Fotos: Kay Spamer
Während Kate in London sich ihr weißes Hochzeitskleid anzieht, überlege ich noch, was ich einpacken soll und entscheide mich spontan für das kleine Schwarze und statt Pumps packe ich doch lieber die Crosslaufschuhe ein. Eine Stunde später sitzen wir mal wieder im Auto und diesmal geht es nach Wernigerode in Sachsen-Anhalt.
Die letzten Kilometer fahren wir in sanften Wellen über die Landstraße. Blühender Raps überzieht die Landschaft wie ein Teppich. Wir freuen uns auf die Stadt und den bevorstehenden Lauf.
Bei der Teilnahme am Brockenlauf 2007 konnten wir die Schönheit Wernigerodes ausgiebig kennenlernen und übernachteten im Hotel Gothisches Haus. Es zählt zu den ältesten Gebäuden und befindet sich direkt am Mittelpunkt der Stadt gelegenen Marktplatzes, der seine Faszination vor allem dem spätgotischen Fachwerk-Rathaus verdankt. Es ist eine romantische Stadt mit Fachwerkhäusern aus fünf Jahrhunderten, kleinen Gassen und das hoch über der Stadt gelegene Schloss der Fürsten zu Stolberg-Wernigerode.
Natürlich wollen wir diesmal auch wieder im Gothischen Haus übernachten, aber niemals haben wir damit gerechnet, dass nicht nur dieses Hotel belegt ist, sondern weit und breit alle Hotels und Pensionen. Die Stadt wimmelt von Menschen, denn, an Walpurgis ist im ganzen Harz die Hölle los! In der Nacht zum 1. Mai ritten einst die Hexen auf Besen, Mistgabeln, Böcken und Schweinen zum Hexensabbat auf den Brocken, um sich dort in Orgien mit dem Teufel oder anderen Unholden zu vereinigen. Dies thematisiert auch Goethe in seinem „Faust“. Jene Nacht, als Gott Wotan und Göttin Freya nach germanischen Glauben den Frühling zeugten.
Eine Möglichkeit zu Übernachten haben wir noch. DIE Turnhalle – und Klaus meinte ja auch, dies sollten wir uns auf gar keinen Fall entgehen lassen.
Von der Turnhalle sind es nur ca. 500 Meter bis in die Altstadt von Wernigerode. Also machen wir uns auf den Weg. Wir lernen, dass das Lieblingsgetränk der Harzer der Gerstensaft ist. Am bekanntesten ist wohl das Hasseröder Bier, das in Wernigerode mit jährlich 2 Mio. Hektoliter gebraut wird. Weitere Harzer Spezialitäten sind u.a. das „Harzer Grubenlicht“ und der „Schierker Feuerstein“ alles nicht so wirklich geeignet, um den Flüssigkeitshaushalt für den bevorstehenden Lauf aufzufüllen. Statt einem „Harzer Roller“ für die Kohlehydratauffüllung bevorzugen wir Nudeln Bolognese bei einem Italiener in der jetzt übervollen und daher nicht mehr ganz so romantischen Altstadt.
Auch alles andere als romantisch ist die Übernachtung, eher rustikal, so wie eben der ganze Charakter dieses Laufes.
17:00 Uhr: Eine lange Teilnehmerschlange steht vor einem mit Graffiti besprühtem Gebäude. Manche Läufer wie wir ausgestattet mit Isomatten und Schlafsäcken. Wir bekommen den ersten Schock an diesem Nachmittag. Die wollen doch nicht alle dort übernachten? Von ganz hinten sehen wir, wie ganz vorne Sigrid Eichner völlig lässig und entspannt mit dem Schlafsack unter dem Arm die Halle betritt. Na gut denken wir, sie darf das, denn immerhin hat sie bereits vor über 20 Jahren diesen Lauf schon mal gewonnen und sicherlich hat sie hier auch schon 20mal übernachtet. Irgendwann haben auch wir den Eingangsbereich erreicht.
Ein älterer Herr, später stellt sich heraus dass es der Organisator des Laufes ist, weist lautstark darauf hin, dass wir an der aufgestellten Tafel unsere Startnummern schon heraussuchen sollen. Wir überlegen uns eine Taktik, wie wir doch noch einen „schönen“ Schlafplatz ergattern und teilen uns auf. Kay stellt sich in die Schlange für die Ausgabe der Startnummern und ich schnappe unsere Taschen und stürme die Turnhalle.
Schnell, schnell sonst sind alle Turnmatten weg. Puh, nassgeschwitzt vom Zerren und Reißen habe ich es aber doch geschafft, die letzten zwei Turnmatten für uns zu ergattern und lege schnell zur Kennzeichnung des Reviers unsere Schlafsäcke darauf. Die begehrten Wandschlafplätze sind alle schon belegt und so schiebe ich noch eine Bank an unsere Kopfseite und stellte die Taschen darauf. Na also, sieht dann doch ganz gemütlich aus. Wir inspizieren die sanitären Anlagen und kommen uns vor wie im Time Tunnel. Wir rätseln, wie lange diese Halle wohl schon steht und ob wir am morgigen Tag hier oder in Nordhausen duschen können. Gut ausgerüstet wie wir sind, hanen wir unsere Pads-Kaffeemaschine mitgenommen, denn ohne Kaffee läuft gar nichts. Wir müssen nur noch eine Steckdose finden. In der Damentoilette wurde ich fündig, auch wenn diese keinen wirklich guten Eindruck vermittelt.
Vorsichtshalber richten wir aber auch unser Auto schon mal für die Nacht. Falls es gar nicht auszuhalten wäre, so können wir doch den Schlafsack schnappen und ins Auto „auswandern“. Diese Idee wäre nicht schlecht, wenn man mal davon absieht, dass auf dem großen Parkplatz ein Zirkus Winterquartier bezogen hat, der scheinbar zu einer Diskothek umgerüstet ist, mit einer superklaren gut zu hörenden Soundanlage. Aber soweit sollte es doch nicht kommen.
Mein aufblasbares Kissen verliert die Luft, der Dielenboden knarrt und stöhnt bei jedem noch so leichten Läufer, der sich auf seinen nächtlichen Gang begibt. In einer Ecke sitzen noch einige Läufer und erzählen sich gegenseitig ihre Abenteuer. Vereinzelt sieht man kleine Lichtquellen, die an den Köpfen der ruhenden Läufer befestig sind. Neben uns schlägt ein Läufer sein Quartier auf und neidisch fällt mir sofort seine Tasche mit dem Aufdruck auf: Transalpin-Run. Während er sich an seinem Schlafplatz umkleidet ist zu erkennen, dass er ein Trailrunner durch und durch sein muss. Ich wünsche, wir hätten unser Finisher-Shirt vom Transalpin-Run auch schon. Aber jetzt sind wir erst einmal hier in der Turnhalle. Versehen mit Kopfhörern und Hörbuch sowie bereitgelegten Oropax schlüpften wir in unsere Schlafsäcke und versuchen zu schlafen. In Goethes „Faust“ gibt es den Vers: „Und die Klippen, die sich bücken, und die langen Felsnasen, wie sie schnarchen, wie sie blasen…“. War der auch mal hier?.
Gegen 6:00 Uhr ist dann auch für uns die Nacht vorbei. Mal abgesehen von dem Alptraum, dass meine langen Haare komplett zu einem Kurzhaarschnitt einfach abgebrochen sind. Wahrscheinlich kam es zu dem Traum, weil fast alle Frauen, die ich hier sehe, einen Kurzhaarschnitt haben – und ich meine richtig kurz. Sonst war die Nacht gar nicht so unerträglich wie befürchtet.
Mit Zahnbürste und Kaffeemaschine mache ich mich auf zur „Morgentoilette“. Auf der Turnmatte sitzend, lassen wir uns unser mitgebrachtes Brot und Eßzet-Schnitten mit einem heißen Kaffee schmecken. Alles in allem, auch eine gewisse Art von Romantik, auf jeden Fall halb so schlimm und wirklich zu empfehlen.