf vom Feinsten, aber nicht jedermann(frau)s Sache, auch wenn die Ausrüstung für jeden Profi ausreichend wäre. Aber alles kein Problem. Man scherzt, man lacht, man hilft sich. Gemeinsam erreicht man die nächste Verpflegungsstelle und stabilisiert seine zittrigen Beine.
Der Rennsteig verläuft nun bis Kahlert parallel zur Fahrstraße. Es ist überhaupt kein Verkehr und viele Läufer benutzen deshalb die bequemere Straße. Hinter dem kleinen Ort erreicht man eine unbewaldete Hochfläche, von der aus man schon gut Neustadt (km 29) sehen kann. Im 17. Jahrhundert stand hier nur eine Glashütte, später zogen auch Holzfäller und Köhler her. Ein Teil des so entstandenen Ortes gehörte zum Fürstentum Schwarzburg-Sondershausen, ein anderer zum Herzogtum Sachsen-Meiningen. Das ist der Grund, weshalb es noch heute zwei Kirchen gibt.