Als der Skiclub Wernigerode 1911 e.V. im Jahr 1980 zum ersten Mal die Harzquerung veranstaltete, ahnte noch niemand etwas davon, dass Trailrunning Jahrzehnte später zum Trendsport werden würde.
Natürlich ahnte damals auch niemand, dass die Strecke zehn Jahre später durch die BRD statt durch die DDR führen würde. Mit ihrer ausgewogenen Mischung aus normalen Feld- und Waldwegen sowie genügend technisch nicht besonders schweren Trails eignet sich die Harzquerung ideal für erste Erfahrungen im Trailrunning. Außerdem passt die Harzquerung zur in den letzten Jahren wieder boomenden Nachfrage nach langen Gemeinschaftswanderungen, da auf allen Distanzen auch Wandern ohne Zeitmessung angeboten wird. 2024 sind insgesamt 36 Prozent der vorangemeldeten Teilnehmer Wanderer.
Annette und ich kommen am Freitag mit der Bahn in der hübschen Stadt Wernigerode am Rande des Harz an. Ab 17 Uhr ist die Startnummernausgabe in einem Schulgebäude in Nähe von Bahnhof und Fußgängerzone geöffnet. 100 Punkte für Nachhaltigkeit! Ein Raum mit ein paar Tischen für die Unterlagen, keine Party, kein Schnickschnack, nur ein Briefumschlag mit Startnummer, einem winzig kleinen Karton, den man mit Wollfaden an seine DropBag binden kann und ein winziger Zettel mit dem Coupon für den Bustransfer. Draußen verkauft jemand Gel und Riegel.
Die Startplätze sind seit Tagen ausgebucht, darunter sind 592 Läufer der Ultradistanz. Da der Start für die 53 km und für die 25 km erst um 8.30 Uhr ist, bleibt genug Zeit zum Frühstücken. Die 30 km Läufer starten später auf der zweiten Hälfte der Ultrastrecke. Ich will die lange Distanz mit 1070 hm Auf- und 1170 hm Abstieg laufen, Annette die erste Hälfte. Eine Viertelstunde brauchen wir von unserer Pension nahe Marktplatz bis zum direkt am Waldrand liegenden Startgelände. Auch hier ist alles auf das Wesentliche beschränkt. Ein paar Toilettenhäuschen, zwei verschiedene Stapel für die DropBags, ein Startbanner, sonst nichts. Die Atmosphäre ist entspannt wie bei einem gemütlichen Ausflug mit Freunden.
Pünktlich ertönt der Startschuss und viele hundert Menschen laufen in den Wald hinein. Während der ersten halben Stunde ist das Feld noch recht eng, zweimal gibt es sogar kurz Stau, aber wir haben ja reichlich Zeit. In einer Mischung aus Laufen und Wandern geht es zuerst bergauf, bald aber auch schon wieder abwärts. So abwechslungsreich bleibt es auch den Rest des Tages über. Heute dürfen wir bei idealer Temperatur viele Stunden Sonnenschein genießen. Ein Trail durch sonnigen Buchenwald führt uns hinab ins Kalte Tal und über eine kleine Brücke. Danach zieht sich die Menschenschlange auf einem etwas steileren Trail wieder bergauf und durch einen kleinen Hohlweg.
Eine halbe Stunde nach dem Start entzerrt sich das Feld dann schnell auf breiten Wegen. Den Harz verbindet man meist mit dem Gedanken an dunkle und dichte Wälder. Doch in den letzten Jahren gingen von hier erschreckende Bilder von riesigen kahlen Flächen durch die Medien. Der Klimawandel verändert mit den Folgen von Trockenheit und Borkenkäfer die Landschaft in schier unglaublichem Ausmaß. Diese zuerst bedrohliche Entwicklung sorgt aber langfristig dafür, dass die aus rein wirtschaftlichen Interessen gepflanzten Fichten-Monokulturen durch einen gesünderen Mischwald ersetzt werden.
Wir laufen nun durch einen Bereich, in dem die abgestorbenen Bäume gerodet wurden und am Boden bereits eine dichte Schicht aus Sträuchern und jungen Bäumen nachwächst. Wo man früher nur Bäume um sich herum sah, gibt es nun kaum Schatten, dafür weite Ausblick. Ich bin mal gespannt, wie es hier in zehn Jahren aussieht.
Nun geht es hinab zur Zillerbachtalsperre und über die Staumauer. Herrlich! Auf der anderen Seite folgt ein kurzer, steiler Trail.
Eine Weile laufen wir bequem oberhalb des Ufers weiter. Dann umgibt uns oben auf dem Kunstberg wieder ein ehemaliger Wald, von dem nur noch ein paar vereinzelte Bäume stehen geblieben sind. In der Ferne sehen wir den Gipfel des Brocken, wo auch jetzt Ende April noch Schnee liegt. Mitte Februar 2024 erlebten die Teilnehmer der legendären Brocken-Challenge das normalerweise gewohnte Eis- und Schneeparadies auf dem kältesten Berg Norddeutschlands komplett schneefrei - für mich so unvorstellbar wie Glühwein im August!
Dann folgt ein Abschnitt über sonnige Wiesen. Unten im Steinbachtal steht die erste Verpflegungsstelle. Hier wie auch an den anderen gibt es unter anderem Schmalz- und Margarinebrot, Vegetarisches, Obst und Salz. Auf Plastikmüll wird verzichtet - die wieder verwertbaren Becher werden an Ort und Stelle gespült.
Bald laufe ich auf einem wunderbaren Weg entlang der Kalten Bode. Kurz geht es durch den Ortsrand von Königshütte, dann weiter abwechselnd bergauf und bergab. Zwischendurch passieren wir erneut ein Kahlschlaggebiet. Durch das Spielbachtal laufen wir bequem bergab. Der lange Streckenabschnitt im Tal der sich über Wiesen schlängelnden Warmen Bode gefällt mir besonders gut. Eigentlich könnte ich hier bei nur leichter Steigung schneller laufen, aber ich will Kraft für die anstrengendere zweite Hälfte sparen und die Natur genießen.
Trotz dem vielen Regen im April sind heute überraschend wenige Stellen schlammig. Vor und nach der Überquerung des Baches muss man etwas aufpassen.
Dann marschieren wir auf den Kapitelsberg, von dem wir wieder einen weiten Rundblick genießen.
Bei km 22 steht die zweite Verpflegungsstelle. Hier habe ich 51 Minuten Vorsprung zum Cut Off. Die Teilnehmer der 25 km Distanz laufen hier geradeaus, für uns Ultras geht es auf abwechslungsreicher Strecke weiter. Die Markierung ist überall hervorragend. Dass es dennoch Leute gibt, die bei unübersehbaren Pfeilen, Schildern und Flatterbändern eine Abzweigung verpassen, so wie die Gruppe, der ich vergeblich hinterher brülle und sie bremsen will, ist nicht Schuld der Veranstalter.
Mal auf breiten Wegen, mal auf Trails laufen wir nun oft über Wiesen, immer wieder mal entlang hübscher Bäche. Dann marschieren wir auf einen Berg, bei dem der Kahlschlag noch nicht so lange her ist, also noch kein frisches Grün nachwachsen konnte. Die Trails durch diese Natur im Wandel sind faszinierend.
Schließlich führt ein kurzer, sehr steiler Trail hinab zum Tiefenbach. Da es hier bei Regen vermutlich recht rutschig ist, sind neben dem Trail Seile gespannt, die Halt geben.
Wir überqueren die Trasse der Harzquerbahn und marschieren wieder bergauf. An VP 3 bei km 31 in Sophienhof merke ich, dass ich mich auf den letzten 22 km etwas mehr beeilen sollte. Zum Glück folgt nun ein längerer Abstieg, bei dem ich meist schnell voran komme. Ebenfalls schnell laufen kann ich anschließend entlang der Bere und der Bahnlinie der Harzer Schmalspurbahn.
Ich habe Glück und kann einen der historischen Schienenbusse fotografieren. Vor dem Besucherbergwerk Rabensteiner Stollen sehe ich alte Loren.
Nun folgt ein besonders langer Aufstieg. Da hier Buchenwald anstatt der Fichtenwälder wächst, wirkt die Natur um mich herum nun intakt. Auf dem 601 m hohen Poppenberg steht vor dem Aussichtsturm für uns eine Getränkestelle. Einige Kilometer weit kann ich nun auf meist recht leichter Strecke bergab laufen.
Ich durchquere Neustadt/Harz und erreiche VP 4. Zu meiner großen Begeisterung gibt es hier sogar Brot mit Bärlauch-Aufstrich und Nutellabrot. Ich greife bei beidem zu. Nun zeigt sich der Harz von einer ganz anderen Seite als am Vormittag. Ich laufe durch eine liebliche Landschaft mit Streuobstwiesen und weiter Aussicht. Wer Abwechslung sucht, ist bei der Harzquerung am rechten Fleck!
Mit einem Wechsel aus Genusslaufen und flottem Marsch überhole ich in dieser idyllischen Umgebung nun viele Wanderer. Bei der letzten Getränkestelle zeigt ein Schild an „Leider nur noch 3,5 Kilometer.“ Dies ist zwar nicht mehr weit, doch zuerst muss ich nun wieder stramm bergauf marschieren. Erst die letzten zwei Kilometer laufe ich dann auf relativ einfachen Wegen über Wiesen bergab.
Noch einmal geht es kurz durch den Wald, dann sehe ich den Sportplatz am Ortsrand von Nordhausen vor mir. 20 Minuten vor Zielschluss laufe ich glücklich und zufrieden durch den Zielkanal. Annette kam vor einigen Stunden auf der 25 Stunden Strecke eine Stunde vor Zielschluss an.
Ich halte mich nicht lange bei der Verpflegung auf, ziehe meine trockenen Sachen an und gehe zur 250 m entfernten Haltestelle der Busse. Den Bustransfer zurück zum Startort konnte man gegen einen Aufpreis von 15 Euro bei der Anmeldung buchen. Auf dieser herrlichen Strecke rundet die einstündige Busfahrt mit viel Landschaftsgenuss einen perfekten Lauftag ideal ab.
Am nächsten Morgen besichtigen wir noch die herrliche Altstadt mit vielen Fachwerkhäusern und einem ungewöhnlichen mittelalterlichen Rathaus, das seine heutige Gestalt im 16. Jahrhundert erhielt. Dann wandern wir noch hinauf zum Schloss In seiner heutigen Form entstand es auf Vorgängerbauten Ende des 19. Jahrhunderts und gilt als eines der wichtigsten Bauwerke des norddeutschen Historismus.
Annette und ich sind sehr froh, dass wir die Reise in den Harz gemacht haben, denn dieses Wochenende hat uns ausgesprochen gut gefallen.
18.03.21 | 41. Harzquerung muss erneut verschoben werden |