Etwa an km 5, vorher hat es schon das erste Mal außerplanmäßig Wasser gegeben, steht zum ersten Mal mein bestelltes Jubelkommando inkl. meiner Thusnelda. Das ist jetzt ausnahmsweise mal nicht frauenfeindlich, sondern der Name der Ehefrau unseres germanischen Helden. Ich wundere mich über die doch schon vergleichsweise zahlreichen Zuschauer, aber das sollte nur der erste, zarte Anfang sein.
Überrascht bin ich, schon seit km 4 mehr und mehr zu überholen. Insbesondere etliche junge Frauen mit teils beeindruckenden eingelagerten Energiereserven in der Körpermitte und den hinteren Extremitäten laufen so langsam, daß diese mit in der Gruppe B gestartet sein müssen. Das ist für diejenigen, die zügig laufen wollen, ein echtes Problem. Nicht jede(r) hat sich also passend zu seinem/ihrem Leistungsvermögen aufgestellt und das führt dazu, daß man permanent am Überholen, Querlaufen, Abstoppen, Anlaufen ist. Und das gestaltet sich bei der Enge der Wege häufig schwierig genug. Es muß leider deutlich gesagt werden: Die Strecke ist überfüllt, es sind zu viele Läufer unterwegs. Damit aber kein Mißverständnis entsteht: Die Route ist traumhaft schön, abwechslungsreich, zuschauerintensiv, einfach herrlich!
Oben auf dem Großen Ehberg angekommen, werde ich durch 80 Bergabmeter belohnt. Und dieser ständige Wechsel zwischen Auf und Ab wird sich im weiteren Verlauf der Strecke bis zum Ende fortsetzen. Wohl dem, der regelmäßig in hügeligem Gelände unterwegs ist! Ab etwa km 8 passieren wir den Truppenübungsplatz Senne bei Augustdorf über eine breite Panzerstraße, deren Art mir aus alten Zeiten beim Barras, meist aus der Kommandantenluke, wohl vertraut ist. Am Anfang schon die zweite Wasserstelle und wenig später die erste „richtige“ Verpflegungsstation. Angeboten werden temperiertes Wasser ohne Kohlensäure, Tee, Apfel-, Apfelsinen- und Bananenstücke. Die Anfeuerung ist riesig, Tour-de-France-Gefühl pur. Als Rheinländer dachte ich bisher immer, die Westfalen seien alle so wie Rüdiger Hoffmann: Paderborn, „ja, hallo erst mal“ und so, Ihr wißt schon. Nichts dergleichen, die sind tatsächlich quicklebendig! Um nicht zu sagen: Hier ist die Hölle los!
Die km zwischen 9 und 14 verlaufen, außer daß einige Abschnitte auf tiefem Sandweg zu überwinden sind, relativ undramatisch und eben. Viele, auch ich, nutzen die Gelegenheit, auf einem schmalen, parallel verlaufenden Waldweg mit festerem Untergrund besser voranzukommen. Aufgrund der Trockenheit der letzten Tage ist es sehr staubig, was aber das Laufen nicht behindert. Aber schwer warm ist es und es wird immer wärmer. Die folgenden 2 km bringen den für mich als schwierigsten empfundenen Anstieg zum Tönsberg. Zunächst gibt’s aber bei km 13,5 an der Stapelager Schlucht die nächste Atzung. Die Steigung jogge ich komplett hoch, viele sind bereits am Gehen und kämpfen heftig mit den rund 100 Höhenmetern, insbesondere am Ende. Belohnt werden jedoch alle mit einem wunderbaren Fernblick vom Tönsberg; dieses Bild kann die Kamera leider nur unzureichend einfangen.
Äußerst hilfreich ist die vom Veranstalter auf seiner Internetseite angebotene Tabelle mit Zwischenzeiten für vier unterschiedliche Zielzeiten. Durch das abwechslungsreiche Profil helfen einem da abgestoppte einzelne km relativ wenig. So kann ich mich sehr gut an diesen Werten orientieren und kontrollieren, ob die Chance besteht, unter drei Stunden zu bleiben. Als quasi Spickzettel habe ich diese auf meinen Unterarm geschrieben. Und sollte das mit den drei Stunden nicht funktionieren, liegt’s garantiert an der Bielefeldverschwörung. Derzufolge ist nämlich die Existenz von Bielefeld überhaupt in Frage gestellt. Und was nicht da ist, kann man auch nicht erreichen. Schon gar nicht in drei Stunden. Im Zweifelsfall eine super Ausrede!
Plötzlich sehe ich ein mir von „meinem“ blinden Kenianer, Henry Wanyoike, vertrautes Bild: Einen von einem sehenden Läufer geführter blinder Läufer. Ich pirsche mich heran, mache ein Bild von hinten, frage, ob von vorne eines erlaubt ist, höre ein „Selbstverständlich!“ und „Grüß den Klaus schön von mir!“. Das ist doch tatsächlich der Didi, den ich schon in Arolsen beim Adventmarathon abgelichtet habe. So klein ist die Welt!
Ich registriere erfreut, daß ich inzwischen die Hälfte geschafft und somit im wahrsten Sinne des Wortes Bergfest habe und liege mit 1:25 Std. sehr gut in der Zeit, da kann ich nicht meckern. Wie gewonnen, so zerronnen: Wie wir uns nach oben geschleppt haben, geht’s jetzt wieder hurtig nach unten. Unterwegs wird noch bei 18,4 km zum dritten Mal (offiziell) Verpflegung aufgenommen und schon sind wir in Oerlinghausen. Landschaftsläufe habe ich ja schon viele mitgemacht, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt: So klein das Dorf ist, so viele Zuschauer (natürlich auch wieder meine Fans) stehen hier auf einer gut beschallten Partymeile. Hier steppt der Bär! Da läßt sich auch das ansonsten unangenehme Kopfsteinpflaster ertragen. Viele laufen in den links und rechts davon verlegten Regenrinnen.