Letztes Wochenende haben Norbert und ich einen neuen Lauf entdeckt: Den Höllwand-Marathon mit Start und Ziel in Gumpelstadt/Moorgrund, einem Ortsteil von Bad Salzungen in Thüringen. Die Ausschreibung liest sich entzückend. Die Strecke verläuft auf dem Pummpälzweg, dessen Name auf einen kleinen, rauhaarigen Kobold zurückgeht. Der Sage nach springt dieser Wanderer mit „schlechten Manieren, finsteren Gedanken und bösen Absichten“ an, um sie dann abzuwatschen. Die anderen begleitet er freundlich, friedlich und manchmal sogar fröhlich.
Der Höllwand-Marathon führt knapp 22 km bis zur Wartburg, dort ist der Wendepunkt und dann auf der gleichen Strecke wieder zurück. Weil man zweimal den Rennsteig überquert, kommen so über 1000 Höhenmeter zusammen.
Der Fokus der Veranstaltung liegt eigentlich auf Wandern, das jetzt Hiking heißt. So werden an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden auf verschiedenen Strecken die Weltmeister beim RENNSThike World Championship ermittelt. Aber auch Läufer kommen nicht zu kurz. Neben dem Höllwand-Marathon wird ebenfalls ein Halber, ein Viertel sowie ein Staffelwettbewerb ausgetragen.
Als wir am Sonntag gegen 9 Uhr vor der Kulturscheune im Ortszentrum eintreffen, ist von Hektik nichts zu spüren. Zur Startnummer erhält man den Zeitmesschip, der an der Wartburg und später im Ziel von Hand eingelesen werden muss, um die Laufzeit festzuhalten. Während die Wanderer bereits um 7 Uhr gestartet sind, gehen die Läufer erst um 9Uhr30 auf die Strecke.
Heute wird sich die Sonne, laut Wetterbericht, nicht blicken lassen. Mir kommt das entgegen, denn die Temperaturen werden sich dadurch in angenehmen Grenzen halten. Dafür ist es morgens noch etwas frisch. Ich bin froh, dass Werner, der Chef des Veranstalter-Teams, zeitnah das Startzeichen gibt.
Es geht die Straße hinauf. Schnell erreichen wir den Ortsrand. Die Straße wird zum Feldweg und bald zeigt ein Pfeil links auf einen Singletrail. Norbert hat sich verabschiedet und ist mit den anderen Läufern am Berg verschwunden. Ich kann aber nicht schneller.
Thomas, auf seinem 5. Halbmarathon, ist ein angenehmer Gesprächspartner. Schnell gewinnen wir Höhe. Schon jetzt ist die Aussicht großartig. Bei mir läuft es heute ganz gut, so dass ich Thomas leider hinter mir lassen muss. Ich biege auf eine Straße ein. Zu meinem Erstaunen kann ich vor mir Läufer erkennen. So weit, wie ich dachte, bin ich gar nicht zurück.
Die erste VP, unterhalb des Jagdhaus Kissel bei km 5, kommt überraschend früh. Ich brauche aber noch nichts. Die meisten Höhenmeter scheinen geschafft zu sein, die Strecke wird nun flacher, teilweise sogar abfallend und verläuft jetzt im Wald. Zur Abwechslung muss eine Straße überquert werden. Zwei Freiwillige von der Feuerwehr sichern den Überweg. Ungefähr bei km 10 folgt schon die nächste Verpflegung mitten im Wald. Mir geht es immer noch so gut, dass ich auch hier nicht anhalte.
Tendenziell bergab, fliege ich an den bekannten Rennsteigschildern vorbei. Bei der nächsten Straßenquerung sind wir bereits an der Hohen Sonneund somit an der 3. VP. Schon von weitem lädt mich Frank Albrecht, M4Y-Kollege, zu einem leckeren Pils ein. Leider muss ich ablehnen. Mein hoher Puls lässt momentan keine Nahrungsaufnahme zu. Ich habe Wasser und Gel dabei und bin so gut unterwegs, dass ich nicht anhalten will. Grund genug wäre, um anzustoßen. Wir sind an einem historischen Platz, denn von hier wurde 1973 der erste Rennsteiglauf gestartet.
Die Strecke wird jetzt belebter, denn hier ist beliebtes Wandergebiet. Als ich gerade überlege, wie ich an der großen Wandergruppe vorbeikomme, drehen sie sich um und wie auf Kommando wird mir Platz gemacht. Als ich das so gebildete Spalier passiere, machen sie eine La-Ola-Welle und lauter Applaus entlässt mich. Wie cool!
Hier begegnen mir auch die ersten Wanderer des RENNSThikes, die sich schon wieder auf dem Rückweg befinden. Wir feuern uns gegenseitig an. Pfeile weisen mich links und es wird trailig. So macht das noch mehr Spaß. Wieder auf dem Hauptweg kommen mir nun die führenden Läufer entgegen. Ich werde von allen angefeuert und dadurch noch motivierter.
Es geht immer noch bergab. Durch die Ablenkung der entgegenkommenden Läufer erreiche ich schnell die Sängerwiese. Von dort geht es schnurgerade bergauf. Die erste und zweite Frau des Laufs kommen mir jetzt entgegen.
Oben angekommen, folgt ein wunderbarer Trail. Fußgänger und Wanderer machen Platz und feuern mich an. Plötzlich liegt die Wartburg über mir. Norbert kommt entgegen. Er hat irgendwo den richtigen Weg verpasst und musste unfreiwillig einmal um die Burg herum. Ich passe auf, kann aber keinen Abzweig erkennen. Mein Weg führt steil bergauf, und die Entgegenkommenden rufen, ich sei gleich oben.
An den Mauer der Burg angekommen, bin ich erst einmal verwirrt. Wo ist hier die Zeitnahme? Ein Geistlicher spricht mich an und zeigt mir die Stelle. Es piepst und mein Chip ist gescannt. Um 12Uhr15, d.h. nach 2h45, habe ich bereits die Hälfte geschafft. Das ist super!
Mit Cola und Schmalzbrot nehme auf einer Bierbank Platz. Ich sehe mich um und erkenne, dass der Geistliche gar nicht echt ist. Er soll Martin Luther darstellen, der vor genau 500 Jahren auf der Wartburg die Bibel vom lateinischen ins Deutsche übersetzte, so dass endlich jeder das Wort Gottes lesen konnte. Dass er dort nicht ganz freiwillig war, dürfte allgemein bekannt sein: Nach dem Anschlagen seiner Thesen war er vogelfrei und jeder religiöse Fanatiker hätte ihn ungestraft töten können. Der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, rettete ihn daher durch eine fingierte Entführung. Auf dem Lutherweg kann man diese historische Begebenheit nachvollziehen.
Nach einem Selfie mit „Herrn Dr. Luther“ mach ich mich wieder auf den Weg, steil bergab. Den Entgegenkommenden spreche ich jetzt Mut zu, denn es ist ja nicht mehr weit.
Am Fuße der Wartburg zeigt ein Schild den Beginn des Pummpälzwegs, während der Lutherweg hier endet. Bereits auf dem schönen Trail spüre ich eine gewisse Müdigkeit und auf dem Weg zur Sängerwiese, nun bergab, bekomme ich überflüssigerweise einen Krampf. Na gut, dann wird die zweite Hälfte halt langsam und ich kann die Strecke noch mehr genießen.
Die Sängerwiese gelangte zu historischer Bedeutung durch den Umstand, dass sich im August 1847 bei einem Thüringer Sängerfest 28 Männerchöre mit insgesamt über 1.200 Sängern zu einem einmaligen Sängerwettstreit im Wald einfanden. Obwohl heute Sonntag ist, ist in der gleichnamigen "Sängerwiesenhütte" nichts los. Schade eigentlich.
Die Strecke führt nun tendenziell bergauf. Mir kommt eine Gruppe junger Frauen entgegen. Ihr Applaus begleitet mich den Berg hinauf. Ein Staffelläufer kommt mir entgegengeeilt. Soviel ich weiß muss die Staffel 55 km zurücklegen; der Läufer sieht noch gut aus.
Diesmal verweile ich an der Hohen Sonne km 28 und probiere das Bier. Ein Schwätzchen mit den Feuerwehrmännern macht das Ganze perfekt. Wenn schon, denn schon. Weil die B19 relativ stark befahren ist, sind noch Streckenposten der Feuerwehr Vorort, um die Läufer gefahrlos und ohne Zeitverlust über die Straße zu lotsen. Ich erinnere mich, dass hier auch der Rennsteiglauf die Straße überquert.
Da ich oft im schnellen Wanderschritt unterwegs bin, habe ich die Gelegenheit, die Besonderheiten des Pummpälzwegs zu bewundern: Informationstafeln und mannshohe Holzskulpturen, welche die Sagen von Ludwig Bechstein illustrieren. Bechstein wurde 1801 in Weimar geboren und ist durch seine umfangreiche Märchen- und Sagensammlung bekannt. Seine Liebe galt einheimischen Sagen, wie „Die Schwurschwerter der Wartburg“, „Der Schmied von Ruhla“, „Der Brautborn“ und „Die erste Gumpelstädter Kirche“. Die beeindruckenden Holzbildhauerarbeiten stammen von Schülern der Schnitzschule Empfertshausen.
Etwas weiter passiere ich das Kneippbecken am Hohen Bruch. Dann laufe ich durch die sagenumwobene Mosbacher Hölle, zu erkennen am Ausblick auf die Hörselberge. Hier liegt auch die dem Marathon den Namen gebende Höllwand. Die Anstiege nehmen kein Ende. Wenigstens kann ich immer wieder Wanderer überholen.
Obwohl in Gedanken versunken, fühle ich mich beobachtet. Immer wieder spähen rötliche Augen aus Wald und Busch. Der Pummpälz begleitet mich und lächelt mich an.
Bei km 31 erreiche ich die nächste VP mitten im Wald. Es gibt belegte Brote, Obst, Cola, Bier und viele nette Worte. Gestärkt nehme ich die letzten gut 10 km in Angriff. Es wird flacher und mittlerweile kann ich das meiste auch wieder laufen. Bei km 34 habe ich dann den höchsten Punkt der Strecke erreicht. Wir verlassen den Rennsteig an der Neuen Wiese. Es geht nun 2 km bergab vorbei am Brautborn. Hier kann man deutlich den nahen Bachlauf hören. Ein hoffentlich letzter Anstieg, und die letzte VP am Kissel bei km 37 ist erreicht.
Ich bediene mich am Cola während mir ein anwesender Radler Mut zu spricht: „ Es geht jetzt meist bergab“. Ich erinnere ihn daran, dass ich die Strecke von heute Morgen kenne und weiß, wo es langgeht. Nein, ich müsse am nächsten Abzweig anders laufen, meint er und zeigt mir den Weg. Ich bedanke mich und bin neugierig, was mich auf den letzten 5 km noch erwartet. Zunächst führt der Weg flach, dann abschüssig durch lichten Wald. Informationsschilder geben Hinweise auf Flora und Fauna. Plötzlich geht es nochmals bergauf. Mist, ich hatte gehofft unter 6 Stunden Laufzeit ins Ziel zu kommen. Das wird nun nichts mehr.
Als die lange Steigung geschafft ist, befinde ich mich wieder auf einer Straße, die mich in schönem Gefälle endlich Richtung Tal bringt. Ein Pfeil zeigt plötzlich nach rechts. Der Weg ist zugewachsen, aber die Wegweisung eindeutig. Ich schiebe mich zwischen Brennnesseln und Brombeerranken hindurch und sehe dann vor mir eine Wiese, die bis zum Horizont reicht. Das ist das Herz des Naturschutzgebietes „Alte Warth“. Kaum vorstellbar, dass hier bis zur „Wende“ Motocross Meisterschaften ausgetragen wurden.
Es geht immer geradeaus, der Pummpälz zeigt mir den Weg. Bald liegt das gesamte Umland zu meinen Füßen. Steil auf einem Wiesenweg bergab, dann durch eine hohle Gasse, ich lande am Ortsrand von Gumpelstadt. Leider führt die frisch asphaltierte Straße bergauf. Oben links dann endlich das finale Gefälle.
Ein Staffelläufer feuert mich an, um mich aber auch gleich zu überholen. Die letzte Läuferin der Staffel kommt an mir vorbei gerannt. Ich lasse den Beiden gerne den Vortritt und genieße in gebührendem Abstand meinen eigenen Zieleinlauf. Norbert nimmt mich in Empfang. Der Sprecher hat die Siegerehrung der Halbmarathonis unterbrochen und beglückwünscht mich. Mit 6h01 Laufzeit bin ich sehr zufrieden, das hätte ich nie erwartet.
Wir genehmigen uns für kleines Geld Zielbier und Thüringer Rostbratwurst. Dann erfahre ich, dass ich meine Altersklasse gewonnen habe, was nicht so schwierig war, als einzige Starterin. Trotzdem muss ich aufs Podest und bekomme eine Medaille, Blumen, Urkunde und ein Fläschchen Luthers Tinte. Am schönsten ist aber das Foto mit Luther und dem Ehepaar in originaler Tracht.
Fazit: Strecke toll, Organisation toll, Verpflegung toll, Leute toll.
Warum in aller Welt sind so wenig Läufer am Start?
Klar, über 1000 Höhenmeter sind kein Pappenstiel. Für eingefleischte Trailer ist es vielleicht zu wenig Trail, für Straßenläufer eventuell zu viel. Aber was ist mit den vielen anderen, die einfach gerne laufen und dafür oft eine weite Anfahrt in Kauf nehmen?
Die Höhenmeter sind gut zu bewältigen, die Strecke attraktiv und auch bei schlechtem Wetter kein Problem. Die Wartburg war für mich ein Highlight, hoffentlich bleibt sie auch nach dem Lutherjahr noch Wendepunkt.
Zu weit weg? Gumpelstadt war für uns besser zu erreichen, als die meisten stark frequentierten Marathon-Orte. Und überhaupt, das Startgeld ist so gering, da kann man hier in Gumpelstadt für die Differenz zu den Teilnahmegebühren bei vielen anderen Laufveranstaltungen, nach dem Lauf noch schön Essen gehen.
Norbert und mich wird man auf jeden Fall jetzt dort öfters treffen.