Kainach, eine Gemeinde mit ca. 700 Einwohnern im Bezirk Voitsberg, war in der Vergangenheit schon mehrmals Austragungsort der österreichischen und steirischen Meisterschaften im Bergmarathon. Die selektive 44 km Strecke mit 1800 Höhenmetern erfüllt die Anforderungen an einen derartigen Bewerb bestens. Davon konnte ich mich im letzten Jahr überzeugen.
Der Hauptgrund, mich heuer für den 25. Jubiläumslauf erneut zu registrieren, ist der landschaftlich schöne Panoramakurs, der entlang des Lipizzaner-Weitwanderweges 05 verläuft. Wer hier einmal als Trailrunner unterwegs war, der nimmt bleibende Eindrücke mit nach Hause.
Einem Marathonsammler wie mir wäre nach der vortägigen Teilnahme am Rajecky-Marathons in der Slowakei gewiss eine leichtere Strecke eher zugutegekommen, doch Kainach war und ist ein Fixpunkt in meinem Kalender. Ich habe ja schon öfters einen sogenannten Doppelpack, auch mit großen räumlichen Entfernungen zwischen den Orten, bewältigt.
Doch ganz so problemlos wie erhofft verläuft das Unterfangen nicht: Wegen eines Unfallstaus erreiche ich Kainach, das von Wien ca. 240 km auf der A2 in Richtung Graz und weiter nach Mooskirchen entfernt ist, nicht wie geplant am Renntag vor 8 Uhr, sondern eine gute halbe Stunde später. In einer Wiese finde ich noch einen Parkplatz. Zur Startnummernausgabe komme ich trotzdem noch rechtzeitig und ohne Stress händigt man mir das Sackerl mit der erstmals aufklebbaren Nummer und dem Chip aus.
Bis zum Start verbleiben noch 6 Minuten, ein paar Fotos fürs digitale Album gehen sich noch aus. Ich sehe etliche bekannte Gesichter, so z.B. Poldi Eigner vom Laufteam Donautal, der sich unter M-55 gute Chancen auf einen Titel ausrechnet. Er zählt in Österreich zu den arriviertesten Marathon- und insbesondere Ultramarathonläufern. Eigentlich sind alle namhaften heimischen Berglaufspezialisten bei den Damen und Herren versammelt, Robert Gruber, Katharina Zipser, Karin Augustin, um einige aufzuzählen.
Gestern in Rajec beim Hitzemarathon in einem sehr welligen Gelände knipste mich ein Slowake. Er sprach ein wenig Deutsch und meinte, dass er mich ja kenne, weil ich öfters über die Läufe auf M4Y berichte. Und ergänzte dann, dass nur ein langsamer Läufer die Zeit hat, ein Rennen zu dokumentieren. Vorne laufen die Schnellen auf und davon, wem es nur ums Anschreiben gehe wie auch ihm, der habe die Muse, einen Marathon auch im Detail zu erleben.
Für den 25. Kainach-Marathon habe ich mir nur vorgenommen, in der vorgegebenen Zeit von 7 Stunden zu finishen. Mein Hauptaugenmerk möchte ich auf die landschaftlichen Eindrücke legen. Wie immer stelle ich mich ganz hinten in die Reihe. Nur einige Powerwalker mit ihren Stöcken stehen hinter mir.
Der Start erfolgt etwas mehr als 1 Minute nach 9 Uhr, es wird ein schöner und heißer Tag werden. Der Ortspfarrer wird sogar auf Englisch angekündigt, im Starterfeld sind Läufer/innen aus den USA und sogar Australien.
Heuer beim Schoberstein-Bergmarathon mit 3500 Höhenmetern holte ich mir auf der 3. Runde einen Sonnenstich. Seither habe ich immer eine schützende Kappe im Gepäck dabei, die ich auch heute trage.
Die ersten zwei Kilometer führen vom Dorfplatz vorbei an der Kirche auf die asphaltierte Landstraße. Schon nach wenigen Minuten sind die ca. 150 Läufer/innen weit auseinandergezogen, das leicht ansteigende Gefälle ist für die meisten kein Handicap.
Bald darauf zweigt der im Vergleich zum Vorjahr unveränderte Kurs nach rechts vorbei an einigen Bauernhäusern auf eine Wiese ab. Einige Zuschauer haben sich bei der Abzweigung postiert und applaudieren. Nun folgt ein steiler Anstieg auf Wiesengrund und durch ein Waldstück. Hinter mir sind kaum mehr als eine Handvoll Läufer/innen, im Gänsemarsch bewegen wir uns nach oben. Ich komme an zwei oder drei Gehern vorbei. Nach etwas weniger als 3 km mündet der Wald- und Wiesenweg in eine asphaltierte Straße. Bei einem Bauernhaus steht wie im letzten Jahr der von allen geliebte Ziehharmonika-Spieler, der eine steirische Polka zum Besten gibt. Wenn „die Musi spült“, werde ich beflügelt, manchmal spüre ich auch eine Gänsehaut, die Ausdruck der inneren Ergriffenheit ist. Ich wünsche in Gedanken dem Landwirt Gesundheit und ein langes Leben.
Schnellen Schrittes eile ich an einem sich in Englisch unterhaltenden Laufpaar vorbei, mit dem ich im Verlaufe des Marathons noch ein längeres Gespräch führen sollte. Als ich an einer im langsamen Laufschritt sich aufwärts bewegenden hübschen jungen Läuferin vorbeimarschiere, meint sie, dass dies ja frustrierend sei. Gehen ist für mich mehr Erholung denn Anstrengung, doch die Kollegin bleibt dran. Sie antwortet, dass sie aus dem Tritt komme, wenn sie nur mehr gehen würde.
Endlich ist Kilometer 5 erreicht, ich bin nun eine ganze Stunde unterwegs. In der Ebene schaffe ich die ersten 5 km in der Regel in 30 Minuten. Noch brauche ich mir um die Laufzeit keine Sorgen zu machen, die im Programm angekündigte Schlusszeit beträgt 7 Stunden. Vorerst bedienen sich alle in meiner Reichweite befindlichen Gegner - im sportlichen Sinne gemeint - an der Labestation, wo Wasser, Iso, Cola, Bananen angeboten werden.
Nach einem kurzen Asphaltabschnitt führt die Marathonstrecke nun auf eine Schotterstraße, die man heuer mit teilweise sehr großen Geröllsteinen neu befestigt hat. Anschließend geht es durch den Wald mit den vielen Ameisenhaufen links, rechts und teilweise auch am Weg, die mich letztes Jahr so fasziniert haben. Diese Spezies erreicht eine Größe von oft mehr als einen Zentimeter Länge. Es zeugt von unberührter Natur, wenn so viele Ameisenbauten existieren.
Hinter mir marschieren mehrere Teilnehmer im Gänsemarsch einher, man hört ihr Keuchen. Ich nehme mir vor, bei der ersten Abwärtsetappe etwas zuzulegen, doch vorerst geht es nur bergauf. Die junge Kollegin, die konsequent ihr langsames Lauftempo beibehalten hat, zieht nun an uns vorbei. Ich will ihr nicht nachhetzen, aber es beweist, dass sie Berglaufen trainiert haben muss.
Wir kommen zu einem Steinbruch. Die nun folgende Schotterstraße wurde ebenfalls mit übergroßen Steinen, auf denen man kaum gehen, geschweige denn laufen kann, überzogen. Ich kann mir vorstellen, dass dadurch ein Unterspülen der Straße bei starken Regenfällen teilweise unterbunden wird und diese so erhalten bleibt.
Mitten im Wald wird der 10 km-Punkt erreicht. Unser Feld ist auf ca. 5 bis 6 Läufer geschmolzen, auch das Englisch sprechende Laufpaar hat wieder den Anschluss gefunden. Ich erinnere mich an das letzte Jahr – bald müsste die nächste Labestation kommen. Es wird wenig bis gar nichts gesprochen, man merkt schon, dass sich jeder auf den Marathon konzentriert. Doch man erkennt auch, dass die Kollegen mit ihren Kräften sorgsam haushalten. Wir sind ja noch lange nicht am höchsten Punkt der Strecke angelangt.
Bei der Labe angekommen, zeigt meine Uhr 10.45 an, das sind im Vergleich zur Ebene 45 Minuten über der Zeit. Die angestrebte Zeit bis zum Halbmarathon sollte 3:15 nicht übersteigen, doch bis dahin sind noch gut 350 Höhenmeter zu absolvieren.
Wir kommen endlich zum Almboden, es geht relativ flach auf dem auch mit einem Geländefahrzeug zu befahrenden Weg dahin. Ich beginne wieder zu laufen, der Tross hinter mir auch. Mit einer Deutschen namens Bianca komme ich ins Gespräch, ich bin ihr in den letzten Jahren schon x-fach bei diversen Trail-Läufen begegnet. Ihr Markenzeichen ist die lange wasserfeste Hose, ebenso das Langarmshirt. Egal wie heiß es ist, man wird sie so antreffen. Beim Wörthersee Ultratrail über 57 km im September 2012 habe ich sie darauf angesprochen. Sie erwiderte, dass sie sich so auch vor Verletzungen bei Stürzen besser schützt.
Das Englisch sprechende Laufpaar folgt uns dicht dahinter, als wir im zügigen Tempo nun ca. 800m auf einer Schotterstraße abwärts laufen, bevor dann erneut ein Anstieg zur Zeißmannhütte auf 1573m Seehöhe beginnt. Nun zeigen die beiden, was sie können und eilen uns aufwärts davon. Weiter oben befindet sich eine Weggabelung, die Läufer müssen zuerst nach links zur Hütte, wo sich nach ca. 14 km die Zeitnehmung und die dritte Labe befinden. Doch das Laufpaar hat dies übersehen und ist im Begriff, den steilen Anstieg zur Roßbachalpe hinaufzugehen. Man würde sie vermutlich disqualifizieren, daher pfeife ich mehrmals, bis sie zurückblicken. Ich signalisiere ihnen, dass sie wieder vom Berg hinunterkommen müssen und den Anstieg zur Zeissmannhütte nicht auslassen dürfen.
Sie verlieren kaum Zeit, denn als ich von der Labe wegkomme, sind beide schon da. Die Frau um die 30 sagt mehrmals Dankeschön. Bianca hat es nun eilig, sie meistert den Anstieg hinauf zum höchsten Punkt auf 1790m im Schnelltempo. Ich kann ihr nicht folgen, dafür überhole ich nun definitiv die älteste Läuferin im Feld, die scheinbar Atemnot hat und mehrmals stehenbleibt.