Es herrschte an diesem Tag sicherlich Ausnahmezustand auf der ansonsten lediglich von Berufsseglern, Einheimischen und Touristen besuchten Insel. Zwischen 2005 und 2009 ließ Inselbesitzer Fürst Alexander zu Schaumburg-Lippe für rund 1 Million Euro umfangreiche Renovierungen an den historischen Inselgebäuden vornehmen, um die Insel attraktiver für den Fremdenverkehr zu machen. 7 der 9 Inselhäuser wurden restauriert und wieder nutzbar gemacht. In ihnen sind ein Café, ein Souvenirladen, Seminarräume sowie Übernachtungsmöglichkeiten für Touristen geschaffen worden. In einem Inselhäuschen befindet sich eine kleine Ausstellung über den Naturpark Steinhuder Meer, und die Festung selbst ist heute ein Museum, das gegen Eintrittsgeld besichtigt werden kann.
Die Bootsbesatzung schnappte ihr Gepäck und strebte mehr instinktiv wie zielstrebig Richtung Inselmitte. Vor uns ragte unübersehbar die Festung auf. Davor standen zwei Zelte von Sponsor Dextro Energie: jeweils eines wurde für die neuartige Rundenmessung sowie Verpflegung genutzt. Hier und dort unterhielten sich vereinzelt oder in größeren Grüppchen Läufer, Party-Teilnehmer, Angehörige, Freunde, Zuschauer und Therapeuten. Dazwischen dirigierten Michael und Susanne, wurden letzte Vorbereitungen für den Lauf getroffen.
Die Beiden machten einen recht entspannten Eindruck auf mich, obwohl Backstage sicherlich noch nicht alles überstanden war. Meiner Frau wurde zusehends kälter, unser ursprünglicher Plan, auf der Insel zu Zelten, abstruser. Daher bezogen wir unser Schlafquartier auf dem sauberen, gemütlichen und vor allem warmen Spitzboden eines Gästehauses, den man an der Außenfassade über eine Stahltreppe erreichte. Die ersten Läufer hatten sich hier bereits eingenistet.
Während meine Frau sich also mit den restlichen zweiundzwanzig Pullis, T-Shirts und Jacken zwiebelschichtartig einkleidete, musste ich mit Dreiviertel-Tight, zwei Funktions-Shirts und Kapuzen-Pulli vorlieb nehmen. Das war auch nur fair, bedenkt man, das ich vergessen hatte, ihre Winterjacke einzupacken.
Danach holte ich meine Startunterlagen an den Zelten ab. Im Umschlag befanden sich zwei Transponder für die Zeitmessung (diese sollten jeweils am rechten und linken Schuh möglichst knickfrei befestigt werden), die hübsch gestaltete Startnummer, eine Plastiktüte für Wertsachen sowie ein Flyer von Pokal-Shop Gronau.
Kaum hatte ich meine Startnummer angebracht, rief Michael fröhlich-donnernd, dass der Kinderlauf jeden Moment stattfinden würde; vor allem die teilnehmenden Kiddies sollten sich schon mal im Start - und Zielbereich einfinden. Das ließen sich die Jüngsten nicht dreimal sagen, obschon lediglich drei an der Zahl: ein Junge im Alter von 10 Jahren und zwei in Piratenkostüm verkleidete Mädels (übrigens Geschwister) im Alter 5 und 7. Kaum fiel der Startschuss, sauste Mini-Wickie Malina, die Jüngste des Trio´s, wie eine Rakete davon! Es machte auf mich den Anschein, als sei Hannes, der Älteste von den dreien, nur einen winzigen Sekundenbruchteil eingeschüchtert worden vom hoch erhobenen und nach vorn gestreckten Platikhackebeil der Kleinsten, machte sich dann aber umgehend an die Verfolgung.
Piratenbraut Maila hielt sich gekonnt im Mittelfeld, dem Hannes jedoch dicht auf den Fersen! Eine Zeitlang befanden wir uns alle im 16. Jahrhundert auf einer unbekannten Pirateninsel im karibischen Meer: Der Piraten-Pöbel jubelte, grölte, winkte, die Stimmung kochte. Ursprünglich waren vier Runden angedacht, aber um der Planke zu entgehen, hängte Piratenkapitän Michael gnädigerweise noch zwei weitere Runden dran. Am Ende ging Hannes als Erster siegreich hervor, dicht gefolgt von der fröhlich strahlenden Piratenbraut Milas. Den Abschluß bildete Mini-Wickie Malina. Die Kleinste hielt während der sechs Runden stets für alle absolut unübersehbar ihre Beil in der Hand...glücklicherweise konnte Freibeuterfamilie Mihailovic bei der anschließenden Siegerehrung Schlimmeres verhindern!
Wer beißt, wird belohnt: vor dem eigentlichen Marathon trommelte Michael die erwartungsvolle Menge vor dem Eingang zur Inselfestung noch einmal zusammen. In der Hand hielt er ein zu beiden Seiten abgerundetes Holzstück, welches mittig mit einer Plakette verziert war, auf der Beißholz Inselmarathon 2012 stand. Diese Auszeichnung galt als besondere Anerkennung für Läufer, die sich während der kompletten Marathondistanz im wahrsten Sinne durchgebissen hatten. Im Vorjahr erhielt Läuferin Heike Matthias von Michael diese besondere Auszeichnung nachträglich ausgehändigt. Aber es schien so, als hätte Micha wohl noch einen weiteren Kandidaten aus dem Vorjahr ins Auge gefasst. "Ich habe hier ein Beißholz, welches ich gerne jemandem in die Hand drücken will, der es ebenfalls mehr als nur redlich verdient hat! Neil Kröger, komm doch bitte mal nach vorn...!" Der als Clown verkleidete Neil schien seinen Ohren wohl kaum zu trauen, trottete jedoch mutig nach vorn, nahm die Auszeichnung sichtlich ergriffen entgegen und wurde im Handumdrehen herzlich von Micha gedrückt.
Einmal mehr spürte jeder Teilnehmer den familiären Charme dieser Veranstaltung am eigenen Leib. "Auch in diesem Jahr behält sich die Rennleitung vor, ein solches Beißholz zu verleihen. So...dann lasst uns noch schnell ein Gruppenfoto schießen, und dann aber los mit Euch allen, wir haben nur noch wenige Minuten!"