„Ist der Mountain-Piper nicht da?“ Es ist still auf der Moräne und ein Holländer sorgt sich um das Wahrzeichen des JM. Aber Roman Kaeslin markiert wie eh und je in Kilt und mit Dudelsack den höchsten Punkt. Er ist aber nicht pausenlos am „Dudeln“, weil er interessierte Läufer auf eine Gedenktafel hinweist. Sie ist Franziska Rochat-Moser gewidmet, der Schweizer Weltklasse-Marathonläuferin, Siegerin u. a. beim Jungfrau-, New Yorck- und Frankfurt-Marathon. Richi Umberg, heute Race-Direktor beim Jungfrau-Marathon, war bis zu ihrem Karriereende 2001 ihr Trainer. Am 6. März 2002 wurde Franziska Rochat-Moser von einer Lawine verschüttet und so schwer verletzt, dass sie tags darauf starb.
Innehalten, durchatmen. Auf einem schmalen Pfad geht es weiter. Sogar hier in diesem unwegsamen Gelände gibt es noch einmal Getränke. Aber nicht einfach Wasser, sondern Cola. Die Verpflegung beim Jungfrau Marathon ist sowieso ein Kapitel für sich. Es gibt einfach alles und alles im Übermaß: Iso, Wasser, Cola, Bananen, Riegel, Gel, Boullion – man kann es sich nicht besser vorstellen. Hier können sich Veranstalter, die sich fragen, wo die Teilnehmer bleiben, Anregungen holen.
Noch einmal gibt es eine kurze Steigung. Schokolade wird gereicht und hilfreiche Hände strecken sich mir entgegen, um mir über einen Felsbrocken zu helfen. Den Halbtoten spielend lasse ich mich stützen und unter die Arme greifen. Natürlich durchschauen die Mädels mein Schauspiel und haben ihren Spaß. Der nächste Läufer hat tatsächlich Schmerzen, wird aber ebenfalls als Simulant eingestuft. Mitlachen kann der natürlich nicht. Da wird ihm ernsthaft geholfen.
Abwärts geht’s, am Speichersee vorbei und dann, das Ziel vor Augen, hinunter zur Kleinen Scheidegg. Viele Zuschauer stehen bereits entlang des Wegs, im mit Fähnchen geschmückten Zielraum ist die Stimmung dann wie der Lauf – Weltklasse!
Der Leihchip wird gegen das begehrte Finisher-Shirt getauscht und bei der Verpflegung noch einmal kräftig zugelangt. Die Kleiderbeutel sind sauber nach Nummern sortiert im Bahndepot aufgereiht. Einer freut sich wie ein Schneekönig: Wolfgang Schwabe. Der Leukämie-Kranke hat den Jungfrau Marathon geschafft und den Mountain-Cup. Stolz hält er mir seine zwei Finisher-Shirts entgegen und hat dabei Tränen in den Augen. Sein 304. Marathon war sein schönster, sagt er.
Gedränge gibt es wie immer bei der Talfahrt bis Lauterbrunnen. Aber das gehört dazu. Wo es schön ist, ist man halt nicht alleine.
Am Abend sind im großen Festzelt die Siegerehrungen. Die ersten zehn Männer und Frauen werden geehrt, alle Altersklassesiegerinnen und –sieger, die Mountain-Cup-Sieger und die 10-fach-Finisher. Hört sich nach endloser und langweiliger Zeremonie an. Ist es aber nicht. Im Gegenteil, es ist spannend und unterhaltend.
Die Verantwortlichen könnten sich zufrieden zurücklehnen, die Läuferinnen und Läufer werden sich auch im nächsten Jahr wieder in Überzahl um die Startplätze bemühen. Von Selbstzufriedenheit ist aber keine Spur. „Welcome Runners“ heißt es an allen Straßen in Interlaken und den anderen Marathon-Orten. Wer nicht lesen kann, spürt es.
Weitere Impressionen
Jungfrau-Marathon
Männer
1. Wyatt Jonathan, NZL 2:58.33,4
2. Ançay Tarcis, SUI 2:59.55,4
3. Krupicka Robert, CZE 3:00.38,1
Frauen
1. Landolt Claudia, SUI 3:34.24,4
2. Nunige Jasmin, SUI 3:36.47,6
3. Gezhagne Addis, ETH 3:40.42,3