2002: der Jungfrau Marathon feiert 10jähriges Jubiläum mit 5309 Finishern an zwei Tagen. Einige Wochen später laufe ich meinen ersten Marathon. 2003 zerrt mich Karlheinz Kobus (ihr kennt ihn, das ist der Dialyse-Ultraläufer) auf einer Marathonmesse an den Stand des Jungfrau Marathon. „Da, den musst Du laufen!“ Um Himmels Willen, zu den 42 km kommen da ja noch 1800 Höhenmeter. Zum Glück ist der Lauf wie immer bereits ausgebucht.
Aber umsonst sind die nicht auf der Messe. Es werden noch 10 Startplätze verlost. Es läuft dumm und erwischt mich.
Bevor ich mich auf das Abenteuer einlasse, fahre ich an einem Wochenende nach Lauterbrunnen und gehe die Strecke bis zur Moräne ab. Dort habe ich genug und fahre mit der Bahn zurück. Die Sache hat sich erledigt.
Mit welchen Anstrengungen der Lauf verbunden ist, vergesse ich nicht. Aber auch nicht vergessen kann ich die einmalige, gewaltige Bergkulisse und das weltberühmte Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau. Ich will diesen Lauf machen. Und ich mache ihn. Danach ist (fast) nichts mehr wie vorher. Ein Bergmarathon ist mir das liebste.
Wenn ich richtig rechne, ist jetzt das 20. Jungfrau-Jubiläum mein 10. Marathonjahr. Also auf ins Berner Oberland.
Schön, dass man mir in meinem Stammquartier im Hotel Interlaken ein Bett freigehalten hat. Das Traditionshaus liegt zwischen Ostbahnhof und Höhematte in unmittelbarer Nähe des Startplatzes und hat die Speisekarte und das Frühstücksbuffet ganz auf die Läuferinnen und Läufer ausgerichtet. Folgerichtig sind sie dieses Wochenende deutlich in der Überzahl.
Will man das Erfolgsgeheimnis des Jungfrau Marathons ergründen, kommt man unweigerlich auf das Rahmenprogramm zu sprechen. Was schon die letzten Jahre Maßstäbe setzte, wird jetzt noch einmal erheblich aufgewertet. Um den Ansturm der 8000 Marathonis zu bewältigen, ist man mit dem Schweizer Tourneetheater DAS ZELT eine Kooperation eingegangen. In der riesigen mobilen Anlage finden die Marathon-Messe Platz, sowie die Pasta-Party, die Startnummernausgabe und eine kleine Jubiläumsausstellung. Und nicht zu vergessen zwei große Party-Abende mit DJ Ötzi als Top-Act.
Dass man zum zweiten Mal die Berglauf-Weltmeisterschaften auf der Langdistanz austragen darf, ist ein weiteres Sahnehäubchen. Anders herum ist es für den Verband (World Mountain Running Association) die allerbeste Werbung. Keine der bisher 8 ausgetragenen Meisterschaften fand in einem so anspruchsvollen Rahmen statt und noch nie hatte man von Seiten der Medien eine solche Aufmerksamkeit.
Weil der Marathon zum Jubiläum wieder an zwei Tagen gelaufen wird, finden die Meisterschaften der Frauen und Männer getrennt statt. Mit den Frauen starten am Samstag die Männer ab M50, am Sonntag ist dann das Hauptrennen der Männer.
Ja, richtig, 123 Männer und 14 Frauen wollen den Marathon an beiden Tagen laufen. So kommt es, dass es insgesamt 4 Läufer beim 20. Jungfrau Marathon auf 22 Teilnahmen bringen. Einer davon ist Klaus Neumann, den viele von Euch kennen.
Wie immer vor dem Start zaubern Alphornbläser und Fahnenschwinger die spezielle Jungfrau-Atmosphäre auf den Platz vor dem feudalen Victoria Jungfrau Hotel, der sich weder Läufer noch Zuschauer entziehen können. Die WM-Favoritinnen werden vorgestellt und dann schickt Viktor Röthlin das Feld auf die Strecke.
Der Jungfrau-Marathon beginnt mit einem Triumphlauf durch Interlaken. Alles was Beine hat, ist an oder auf der Strecke. Die Geschäfte und Restaurants sind menschenleer, das Personal steht an der Straße. Schräge Guggemusik, Glockengeläut und lauter Jubel, das ist der typische Jungfrau-Sound. Nach 3 km ist man wieder am Startplatz. Kein Zuschauer räumt seinen Platz, bevor nicht der letzte Läufer auf dem Weg Richtung Bönigen am Brienzersee ist. Nach der Unterführung und der ersten Getränkestelle (km 5) ist erst einmal durchatmen angesagt, Hektik rausnehmen und Tempo finden.
Schön wär’s. Mit Blasmusik und viel Applaus werden wir in Bönigen empfangen, schauen über den See und auf die Berge. Der See ist der sauberste in der ganzen Schweiz, aber auch sehr nährstoffarm. Deshalb sind hier die Felchen kleiner als anderswo, sollen dafür aber umso besser schmecken. Man nennt sie Brienzlinge.
Gar nicht klein sind die Glocken, die die Burschen am Ortsausgang schwingen. Genau gesagt sind es Treicheln. Im Gegensatz zu Glocken, die gegossen werden, werden diese Riesendinger aus Blech gehämmert. Sonst wären sie viel zu schwer. Den sonoren Klang habe ich noch lange in den Ohren. Auf topfebener Straße geht es ins Lütschinental. Ich mache jede Wette, der Termin des Jungfrau Marathons hat die Fertigstellung der Straße beschleunigt. Der Asphalt ist fast noch am Dampfen.
Unter den Teilnehmern wird viel gelästert wegen des Reglements. Die Läufer, die am Sonntag starten, fühlen sich als etwas Besseres, sind gleichzeitig aber neidisch, dass die Senioren („Lahmärsche“) mit den Mädels („Knackärsche“) laufen dürfen. Auch OK-Präsident Christoph Seiler spricht davon, dass es Klagen gab. Ich kann mir denken, aus welcher Ecke. Von mir hat keiner was gehört.