Als läuferischer Höhepunkt war uns nach der Wiedervereinigung der Streckenteilung und jetzt gelaufenen fast 40 km eine Moräne angekündigt worden. Nein, wir sind jetzt nicht durch die bis zu vier Meter langgestreckten Raubfische, die mehr oder weniger versteckt in Höhlen, Felsspalten und Korallenriffen leben und gerne mal unvorsichtige Hände und Arme abbeißen, gefährdet, denn das sind Muränen. Unsere Moräne (frz: Moraine = Geröll) entpuppt sich als ein Feld von abgelagertem Schutt, das ein Gletscher bei der Bewegung zurückgelassen hat.
Bevor wir jedoch zur Moräne kommen, schleppen wir uns den Berg weiter über schmale, ausgetretene und –gewaschene Pfade über unregelmäßige und teils große Steine hinauf. Jeder hat den Blick gesenkt und taxiert nur noch den unmittelbar von ihm liegenden Meter, um jeden Fehltritt zu vermeiden.
Der folkloristische Höhepunkt folgt auf 2.000 m ü. NN auf der Haaregg: Fahnenschwinger, so weit das Auge reicht, und Alphornbläser bereiten uns einen triumphalen Empfang. Das ist ja fast so schön wie bei unserem Malberglauf, den die Eifler Alphornissen so stimmungsvoll mitgestalten! Die Schweizer machen einem aber auch alles nach… Liebe Leute, die Ihr so etwas noch nicht gesehen habt, das ist ganz großes Kino, insbesondere bei diesem unvergleichlichen Wetter!
Die Überquerung dieser Moräne ist dann in der Tat ein, allerdings nicht völlig ungefährliches, Schauspiel, denn nach links und rechts geht es bei dieser Gratwanderung stramm abwärts, falls man stolpert. Ohnehin wäre hier ein Überholversuch vollkommener Blödsinn und so gehen bzw. laufen wir, wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, dem musikalischen Höhepunkt zu und erreichen bei km 41 den mit 2.205 m ü. NN höchsten Punkt der Strecke. Was machen in unserem Leistungssegment denn ein paar Minuten mehr oder weniger aus? Gar nichts. Und so kann ich quasi in Ruhe den Schweif blicken lassen und ein paar weitere Schnappschüsse machen.
Ersehnte Klänge – nicht unbedingt, weil sie meinen Ohren gut tun, sondern weil das Ziel nicht mehr weit ist – erschallen am Ausstieg aus der Moräne. Der Dudelsackspieler Seppli Rast, bis 2010 war es durchgängig bis zu seinem Tod Roman Käslin, steht genau so heldenhaft da, wie wir den Berg heraufkriechen und spielt uns schottische Weisen. Das ist für mich zwar nicht ganz neu, denn 2010 in Bonn hatte ich bereits das Vergnügen in Beuel, aber hier ist es absoluter Kult. Schön, daß Romans „Stelle“ nachbesetzt werden konnte!
Hier, ein paar Meter weiter, am schönsten Punkt des Laufs, steht auch der Gedenkstein an die vor Jahren bei einem Lawinenabgang im Kanton Waadt tödlich verunglückte ehemalige Jungfrau- und New York-Marathon-Siegerin sowie Boston-Zweite Franziska Rochat-Moser. Der Blick geht, falls man den Kürbis noch hochbekommt, flankiert von Eiger, Mönch und Jungfrau, weit über das Tal. An einer Kletterstelle strecken sich uns viele fleißige Helferhände entgegen, um ein Abstürzen zu vermeiden. Danke, Ihr Lieben! Und schon wieder folgt eine Wasserstelle an schmalstem Pfad. Die Versorgung kann eigentlich nur aus der Luft erfolgt sein, das Wasser wurde in großen Milchkannen dorthin transportiert. Dankbar nehme ich das lebenserhaltende Naß entgegen. Ständig kreist über uns ein Hubschrauber, jederzeit zum sofortigen Eingreifen bereit.
Die letzten zwei km führen uns nach 1.829 m Aufstieg 110 Hm mehrheitlich bergab ins Ziel zur Kleinen Scheidegg (2.095 m ü. NN). Diese ist die Passhöhe zwischen Eiger und Lauberhorn und verbindet Grindelwald mit Lauterbrunnen. Auf der Kleinen Scheidegg befinden sich Hotels sowie der Bahnhof der beiden Zahnradbahnen Wengernalpbahn (seit 1893) und Jungfraubahn (seit 1896). Die Wengernalpbahn führt von Lauterbrunnen und Wengen über die Kleine Scheidegg nach Grindelwald, die Jungfraubahn fährt durch Eiger und Mönch hinauf zum Jungfraujoch.
Noch ist ein kleiner Tunnel zu durchqueren, der kleine See halb zu umrunden (gerne würde ich jetzt da reinspringen – und mir vermutlich den Tod holen!) und ein letztes Mal begleiten uns die Klänge eines einsamen Alphornbläsers auf dem abschließenden Dreiviertelkilometer. Stark abschüssig, ich muß etwas bremsen, fliegen wir dem Ziel und wahren Zuschauermassen entgegen und erhalten direkt die schöne Medaille an rotem Band mit weißem Kreuz. Soll ich mich jetzt freuen, nach 5:23 Stunden den Lauf beendet zu haben? Natürlich, das ist jetzt Erleichterung pur, aber ob ich so etwas Tolles noch einmal erleben werde? Ich hoffe doch ja.
Dank des unvergleichlichen Wetters (ich will mir besser gar nicht vorstellen, wie das bei Dauerregen sein muß) können wir gemütlich im Gras sitzen und alle Fünfe von uns strecken. Die Zielverpflegung und Gastronomie sind reichhaltig und werden förmlich überrollt. Gegen Abgabe des Leihchips erhalte ich noch das schöne lila Finishershirt und bekomme doch tatsächlich in der hochbegehrten Bahn abwärts mit Elke Sitzplätze. Die tun gut, gleichermaßen für Läufer und Zuschauer. Die Abfahrt verkürzen uns zwei nette Elsässer, Astrid und Bertrand, mit Erzählungen über ihre Ultra-Heldentaten. Aber auch wir können ihnen viele neue Veranstaltungen schmackhaft machen. Wir sind uns einig, man müßte zwei oder besser drei Leben haben.
Der Lauf ist leider definitiv nichts für ganz langsame Läufer, die Bedingungen sind nicht ohne. Zwar beträgt die Zielzeit auf den ersten Blick stolze 6:30 Std, aber wenn man sich mal die Kontrollschluss-Zwischenzeiten anschaut, an denen die Marathonstrecke geschlossen wird, wirft, merkt man die vergleichsweise hohen Anforderungen: Lauterbrunnen Bahnhof (19.6 km) 2:25 Std. nach Startschuss, Wengen Bahnhof (30.3 km) 4:10 Std., Wengernalp und Abzweigung Wixi (37.9 km) 5 Std. 35 Min (die Nettolaufzeit ist jeweils irrelevant). Schon bei 2 Stunden und 25 Minuten für knapp 20 km inkl. 300 Höhenmeter muß man sich ranhalten.
Zum Abschluss habe ich dann endlich doch noch etwas zum Meckern gefunden. Ich weiß nicht, wie es Euch geht, ich nehme gerne eine Erinnerung vom Lauf mit nach Hause, bevorzugt eine DVD, die ich mir daheim aus Motivations- oder anderen Gründen in Ruhe reinziehen kann. So geschehen z.B. in Washington D.C., Boston, Hamburg, Luxemburg und sogar beim Albmarathon. Leider gibt es hier keine, die man bestellen könnte, obwohl man diesen Service bei der 15. Auflage 2007 angeboten hatte. Ich bin mir sicher, die Dinger würden reißenden Absatz finden, schließlich ist der Kurs über weite Strecken eine Augenweide.
Sollte ich Euch Appetit gemacht haben und das liegt durchaus in meiner Absicht, zögert keine Sekunde mit der Anmeldung für das nächste Jahr. Beim 20. Jubiläum wird am Samstag UND am Sonntag gelaufen. Die Anmeldung ist bereits eröffnet und am Lauftag waren die ersten tausend Plätze bereits vergeben. Der Jungfrau-Marathon: Beinhart, aber trotzdem superschön. Er hat einen Fan mehr. Dank-ch-e und ade!
Zahlen und Fakten (Auszug, Quelle: Peter Wirz – The Highest High):
• 1993 erste Austragung
• Start auf 566 m ü. NN, Ziel auf 2.100 m ü. NN
• + 1.839 / - 305 HM
• 20 Musikformationen entlang der Strecke
• 1.500 Helferinnen und Helfer
• 33 Mitglieder im Organisationskomitee
• 161 Medizinische Fachkräfte
• 15 Defibrillatoren
• 140 Funkgeräte
• 4.000 Startplätze
• 60 Nationen aus allen fünf Erdteilen am Start
• 20 t Gepäck werden von Interlaken ins Ziel transportiert
• 12 Verpflegungsposten
• 150.000 Becher
• 10.000 l Sponser (Iso) und Cola
• 6.000 Bananen
Startgeld:
135 Schweizer Franken (entsprechen derzeit rund 110 €).
Streckenbeschreibung:
+ 1.829 / - 305 Höhenmeter. 3 km-Schleife zunächst flach durch Interlaken (556 m ü. NN), Brienzersee, Wilderswill (erster Aufstieg), Halbzeit in Lauterbrunnen, 6 flache km bis Tümmelsbach und dann – Prost Mahlzeit! Wengen, Mettlenalp, Wengernalp, Jungfrau-/Eiger-/Mönchblick, Moräne, nach 40 km abwärts ins Ziel.
Rahmenprogramm:
Marathonmesse in Interlaken.
Weitere Veranstaltungen:
Mini Run (200 – 1.609,), Meile, Mini Marathon (4,2195 km), Sponsorenlauf, Pararace (200 m – 14 km).
Auszeichnung:
Jeder Finisher erhält am Ziel auf der Kleinen Scheidegg, nach Rückgabe des Zeitmess-Chips, das offizielle Finisher-Shirt sowie die Jungfrau-Marathon-Medaille. Finisher-Urkunden werden am Wettkampftag an speziellen Terminals in Interlaken (Marathon-Expo) und Lauterbrunnen ausgedruckt. Außerdem kann jeder Teilnehmer seine Urkunde über das Internet ausdrucken.
Kostenloses SMS-Service, kostenloser Download des eigenen Zieleinlaufs als Clip.
Logistik:
Alles Notwendige nahe beieinander und qualitativ der Bedeutung dieses Laufs angemessen.
Verpflegung:
Perfekt: 12 unterschiedlich ausgestattete Stationen mit (jeweils und/oder) Iso Orange/Citrus, Cola, Bouillon, Energieriegel, Bananen, Energiegel, Wasser, Schwämme. Weitere Wasserstationen, auch private im Flachen.
Zuschauer:
Enorm. In den Orten große Begeisterung, auch unterwegs immer wieder Fangruppen.
Männer
1. Hohenwarter Markus,AT-Gundersheim, Gailtal 3:01.52,0
2. Lobb Huw,GB-London 3:02.29,1
3. Krupicka Robert,CZ-Usti nad Orlici 3:02.43,9
Frauen
1. Camboulives Aline,FR-St Jorioz 3:29.55,8
2. Gassmann Bahr Daniela,Siebnen 3:34.48,8
3. Nunige Jasmin,Davos Platz 3:35.50,3
4205 Finisher