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07.08.16 - Kainacher Bergmarathon

„Beist a wieda do?“

Am Vortag des bereits zum 27. Male stattfindenden Bergmarathons in Kainach bin ich bis 22 Uhr damit beschäftigt, auf unserem Grundstück in Neuberg/Mürz eine 50 Jahre ausgewachsene Eibe auszuholzen. Körperliche Arbeit vor einem 44 km-Lauf mit kumulierten 1800 Höhenmetern ist eine gute Vorbereitung. Angemeldet habe ich mich dafür aber erst in der Nachfrist einige Tage davor. Kainach nimmt man einfach als Sammler mit.

Knapp vor 8 Uhr erreiche ich die ca. 1600 Einwohner zählende, zum Bezirk Voitsberg gehörende Gemeinde, wo der TUS Kainach resp. dessen Vorgängersportvereine seit 1982 diese Laufveranstaltung mit einigen Unterbrechungen erfolgreich durchführen.

Die Startnummernausgabe erfolgt wieder im Turnsaal der Hauptschule, einen Beleg für die Überweisung des Startgeldes in der Höhe von 50,--Euro habe ich auf Verlangen bei mir. Man begrüßt mich mit einem „Beist a wieda do?“--- „Jojo, freili“

Ich checke die eine Stunde vor dem Rennen um 9 Uhr aufgehängte Liste. Meine Nummer 64 ist längst nicht die letzte im Teilnehmerfeld. Unter M-60 ist nur der Ewald Zauchinger angeführt, auf das Duell um einen hinteren Platz mit ihm freue ich mich schon. In Linz war ich heuer etwas schneller, beim Über-Drüber-Marathon dann er. Allerdings sehe ich weder ihn noch sonst fürs erste bekannte Gesichter eine Viertelstunde vor dem Start am Dorfplatz.

Der Kainacher Bergmarathon zieht jedes Jahr auch Läufer aus dem Ausland an, laut Startliste dieses Jahr auch wieder aus Deutschland, sogar Estland, dann Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Ungarn – sehe ich am Aushang. Am Programm stehen neben dem Marathon wieder der Dreierstaffellauf und ein Walking-Bewerb über 18,5 km.

 

 
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Die Wettervorschau verspricht gutes, aber nicht zu warmes Bergwetter, jedenfalls niederschlagsfrei. Ich habe hier auch schon eine unerträgliche Sommerhitze erlebt. Die Stimmung kurz vor dem Start ist aber verhaltener als sonst – statt dem Dorfpfarrer segnet eine ehrwürdige Klosterschwester die Läufer/innen. Der Platzsprecher zählt von zehn herab, ich stelle mich etwas seitwärts für ein paar Belegfotos. Im hinteren Feld gehe ich dann auch ins Rennen.

Die ersten 1 ½ bis 2 Kilometer führen an der Kirche vorbei auf die asphaltierte Landstraße. Schon nach wenigen Minuten sind die Läufer/innen, geschätzt 120, weit auseinandergezogen. Hinter uns folgen ca. 20 Walker. Ich laufe auf die Nummer 22 auf – der fit aussehende Kollege fragt mich, wie alt ich bin. „Mit 62 bist a junger Hupfa – ich bin 73“. Ich wünsche dem rüstigen Veteranen einen guten Lauf.

Der im Vergleich zum Vorjahr unveränderte Kurs zweigt bald darauf von der für den Verkehr kurzeitig gesperrten Landstraße nach rechts ab und führt vorbei an einigen Bauernhäusern auf eine Wiese. Wie gewohnt haben sich wieder einige Zuschauer eingefunden, die bei der Abzweigung postiert sind und applaudieren. Nun folgt ein steiler Anstieg auf Wiesengrund und weiter durch ein Waldstück. Hinter mir kommen nur mehr drei oder vier langsamere Läufer/innen nach, unmittelbar vor mir bewegen sich weitere drei im Gänsemarsch nach oben. Zu diesen schließe ich auf. Einer im gelben Leibchen, eine Frau und Wolfgang, den ich zwar nicht kenne, aber dessen Name am Shirt hinten drauf steht. Nach ca. 3 km mündet der Wald- und Wiesenweg in eine asphaltierte Straße.

Bei einem Bauernhaus steht wie in den letzten drei Jahren der von allen geschätzte Ziehharmonika-Spieler im Rentenalter, der für uns aufspielt. Auf diesem Moment freue ich mich wahrlich jedes Jahr beim Kainacher Bergmarathon. Seine Volksmusik berührt meine Seele, man kann  das nicht in Worten ausdrücken. Ich verweile etwas und erst als sich die Nachhut nähert, beeile ich mich wegzukommen bzw. wieder anzuschließen, was auf der nun folgenden nicht zu steilen Asphaltstraße gelingt.

 

 
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31 Minuten sind bisher vergangen, 3 ½ km haben wir schon geschafft. Ich komme mit dem Wolfgang ins Gespräch – er ist wie ich ein Abwärtslaufspezialist, der ankündigt, nach der Wende bei ca. 18 km die beim Bergaufwärtsgehen verlorene Zeit wieder einigermaßen wettzumachen. Der junge Kollege in gelbem Shirt gesellt sich zu uns.-Er läuft in der Staffel, ist auf 14 km eingestellt. Schnell ist er ja nicht gerade unterwegs, aber wer weiß, vielleicht legt er noch zu. Die Frau, die ich zu unserer Gruppe zähle, versucht immer von uns wegzukommen, aber es gelingt ihr nicht so recht.

Bei den Trailmarathons hat man immer wieder Gelegenheit, die Schönheiten der Natur zu bewundern. Vor bald 45 Jahren war Biologie eines meiner selbst gewählten Maturafächer. Das meiste vergisst man in diesem langen Zeitraum. Benennen kann ich aber nun einen Perlmutterfalter mit seinem typisch schwarz gepunkteten braunen, ins Orange gehenden Flügeln, der auf einer rosafarbenen Baldrianblüte den Nektar heraussaugt. Baldrian selbst ist eine Heilpflanze, die bei allerlei nervösen Beschwerden verwendet wird.  

In einer Kurve erblicke ich die 5 km-Anzeige, einige Hundert Meter dahinter wird uns die erste Versorgungsstation erwarten. Wir sind nun wieder alle beisammen, auch zwei Läufer vor uns lassen sich mehr Zeit und laben sich. Alles ist da, was man benötigt – Cola, Riegel, Bananenstücke. Ich frage nach Mineralwasser mit Kohlensäure, das erfrischt.

Der Kurs verläuft nun auf einem Schotterweg, der bald darauf in einem steil ansteigenden Waldweg führt. Verschwunden sind vermutlich wegen der Forst- und Wegearbeiten fast alle Ameisenhügel mit extrem großen Kriechtieren, die mich vor zwei Jahren so fasziniert haben.

Der ansteigende Waldweg wird immer schmaler und führt bald darauf zu einer Lichtung. Voriges Jahr war hier an einem Baum eine Verbotstafel angebracht, die Unbefugten das Sammeln von Beeren und Pilzen untersagte. Diese scheint man entfernt zu haben, aber auf Schwammerlsuche sind wir ja hier eh nicht.

 

 
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Nach einer kurzen flotten Abwärtspassage auf einer Wiese und im Wald kommt der Kalksteinbruch in Sicht. Jedes Jahr wird die nun folgende Schotterstraße neu gewalzt, vermutlich ist das auch aus Sicherheitsgründen notwendig, damit die Transport- und Lastenfahrzeuge passable Straßenverhältnisse vorfinden und ein Unterspülen der Straße bei starken Regenfällen so  unterbunden wird. Nur für uns Läufer sind die übergroßen Steine auf dem Weg, auf denen man kaum gehen, geschweige denn laufen kann, ein Erschwernis.

Unsere Vierergruppe ist wieder beisammen, hundert Meter vor uns sind drei Mitstreiter unterwegs, zwei Frauen und ein extrem langer Typ, der seine beiden Begleiterinnen um gut zwei Köpfe überragt. Bis zur nächsten Labe sollten wir das Dreigespann eingeholt haben.

Mitten im Wald wird der 10 km-Punkt erreicht. Meine Uhr zeigt 1:35 Stunden, das ist  passabel, denke ich. Bald müsste die zweite Versorgungsstelle kommen. Abschnittsweise sind einige steilere Anstiege auf dem schmalen Wanderweg zu bewältigen. Laufen kann man nicht so richtig, wir marschieren hintereinander. Ich erinnere mich an mein Andorra-Abenteuer im Juli dieses Jahr. Es gibt deutlich schwerere Trails als hier in Kainach. Dennoch ist es zweckmäßig, sich bei jedem Bergmarathon auf die äußeren Bedingungen zu konzentrieren, sich entsprechend einzustellen und mit seinen Kräften hauszuhalten. Der höchsten Punkt der Strecke wird erst bei Kilometer 18 erreicht sein.

Bei der Labe auf 1450 m Seehöhe nahe der Aiblhütte angekommen, zeigt meine Uhr 1:42 Stunden an, schneller war ich auch bei meinen bisherigen drei Antritten in Kainach nie. Allerdings habe ich mir das Ziel gesetzt, dieses Jahr wieder sub 7 Stunden zu finishen, zumal ich ja ausgeruht bin und mein letzter Marathon in Prag schon 10 Tage zurückliegt.

Es geht weiter hinauf zur auf 1573 m Seehöhe gelegenen Zeißmannhütte. Wir haben das Dreigespann nun eingeholt – es sind Ungarn, die so tun, als sehen sie uns nicht. Der leicht ansteigende Waldweg führt weiter auf Almboden vorbei an einer Tränke für das Rindvieh, dessen Bestand im Vergleich zum letzten Jahr sich heuer verdreifacht hat.

 

 
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Ich bleibe stehen, um einige Heidelbeeren zu pflücken, die in tieferen Lagen im August schon vertrocknet oder gepflückt sind. Schnell liege ich einige Hundert Meter zurück, kann die Gruppe aber auf einer gut 1 km langen Abwärtspassage auf Schotter wieder einholen. Dann folgt ein Anstieg auf der befestigten Zufahrtsstraße zur Almhütte. 100 Höhenmeter sind zu überwinden. Die Ungarn versuchen uns davonzueilen. Etwas weiter oben befindet sich eine Weggabelung, die Läufer müssen zuerst nach links zur Hütte, wo sich nach ca. 14 km die Zeitnehmung und die dritte Labe befinden. Hier erfolgt auch der erste Wechsel der Staffelläufer.

Während wir zur Hütte hinauf stapfen, kommen uns etliche schnellere Läufer entgegen. Ein gelbes Uralt-Geländefahrzeug zwingt uns auf die Seite auszuweichen. Der Almbetrieb hat Vorrang. Oben bei der Hütte ist viel los – Wanderer, Angehörige der Läufer und die vielen Helfer beim Marathon säumen den mit Bändern abgegrenzten Zugang zur Labe. Dazwischen ist irgendwo die elektronische Zeitnehmung verankert, die ich aber nicht wahrnehme.

Wer sich bei der Labestation bedient hat, wird aufgefordert, um die Hütte zu laufen. Nun geht es einige Hundert Meter abwärts, bevor der lange und kräfteraubende Anstieg auf die Roßbachalm zum höchsten Punkt des Marathonkurses auf 1790 m Seehöhe beginnt.

Ich kann mich zunächst von der Gruppe absetzen und einen Vorsprung von 300 m herausholen. Doch als ich mich umblicke, stürmen die Ungarn und eine Kollegin im roten Triathlon-Tight auf mich zu. Das Ungarn-Trio zieht an mir vorbei, die  Triathletin schafft den Anschluss aber nicht. Der steile Anstieg zum höchsten Punkte des Kainacher Bergmarathons ist wohl ein Kriterium, wo man Zeit liegen lassen kann.  Eigentlich sind es ja nur ca. 200 Höhenmeter, die man überwinden muss – ein Klacks im Vergleich zu den klassischen Trails in den Schweizer Bergen oder eben auch Andorra mit 3000 Höhenmetern.

 

 
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Ist man erst einmal oben, dann kann man sich ohne größere Anstrengung auf z.T. steinigen Gelände auf dem langgezogenen Kamm der Roßbachalm vorwärtsbewegen – man befindet sich auf den Nord-Süd Weitwanderweg 05, der bereits 1970 eröffnet wurde und über 260 km beginnend vom  1017 m hohen Nebelstein im oberen Waldviertel großteils in südlicher Richtung ins Steirische Weinland nach Eibiswald verläuft. Die Roßbachalm fällt in die 8. Tagesetappe von insgesamt 11 Abschnitten. Hier in unmittelbarer Nähe befinden die Sommerweiden der Lipizzaner. Einige der edlen weißen Pferde, die mit einem dunklen Fell auf die Welt kommen und erst mit 7 oder 8 Jahren zum Milch-Schimmel werden, habe ich letztes Jahr knipsen können. In der Spanischen Hofreitschule in Wien kann man sie beim Dressurreiten bewundern.

Die Fernsicht auf die sanften grünen Bergkuppen ist hier und heute wieder gewaltig. In geschätzten zwei Kilometern Luftlinie kann man die sich auf den vom Weidevieh ausgetretenen Almpfaden bewegenden Läufer/innen gut erkennen. Bei Kilometer 18 ist der höchste Punkt des Bergmarathons erreicht. Zwei Helfer stehen dort, die sich die Startnummern notieren und wohl auch als Einsatzkräfte für den Fall einer Verletzung eines Läufers postiert sind.

Ich komme mit dem Hans Novinscak mit Startnummer 51 ins Gespräch – wir waren heuer die Schlussläufer beim ziemlich verregneten Sommeralm-Marathon im Juni. Hans finishte schließlich 6 Minuten hinter mir. Er hat für den Herbst einige Pläne, ev. beim Wachau-Marathon und auch wieder in Laibach anzutreten. Heute macht er einen sehr fitten Eindruck und bleibt dicht hinter mir. Auch eine andere Gruppe mit einem Kollegen und gleich drei Frauen im Tross kommt uns näher.

Es geht nun zügig abwärts, wobei die Geländestufen ziemlich steil sind und die Übergänge Tiefen von einem halben Meter und mehr aufweisen. Ich riskiere auf so einem Terrain nichts, sondern bewege mich vorsichtig nach unten. Nur zu leicht kann man bei einem Stein oder einer Wurzel hängenbleiben oder auf Geröll abrutschen, stürzen und sich auch schwer verletzen. Hans übernimmt abwärts auf diesem gefährlichen Abschnitt nun das Kommando, wir bleiben aber dicht aneinander und kommen gemeinsam zur 4. Labestation direkt neben der Wallfahrtskirche Maria Schnee am Gleinalmschutzhaus in1550m Seehöhe.

Die Kirche wurde im Oktober 2004 von einem Blitz getroffen und brannte bis auf die Grundmauern ab, nur der Altar blieb vom Feuer verschont. Im darauffolgenden Jahr wurde sie restauriert und wiederaufgebaut. In der Kirche werden regelmäßig  Bergmessen gefeiert. Der 24. August ist ein fixer Termin für die St. Bartholomäus Haltermesse, um danke für einen guten Sommer zu sagen. Der Almabtrieb erfolgt allerdings erst einige Wochen später – wie schnell ein Jahr vorbeigeht!

Die Strecke führt nun bildlich gesprochen über Stock und Stein durch den Wald. Bald darauf komme ich zur 20 km-Anzeige – die Streckenmarkierungen und Distanzanzeigen sind gut sichtbar in Gelb gehalten. Ich blicke zurück, 200 Meter hinter mir rücken einige nach. Zahlreiche Wanderer mit schwerer Ausrüstung kommen mir entgegen. Fast 3 ½ Stunden bin ich nun schon unterwegs, bald wird  die halbe Distanz, die ja wegen der Überlänge des Marathons bei 22 Km liegt, erreicht sein.
 
Jetzt um die Mittagszeit ist die frische Kühle im Wald richtig angenehm, auf den Abschnitten über Wiesen und im offenen Gelände ist es gleich um 10 Grad wärmer.

Das Streckenprofil des Kainacher Bergmarathons ist tückisch – wenn man es genau studiert, erkennt man, dass auf den schnellen Abwärtspassagen immer wieder giftige Anstiege folgen, auf die man sich einstellen muss. Abwärts bin ich heute flott unterwegs, die Verfolger, gemeint sind der tapfere Kollege, der gleich drei Läuferinnen im Tross hat, rückt erst bei der Labe auf, die von einem Team der Feuerwehr betreut wird. Ich bleibe auch diesmal nicht stehen, sondern ziehe mit einem Becher Cola und Mineralwasser mit einem Schuss Kohlensäure weiter.

Mein Vorsprung schmilzt, als ich stehenbleiben muss, um einen Stein aus dem rechten Schuh zu entfernen. Zum Glück folgt gleich darauf wieder ein Abschnitt,  auf dem der Kurs flott abwärts geht. Mit erhöhtem Lauftempo stelle ich den alten Abstand wieder her. Die gelbe Tafel zeigt 25 km an, die Gegend ist mir nun schon wirklich vertraut, aber der Marathon zieht sich jedes Jahr. Ein ganzer Kilometer im Gelände kommt einem länger vor als auf einer Asphaltstraße.

Als routinierte Läufer hat man ein Zeitgefühlt, man weiß, ob man gut in der Zeit oder mit Verspätung unterwegs ist. Heute spüre ich förmlich, dass ich früher als sonst zur Labestation Krautwasch in 1140 m Seehöhe bei Kilometer 28 kommen werde. Die Verfolger liegen ca. 300 Meter hinter mir, es geht auf einer Schotterstraße ziemlich steil abwärts. Ein junges Wandererpärchen kommt mir entgegen, die beiden grüßen artig zuerst. Das passt so, denn Respekt vor dem Alter darf man einfordern.

Ich erreiche die Labe, hier ist wieder eine Zeitnehmung aufgebaut – man läuft durch zwei im Abstand von weniger als einem Meter senkrecht in einer Bodenhalterung befestigte Metallstäbe. Es macht klick, ein Alptraum, wenn man wegen einer technischen Panne u.U. disqualifiziert werden würde. Ich nehme mir ein Riegelstück, Cola und einen Longlife-Becher. Als das Viererteam eintrifft, bin ich schon wieder am Abflug. Sie können davon ausgehen, dass sie mich bis ins Ziel nicht mehr schnappen werden.

In praller Sonne auf einer Schotterstraße geht es nun weiter talwärts. Bei einer Abzweigung bleibe ich stehen, es fehlt die gelbe Bodenmarkierung, die den Weg anzeigt. Was soll ich tun – zunächst laufe ich 200 m weiter in die gefühlsmäßig richtige Richtung, entscheide mich aber dann zu warten, bis die Nachhut in Reichweite kommt. Als die vier auch in meine Richtung abbiegen, lege ich wieder los.

Der Kurs blieb zwar seit Jahren unverändert, aber wer wie ich im Jahr 35 und mehr Marathons läuft, kommt mitunter ein wenig durcheinander. Man behält nicht jede Strecke im Detail im Gedächtnis, besonders in Kainach wechselt die Topologie oft. Zwar ist man zur Hauptsache auf Trails unterwegs, aber die vielen Auf- und Abwärtsteilstrecken unterschiedlicher Länge, Schwierigkeit und Bodenbeschaffenheit würden sich auch gut für einen Orientierungslauf eignen.

Es ist eine Gewohnheit von mir, bei Quellen und kleinen Gebirgsbächen stehenzubleiben, um einen Schluck Wasser zu trinken. Das erfrischt und schmeckt auch besser als in Plastik abgefülltes Mineralwasser. Man bekommt auch keine Verdauungsprobleme, weil sich das Wasser auf seinem Weg von den Quellen permanent selbst reinigt.

Ich nähere mich der 30 km-Marke, zumindest sagt das meine GPS-Uhr: 29,60 km nach 4:41:54 h. Die Verfolger sind nicht mehr zu sehen, aber zu hören, weil es im Wald sonst still ist. Auf Wald- und Feldwegen, Zufahrtsstraße auf Schotter und Asphalt geht der Kurs weiter, bis endlich die nächste Labestation Heiliges Wasser auf 910 m Seehöhe erreicht wird. Jedenfalls nicht bei 30 km, sondern ein gutes Stück weiter. Auch hier tragen Helfer auf eine Liste die Startnummer ein, was ich gut finde, denn so würden sich jene, die sich örtlich gut auskennen und vielleicht auf die Idee kommen abzukürzen, weil sie früher nach Hause zur Olympianachlese im TV kommen wollen, selbst einen Haxen stellen. Andererseits glaube ich eher an die sportliche Fairness, Kainach wäre dafür auch nicht der geeignetste Kurs.

Ich kann meinen Vorsprung halten, gleichzeitig aber doch auch überraschend niemand vor mir mehr einholen. In all den Jahren habe ich den einen oder anderen nach 30 Kilometern noch erwischt. Wie dem auch sei, jetzt kommt der Moment, wo sich beim Kainacher Bergmarathon alles hinzieht. Die Uhr zeigt 5:21:32 nach 33,58 km an. Im Kopf geht man von verbliebenen 9 km aus, in Wahrheit sind es leider zwei mehr.

Bei der Abzweigung nach der 33 km-Anzeige frage ich eine von der harten Arbeit gezeichnete alte Frau, wie man auf den steilen Hängen mit dem Mähen zurechtkommt. Sie erwidert, dass viel mit der Hand gemacht wird, aber es auch kleine Maschinen mit einem Vorwärtsantrieb gibt, die breiter als herkömmliche Geräte sind und so nicht abrollen. Es wird Zeit, dass man in Österreich die Bergbauern, die so viel zur Landschaftspflege beitragen, stärker unterstützt und den Milchpreisverfall abfedert.

Die grüne Landschaft ist traumhaft -  ich blicke mich um, siehe da – eine Läuferin hat sich abgesetzt. Aber so scharf sind meine Augen , dass ich erkenne, dass die Kollegin im blauen Singlet mit Stöcken gar nicht aus der Verfolgergruppe kommt, sondern wohl von hinten aufgeschlossen hat. Sie ist noch mehr als 200 m entfernt, scheint aber unaufhaltsam trotz des leichten Anstiegs näher zu kommen.  

In einer Serpentine geht es durch eine kleine Ortschaft, die Kollegin mit der Startnummer 68 kommt immer näher. Nun sehe ich auch den Vierertross, auch sie haben etwas aufgeholt. Ich schreie zur Gruppe hinunter, dass sie ja eine Abkürzung machen könnte. „Wirf a Seil oba“, hallt es zurück. Habe ich leider nicht dabei, daher werden die vier hinter mir ins Ziel kommen.

Die Kollegin aber, die nicht nur sehr trainiert, sondern auch sportlich-attraktiv aussieht, kommt mir immer näher. Auch aufwärts kann ich sie nicht abschütteln, sie bleibt dran. Bei der Labe bleibt sie ebenfalls nur kurz stehen. Als ich auf einem flachen Waldweg Tempo mache, bleibt sie etwas zurück. Doch Irrtum, sobald ich aufwärts wieder gehe, ist sie schon wieder 5 m hinter mir.

 

 
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Nun kommt die mir vertraute Passage, wo immer eine Werbetafel von Raiffeisen stand. Heuer wird auf einem Transparent auf den Kainacher Bergmarathon hingewiesen. Es geht steil auf einer Bergwiese hinunter, da bleibt sie etwas zurück. Ich bleibe beim Brunnen stehen, aus dem jedes Jahr trinke. Sie überholt mich bewusst nicht. Als ich ein altes Bauernhaus fotografiere, holt sie ihr Smartphone hervor und knipst ebenso.

Ich komme zu einem Zaun, unter den man durchschlüpfen muss. Ich rufe ihr zu, dass sich kleine Leute (wie sie) dabei leichter tun als ein Mann mit 190cm. Ganz verstehe ich ihre Antwort nicht, aber sie klingt freundlich. Dann sehe ich die asphaltierte Straße, auf der es nun einige Kilometer in Richtung Kainach gehen wird. Hier wartet der Freund der sportlichen Kollegin auf seinem Bike. Er begleitet uns bis zur letzten Labestelle knapp vor Kilometer 40.  Sie erzählt, dass es ihr erster Marathon überhaupt sei. Der Freund würde sich diese Strecke nicht zumuten, sie aber will es probieren – mit Erfolg wie man sieht, sage ich.

Ich mache mich zwar etwas früher auf dem Weg, aber die auf Trailrunning nicht nur dem Aussehen nach eingestellte Kollegin holt mich rasch ein und ist auch abwärts schneller als ich. Zwar liegt sie nur 100 m vor mir, aber ich müsste mich sehr anstrengen, um sie einzuholen.

Wenn man die Ortstafel von Kainach erreicht, sollte der Marathon schon vorbei sein. Ist es aber nicht. Ein kurzer Stopp bei der letzten Labe und es geht nochmals „a Bergerl“ hoch, wie der Helfer sagt. Meine Uhr zeigt nach 43,42 km 6:43,30 Stunden an, aber bis ins Ziel ist ein weiterer Kilometer vorbei beim Friedhof zu bewältigen.

Mit 6:55:01 geht sich die avisierte Finisherzeit unter 7 Stunden gut aus. Wie jedes Jahr sind im Ziel am Dorfplatz um diese Zeit schon die meisten Läufer geduscht und sitzen bei Speis und Trank beisammen. Als der Platzsprecher beim Einlauf meine Namen erwähnt, applaudiert meine Dauerbegleiterin auf mehr als 10 Kilometern inzwischen auf einer der vordersten Bänke sitzend laut und ruft meinen Vornamen. Ich hätte mit ihr bei einem Bier anstoßen sollen, statt auf die Duschen zuzusteuern. Bei der Labe reicht man mir eine volle Flasche Longlife-Mineralwasser, das nenne ich Service.

Vor der Siegerehrung werden die offiziellen Listen ausgehängt. Wider Erwarten war nicht der Ewald, der gar nicht am Start war, mein Konkurrent, sondern zwei Typen unter M-60, die sich wohl rasch nachgemeldet haben und deutlich schneller als ich waren. So lande ich wieder einmal auf dem dritten Platz, statt der Glasplakette hätte ich viel lieber den Liegestuhl oder den Geschenkkorb bekommen. Vielleicht bin ich nächstes Jahr wieder dabei, wer weiß?

 

 

 

Was darf man sich beim
Kainacher Bergmarathon erwarten?


Bei früher Anmeldung ist das Startgelt niedrig, in der Nachfrist sind 50 Euro aber nicht günstig. Man bekommt dafür allerdings ein Funktionsshirt mit dem Logo des Kurses. Die Versorgung an den Labestationen ist bestens, die Strecke mit ca. 1800 Höhenmetern landschaftlich schön, mitunter etwas schwierig wie bei Trailläufen halt so üblich.

Bei den Finisherzeiten ist der Veranstalter entgegenkommend, die Zeitnahme bleibt bis zum letzten Läufer auf der Strecke, der nicht aufgibt, offen. Zwar sind 7 Stunden eine Richtzeit, aber es gab in den letzten Jahren auch schon Läufer, die mehr als 8 Stunden unterwegs  waren und ins Klassement kamen. Als Manko betrachte ich persönlich den Umstand, dass sich der Veranstalter nicht entschließt, eine eigene Medaille zu gestalten, die man in Bezug auf die Jahreszahl einfach fortschreiben könnte.

 Ansonsten ist der Bergmarathon in Kainach eine sehr schöne Laufveranstaltung, an der man unbedingt einmal teilnehmen sollte.

Sieger Herren:

1. Stefan Schriebl (AUT) – 03:29:42   
2. Andreas Pfandlbauer (AUT) – 03:41:51  
3. Pierrick Mialle  (FRA) – 03:51:40  

Damenreihung:

1. Irene Zerkhold (AUT) – 04:23:44
2. Reka Kovacs (HUN) –  04:27:47  
3. Maria Trimmel (AUT) – 04:47:19

 

86 Finisher beim Marathon in Kainach (69 Herren, 17 Damen), 2 DNF;
33 Dreierstaffeln im Klassement;
22 Nordic Walker im Ziel, aber 12 DQF, 2 DNF

 

Informationen: Kainacher Bergmarathon
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