Hunsbucklig, um genau zu sein. Wer wie ich mitten in der Nacht kommt, sieht als erstes die unzähligen roten Lichter überall um Laubach herum. Dieses Laubach, dieses spezielle, das mit dem Trail. An anderen gleichnamigen Orten ist bereits das Navi verzweifelt. Nun ist das hier kein Rotlichtbezirk, wie man meinen könnte - eher ein Windradbezirk. So eine Verspargelung habe ich noch nicht erlebt, bis zum Horizont, und der ist ja bekanntlich weit weg. Laute, aber schöne Musik lockt. Auf zum Waldfest gleich neben dem Startplatz. Für Stimmung ist also reichlich gesorgt.
Und die ist auch zum Sonnenaufgang Spitze. Im Festzelt werden die Unterlagen ausgegeben, Kaffee und Brötchen gibt es auch, reichlich alte und neue Bekannte. Noch eben das Gerödel festziehen und ab zum Start auf dem Sportplatz nebenan. Ein rasches Briefing noch, herunterzählen, und ab geht’s im Pulk. Aber schon nach 30 Metern wird es einspurig; was da dann für Sprüche losgelassen werden, hört man auch nur bei den Ultras. Lautes Lachen begleitet uns also die ersten 100 m, dann folgen normale Waldwege. Ruhe kehrt ein, man findet allmählich in seinen Rhythmus.
Wir sind am höchsten Punkt der Strecke. Schmale, wurzelige Trails kurven durch schattig-kühlen Wald. So manch einen brezelt hin, Licht und Schatten am Boden können trügerisch sein. Wie im Herbst liegen Blätter, Eicheln und alles Mögliche herum. Ein äußerst angenehmes Laufgefühl stellt sich ein. Und erstmal die Aussicht – Windräder überall. Bei Licht sehen sie gar nicht so schlimm aus, tja, die Menge machts eben. Als seien sie hier gewachsen.
Völlig unbemerkt betreten wir die alte Römerstraße. Aber der VP zieht uns in seinen Bann – es gibt was zu trinken. Bei der Dürre der letzten Zeit ist die Luftfeuchtigkeit sehr niedrig. Jeder Atemzug dörrt die Kehle aus. Also: hinein mit allem, was flüssig ist- H20, ISO oder was man so mag. Die netten Damen kommen kaum nach…
An einem Zaun vorbei, hinter dem sich irgendwelches Militär eingeschlossen hat, wieder auf prächtigem Trail, bemerke ich erste Schilder des Saar-Hunsrück-Steiges. Blaugrün oder lila. Sie zeigen an, dass wir uns auf einem landschaftlich herausragend schönem Weg bewegen. Das macht mich sehr zufrieden. Der Wald endet, eine Straße wird gequert und wir laufen nach Bell hinein. Mitten durch, halb rechts und schon hat uns der Schotterweg wieder. Ein knackiger Anstieg bringt uns wieder auf Höhe und zum Eingang zum Diellaysteig. Ab hier wird’s bucklig. Drahtseilgesichert hangeln wir uns den Berg hinunter. Ziemlich knifflig ist das. Nur nichts überstürzen, genau gucken und dicht am Flatterband bleiben. Sonst gibt’s Bruch.
Unten nimmt uns ein Bachtal auf. Mal links, mal rechts auf guten Waldwegen, bucklig rauf und runter. Aber kühl und einfach nur schön. Klares, kaltes Wasser zur Erfrischung, an das man aber nur an den Holzbrücken drankommt. Sonst ist alles zugekrautet oder einfach 20 Meter zu tief unten. Macht aber nichts, VP2 erfüllt alle Wünsche. Vollversorgung, alles was das Herz begehrt und der Läufer so braucht. Und das u Füßen eines hohlen Zahns: der Ruine Balduinstein. Imposant auf einem Berg, prächtiger Rundblick und im 14. Jh. eine nette Wohnstatt. Nur wenige machen den kleinen Umweg da hoch, alle traben unverdrossen weiter, zum Bach runter, durch den Tunnel. Niemand kriegt heute nasse Füße, es ist zu wenig Wasser drin.
Auf der anderen Seite beginnt ein kleiner Trail, einspurig, gut laufbar, sehr bucklig. Steil hoch, zu Aussichtspunkten mit Liege, Kreuz oder Schutzhütte, Burgberg genannt. An der Felskante geht es senkrecht abwärts. Besser nicht runter, sondern in die Weite gucken. Klasse.
Drahtseilgesichert (das gab‘s schon mal) und in steilen Serpentinen wieder zum Bach runter. Derselbe- oder ein anderer? Egal. Streckenteilung voraus. Wir halten uns an die Route 66. Breite Waldwege erlauben einen flotten Schritt. Wegweiser melden, die Geierlay ist nicht mehr weit weg. Und tatsächlich – Stimmen von oben! Fröhliches Gejuche. Komm herauf, es ist herrlich hier oben! (Na, Zitat wiedererkannt?) Auf weiten Serpentinen folgen wir der Geierlayschleife bergauf bis zum südlichen Brückenkopf. Eine wirklich imposante Konstruktion liegt vor uns. Die Seilverspannungen, Sicherungen, Trittbretter, Netze - toll. Gemessenen Schrittes schreiten wir darüber. Das Ordnungsamt wacht über uns. Kein Laufen hier. Obacht vor den hochstehenden Schraubenköpfen!
Danach erst Weg, dann Trail. T88-Veteranen begrüßen mich hier. Wie klein die Welt doch ist. Aber schön. Im Talgrund befindet sich wohl eine Kläranlage, wir queren auf die andere Seite und folgen buckligen Trails und Wegen. Nach knackigem Aufstieg mal wieder ein Aussichtspunkt. Mit großem Kreuz war er auch von der Brücke aus schon sichtbar, hier nun erlaubt der Blick zurück einen Gesamteindruck von der Geierlay-Hängebrücke.
Ein guter Weg führt uns runter ins Tal bis zum Trecker. Daneben eine alte Mühle mit Wohnhaus und Getränkeverkauf. Es gibt alles hier. Vor allem wieder einen Buckel. Hoch. Schöner Wald ringsum, auf steilen Hängen gewachsen. Unglaublich, dass sich so ein mickriger Bach so tief einfressen kann. Eine Kollegin quält sich mühsam voran, hat womöglich einen Muskelriss. Ein dicker Verband um die Wade sagt alles. Es ist noch weit bis zum nächsten VP. Vorausläufer wollen dort Alarm geben. Luftlinie ist es gar nicht weit, wären da nicht die Höhenmeter… Immerhin: oben angekommen, schicke ich ihr den Rotkreuz- Sprinter entgegen, geländegängig, mit Allrad. Später im Ziel höre ich, alles ist
gut.
Sonnenglut und Hitze empfangen uns nach Verlassen des Waldes. Grausam. Durst. VP3 kommt nicht, doch – da, nach der Kurve, unübersehbar mitten auf dem Weg. Und sie haben alles – Joe sei’s gedankt - auch kaltes Bier! Meine Rettung. Kaum nuckele ich am Bit, werde ich auch gleich erwischt. Torsten, der Race-Director, rollt an. Höchstpersönlich sammelt er die Versehrten ein und befördert sie im schicken Benz zum Ziel. Aber zum Hintereingang - klar. So lernt man sich kennen.
Nun aber weiter. Erst knapp 30 km, aber schon 5 Stunden. Irgendwie zieht es sich. Und es sind 17 km bis zum nächsten VP. Hier sollte man auffüllen, unterwegs gibt es nix, nur menschenleere, verlassene Schluchten. So 4-5 km netto abwärts, über teilweise schwer gangbare Wege zum tiefsten Punkt der gesamten Strecke, 147m üNN. Bis zur Mosel ist es nicht weit.
Wir drehen nun die Richtung und halten uns östlich. Dünnbachtal. Glühend heiß, nur im Wald, im Schatten wird es besser, aber auch wieder buckliger. Trails mit Kettensicherung wechseln sich mit guten, breiten Wegen ab. Das Flatterband markiert präzise, wo es weitergeht. Die Steigungen sind eher moderat, aber es zieht sich. Der Bach mit seinen vielen Zuflüssen mäandert durch die Felsen und wir folgen am Hang entlang jedem Einschnitt. Einer heißt Rabenlay, ist extra schmal und benötigt besondere Aufmerksamkeit.
Eine Straße wird gequert, dann noch 4 km. Bucklige 4 km. Lange Anstiege, steil im Wald, sanfter im Feld. Von oben brennt Lorenz ohne Gnade, von unten der Asphalt eines kurzen Straßenstückes. In der Kehle brennt es, ich habe alles verbraucht. Und endlich VP4. Dann die Katastrophe: Das Bier ist alle, Joe war schon da. Ich habe fertig.
Mit dem Benz zum Ziel – der Gedanke erfüllt mich vollkommen. Das hat was. Nach mir erscheinen noch 4 Läufer und ein nagelneuer Mondeo, ein Traum in weiß, der mich zum Ziel befördert. Ab hier müsst ihr bei Joe nachlesen, um zu erfahren, was auf den letzten 17 km so alles passiert.
Im Ziel ist reichlich Trubel. Das Waldfest geht in die Zielgerade. Die Läufer auch. Feine Plaketten aus Schiefer erhalten die Finisher. Joe hat so eine. Und nächstes Jahr will ich sie auch!
Fazit
Route 66 hat es in sich. Landschaftlich wunderschöne 20 erste km, mit dem Brückenbauwerk Geierlay und vielen Trailabschnitten. Anstrengender, als man so glaubt, auch wenn die Höhenmeter vielleicht nicht so dramatisch sind. Der mittlere Abschnitt bis VP4 hat mehr gute Wege, eher moderate Steigungen. Sehr viel Schatten, weil fast alles im Wald verläuft. Gute Trailschuhe empfehlen sich unbedingt bei Nässe und Regen, Stöcke erleichtern die manchmal recht steilen Anstiege. Aber ganz, ganz wichtig: Ausreichend Wasser an Bord muss sein! Das Schlussstück erfordert dann wieder Aufmerksamkeit, es deckt sich größtenteils mit dem Anfang- Wurzeln quer und längs. So, dann können einem die Hunsbuckel nicht viel anhaben!