An Tagen wie diesem ist man sich aber einig, man feiert die Rennsteigläufer mit zünftiger Blasmusik und deftiger Verpflegung. Wem’s in den Waden zwickt, bekommt eine Massage. Weiter geht’s. Ein Kamerad ist offensichtlich nicht gut beieinander. Gerade denke ich noch, dass es eng werden wird für ihn und will ihn fragen, ob ich ihm helfen kann. Da höre ich, wie er in sein Handy spricht: „Hallo, ich bin gerade bei km 30! Ja, mir geht es gut, sehr gut. Ich komme!“ Sind schon harte Hund, die Rennsteigläufer.
Über ein ziemlich windiges Hochplateau laufen wir weiter. Gegenüber der kleinen Schutzhütte an der alten Landesgrenze steht wie eh und je der Mann mit der Rennsteigmütze, konzentriert gleichzeitig Drehorgel und Schlagzeug spielend. Wenig später weist uns ein Schild darauf hin, dass wir uns genau in der Mitte des 169 km, 293 m und 77 cm langen Rennsteiges auf 838 m Höhe befinden. Gut zu wissen. Die für uns wichtigere Information bekommen wir kurz darauf bei der Verpflegungsstelle Großer Dreiherrenstein: 33,8 km liegen hinter uns, nur noch 9,7 km vor uns.
Der Grenzstein wurde hier 1596 zwischen dem Fürstentum Schwarzburg-Arnstadt, dem Herzogtum Sachsen-Eisenach und der Grafschaft Henneberg gesetzt. Eine Sage weiß es aber anders. Hier stand nämlich einmal eine sehr reiche Stadt. Geld und Gold ging den Menschen über alles. Da kam ein armer, frommer Mann in die Stadt und baute eine Kirche. Er lud die Menschen in seine Kirche ein, wurde dafür aber nur ausgelacht und verspottet. Eines Tages verfluchte er die Menschen der Stadt und prophezeite ihnen den Untergang. Augenblicklich zog ein schweres Gewitter auf, die Erde bebte und verschlang die Stadt. Nur der Stein, auf dem der fromme Mann stand und die Menschen warnte, ragt noch heute an gleicher Stelle aus der Erde. Der Große Dreiherrenstein.
Bei der kleinen Siedlung mit dem merkwürdigen Namen Allzunah begrüßt uns das Drumcorps der Stadt Mühlhausen. Gut gemacht, Freunde, danke. Etwas Schwung tut gut, denn es gibt noch einen giftigen Anstieg, für den man aber mit Köstritzer, all you can drink, belohnt wird. „Nur noch lumpige fünf Kilometer bis zum Ziel“ steht auf einem Gedenkstein, der bestimmt auch einmal historische Bedeutung haben wird. Zur Feier des Tages ist er mit Blumen geschmückt.
Ein Stück laufen wir parallel zur Verkehrsstraße nach Schmiedefeld, dann nimmt der Rennsteig zum Glück eine Abkürzung. Der Ort liegt unten im Tal, das Ziel auf dem Sportplatz auf der Anhöhe uns gegenüber, Luflinie 1000 Meter oder weniger. Fast kann man jedes Wort der Sprecher hören. Auf der Verkehrsstraße erreichen wir Schmiedefeld, den tiefsten Punkt der Strecke. Auf den Straßen dichter An- und Abreiseverkehr, Zuschauer, Läufer, Polizei und Ordner. Geordnetes Chaos.
Dann die letzte Prüfung, der Anstieg zum Sportplatz. Zunächst sind kaum Zuschauer da. Man geht, sammelt Kräfte. Es wird lauter, man wird angefeuert, trabt wieder an. „Auf geht’s!“ „Nicht hängen lassen“, „Gleich seid Ihr da!“ schallt es uns entgegen. Noch einmal Höchstpuls und Gänsehaut wie beim Start vor etlichen Stunden, der Lärm aus tausend Kehlen, das Sportfeld, das eher einer Festivalwiese gleicht, Rauch und Bratwurstduft aus Grillstationen, dann erst das unscheinbare Zielbanner, hinter dem die mit Caravans lückenlos belegte Parkwiese von weitem wie ein Blechhaufen ausschaut - das ist das schönste Ziel der Welt, Schmiedefeld.
Bei einem Wetter wie heute ist alles, was jetzt kommt, ziemlich unspektakulär. Deshalb erzähle ich Euch noch kurz, wie das bei meinem ersten Rennsteiglauf, natürlich dem Supermarathon, war. Die Temperaturen waren wie heute, vielleicht noch etwas kälter. Es war windig und vor allem – es hat geregnet. Auf Deutsch: es war ein Scheißwetter. Einziger Trost ,als ich beim Abwärtslaufen auf den letzten Kilometern fror wie ein Hund: Gleich komme ich in trockene Klamotten.
Ich habe vielleicht dumm geschaut, als ich meinen Kleiderbeutel auf der Gepäckwiese in Augenschein nahm. Meine Wechselkleider waren mindestens genauso nass, wie die, die ich anhatte. Wie oft ich an diesem Tag den Rennsteig samt seinen Lauf zum Teufel wünschte, weiß ich nicht mehr. Denn es ging noch weiter.
Im Zelt wollte ich bei dem Sportausstatter was zum Anziehen kaufen. Der packte aber gerade zusammen, weil der Platz für die Abschlussfeier gebraucht wurde. Also ans Auto. Als wir (meine Frau und ich) hinunter in den Ort kamen, behauptete sie zuerst, das Auto irgendwo die Straße runter und dann rechts geparkt zu haben. Als wir es nicht fanden, meinte sie, sie hätte es vielleicht doch dort, sie zeigte jetzt in die entgegengesetzte Richtung, geparkt. Das ging so eine Stunde, ungelogen. Dann fiel ihr ein, dass in der Nähe ihres Parkplatzes ein Schild zum Rennsteiglauf-Büro war. Also fragten wir einen Polizisten, wo das Rennsteiglauf-Büro ist. Der wusste das. 50 m davor stand das Auto.
Als ich endlich aus Schmiedefeld herausfuhr, standen die Chancen für eine zweite Teilnahme schlecht. Dann hatte ich auf der Fahrt ein paar Stunden Zeit, um nachzudenken. Als ich zu Hause war, war mir klar, dass es einen Lauf wie den Rennsteig nicht zweimal gibt. Und dass man Fehler, wie ich sie machte, ja nur einmal macht. Meine Berichte kennt Ihr ja inzwischen.
Übrigens, meine Klamotten verpacke ich seither immer wasserdicht in einen Beutel, den ich dann in den Kleidersack gebe. Und meine Frau hat auf ihrem iPhone eine Navi-App. Von mir aus braucht sich beim Rennsteiglauf die nächsten 40 Jahre nichts zu ändern.
Männer
1 Seiler, Christian (GER) LC Erfurt/LG Hörsel 05:10:20
2 Stegner, Carsten (GER) TRAIL Magazin 05:26:37
3 Stork, Christian (GER) Team Salomon 05:27:42
Frauen
1 Russ, Karin (AUT) MSCRogner Bad Blumau 06:21:31
2 Baumann, Katja (GER) Geh-Punkt Weißenburg 06:24:57
3 Schiebel, Gitti (GER) TV Immenstadt 06:29:29
2499 Finisher
Männer
1 Bräutigam, Marcel (GER) Laufclub Erfurt 02:38:09
2 Bergmann, Sebastian (GER) TU Ilmenau 02:50:56
3 Nitsche, Sebastian (GER) Berlin 02:52:11
Frauen
1 Eisenacher, Kristin (GER) USV Erfurt 03:12:17
2 Jakob, Anja (GER) VSC Klingenthal 03:14:17
3 Herzberg, Anna (GER) Uni Jena 03:14:53
3422 Finisher