Die hübsche rothaarige Läuferin ist inzwischen enteilt, der Wanderstockfreak braucht länger. Noch einer kommt nach, ein sehr dünner Mann meines Alters, der leicht hinkt. An die Frau komme ich bis auf wenige Meter heran, doch nun tauchen plötzlich auch der Hinkende und der Stockläufer hinter mir wieder auf. Dieser fragt mich, ob ich die Fotos – auch die mit ihm – etwa auf Facebook stellen würde. „Nein“, antworte ich, „ich beabsichtige, das eine oder andere Bild vielleicht einem Blog auf unserer Clubseite anzuhängen“. Dass ich eigentlich meinen zweiten Bericht für Marathon4you schon beim Laufen gedanklich konzipiere, erwähne ich nicht.
Nun beginnt der steile Anstieg zur Roßbachalpe auf 1800 Meter. Wir marschieren zu viert, ich halte meine zweite Position, doch der leicht Hinkende ist bestens trainiert, holt mich ein, sagt dass er aus England komme und eilt mir davon. Am höchsten Punkt angekommen, stehen drei Rettungskräfte auf der Strecke, die im Notfall eingreifen können. Das Bergpanorama ist wunderschön, ich knipse eifrig.
Nun geht es über einen steinigen, zum Teil felsigen Weg abwärts mit kleinen Anstiegen dazwischen. Hier muss man sehr aufpassen, nicht auszurutschen. Ich hole den Hinkenden wieder ein, er hat Schwierigkeiten, auf den Steinen voranzukommen. Auch die attraktive Frau ist nur mehr wenige Meter vor mir. Stamatis, der Grieche, der ohne Stockeinsatz nicht auskommt, fällt etwas zurück. Auf einem steilen Wandersteig mit vielen großen Steinen überhole ich nun auch die rothaarige Läuferin, die selbst auf dieser Passage nicht nachgeben will. Doch als wir nahe dem Gleintalschutzhaus zur Labestelle kommen, steht sie wieder hinter mir. Die beiden anderen, der Brite und der Grieche scheinen etwas den Anschluss verpasst zu haben.
Noch ist nicht einmal die Halbmarathondistanz erreicht, die ich nach meiner Überschlagsrechnung mit 3:10 Stunden passieren werde. Jetzt beginnt ein kurzes Flachstück auf einem mit Steinen durchsetzten Waldweg, auf dem das Ranking wiederhergestellt wird: Die Frau läuft vorne weg davon, der Grieche holt mich ein, als ich kurz einem Bedürfnis nachkommen muss, auch der Brite ist in Sichtweite erkennbar. Warum führe ich einen Kleinkrieg mit einigen Läufern? Eigentlich ist es doch egal, ob er oder sie einige Minuten früher als ich ins Ziel kommt.
Endlich erblicke ich die 20-km-Tafel, bald darauf stehen erneut drei Helfer des roten Kreuzes auf der Strecke. In einer Entfernung von mindestens 1 km Luftlinie erblicke ich den Stockläufer, wie er gerade zur Frau mit dem roten Pferdeschanz aufschließt. Ich probiere jetzt auch abwärts schneller zu laufen, doch die beiden haben das Terrain und meinen Austritt ins Gebüsch so gut genutzt, dass es schwer sein würde, sie einzuholen. Ich erhöhe das Lauftempo – da passiert es: ich stolpere mit dem rechten Schuh auf einem größeren Stein, bleibe etwas hängen und stürze der Länge nach. Zum Glück ist der Boden weich, so erleide ich nur kleine Schürfwunden am rechten Knie und an der den Sturz abfangenden rechten Hand. Es blutet, ein Wanderer mit zwei kleinen Hunden kommt zufällig vorbei, fragt, ob er helfen kann. „Aber nein“, antworte ich, „mir ist ja zum Glück nichts passiert“. Einen Dämpfer versetzt mir der Sturz allerdings schon, denn von nun an will ich kein Risiko beim Abwärtslaufen auf Steinen mehr eingehen.
Die Bodenbeschaffenheit der Laufstrecke wechselt ständig, auf Wiesenpfaden und Waldwegen folgen Abschnitte mit Geröll, auf Abwärtspassgen folgen steile Gegenanstiege. Aber das wird auf der Homepage des TUS Kainach in Form einer Höhenprofilkarte genauso angezeigt. Sobald die Strecke durch den Wald führt, fallen einen die vielen Ameisenhaufen auf Lichtungen entlang des Weges auf. Auf dem Boden kriechen Tausende zumeist dunkelbraune bis schwarze Waldameisen. Ich befürchte, dass viele von den Läufern und Powerwalkern unabsichtlich zertreten werden.
Meine Konkurrenten sind längst enteilt, hinter mir erblicke ich auch in großer Entfernung keine Menschenseele. Ich bin mir sicher, dass noch andere auf der Strecke sein müssen.
Endlich erreiche ich den 25 km-Punkt. Noch ist keine Labestation in Sicht, ich bin durstig. Bei einem kleinen Bach bleibe ich stehen und trinke klares, angenehm kaltes Gebirgswasser, das besser schmeckt als jenes aus Plastikflaschen. In einiger Entfernung auf einer Schotterstraße erblicke ich drei Frauen, die laut tratschend gemächlich dahinspazieren. Ich grüße und mache ein Foto. Sie rufen mir nach, dass ich noch einen weiten Weg vor mir habe. Da haben die Damen wohl Recht, doch nun kann ich auf der Schotterstraße zügig abwärts laufen – fast 12 km/h zeigt die GPS-Messung. Bald darauf erblicke ich das Gasthaus Krautwasch, wo sich eine Labestation befindet und auch der zweite Staffelwechsel erfolgt. Wieder fragt man mich nach meiner Startnummer, die gut erkennbar vorne auf einen Band befestigt ist.
Erneut kann ich Zeit gutmachen, die Strecke verläuft auf einer Schotterstraße abwärts. Doch knapp vor Kilometer 30 höre ich Stimmen hinter mir, es sind zwei Staffelläuferinnen. Als ich dann kurz stehenbleibe, um ein Marterl zu fotografieren, überholen die beiden mich. Und noch jemand kommt nach: Es ist Martyn, der etwas hinkende Brite, den ich bei Kilometer 17 überholt habe. Jetzt schluckt er mich wieder, weil er auf Flachstücken seine gute Form nutzen kann. Ich versuche erneut ihn nachzulaufen, komme auf 50 Meter heran, erreiche ihn bei der nächsten Labestation, doch er hat den längeren Atem und eilt mir davon.
Auf den folgenden Kilometern zunächst bis 35 und dann weiter geht es abschnittsweise steil bergab, über Wiesen und Waldwege. Ich begegne einer Bauernfamilie, die ihr Vieh heimtreibt. Bei der Labestelle werde ich gefragt, ob noch Läufer hinter mir nachkommen. Ich antworte, dass es den Anschein hat, falls diese nicht aufgegeben haben.
Endlich befinde ich mich auf einer asphaltierten Straße, die bis in den Ort Kainach hinunterführen soll. Jetzt gebe ich Gas, laufe zeitweise mit einer Fünferzeit, also 12km/h. Knapp vor der 40 km-Markierung überhole ich zwei Powerwalker, die am Ende ihrer Kräfte zu sein scheinen. Dann erblicke ich eine Ortstafel, auf der Kainach angezeigt wird. Ich komme auf die Landstraße zurück, auf der wir um 9 Uhr vormittags den Marathon begonnen haben.
Zwei Ordner weisen mir den Weg – eigentlich ist ein Marathon 42,195 km lang. Doch es sind noch rund 2 km bis ins Ziel bei der Dorfkirche. Ich laufe ca. 200 Meter gerade weiter und biege gemäß Bodenmarkierung rechts ab. Vor mir befindet sich die letzte Labestation, die inzwischen nicht mehr besetzt ist. Ich bleibe stehen und nehme einen Schluck Wasser aus der Plastikflasche. Ich blicke auf die Uhr – 6:45 Stunden könnten sich vielleicht noch ausgehen, wenn ich mich anstrenge. Doch den nun folgenden Anstieg von mehreren 100 Metern kann ich nur im Gehen meistern.
Endlich dann ein Übergang über ein Bachbett, ich habe die letzten 750 bis max. 1000 Meter bis ins Ziel vor mir. Ich laufe auf einer Schotterstraße abwärts, komme beim Friedhof vorbei und werde von einem Helfer gefragt, ob ich eine junge Frau gesehen bzw. überholt habe. Ich verneine und lasse mir auf den letzten 300 m Zeit, mache noch einige Fotos und laufe dann gemächlich über die Ziellinie.
Im nächsten Moment lässt ein Helfer den von der Sportartikelfirma Hervis ausgeborgten luftgefüllten halbrunden Torbogen über mich zusammensacken.
Es ist gut möglich, dass einige Betreuer im Ziel das Ende des Marathons kaum mehr erwarten können, doch meine Einlaufzeit liegt 10 Minuten unter der Sollzeit von 7 Stunden. Der Platzsprecher bekommt zunächst gar nicht mit, dass eben ein weiterer Läufer gefinisht hat. Es herrscht ja Dorffeststimmung, rund um die Festbühne sitzen auf Bänken Dutzende Läufer, viele davon schon längst geduscht und in Freizeitkleidung, die sich ein Bier gönnen. Eine Labestelle im Ziel erblicke ich nicht, auch kein freies Plätzchen zum Verweilen.
Da winkt mir Leopold Eigner zu und kommt zu mir rüber. Ich ersuche einen daneben stehenden Läufer, uns beide mit meiner Kamera abzulichten. Leopold bezeichnet den Kainacher Bergmarathon seiner Einschätzung nach als die schwierigste Marathonstrecke in Österreich. Bei 85 Marathons und bald ebenso vielen Ultras kann er Vergleiche herstellen. Wir reden noch kurz über den kommenden Marathon im Kaiserwald in St. Pölten am 15. August, den unsere liebe Lauffreundin Susanne organisiert. Auch vom 100 Marathon Club Austria werden ein halbes Dutzend Mitglieder daran teilnehmen.
Ich verabschiede mich von Leopold. Schade, dass die Finisher in Kainach keine Medaille bekommen. Es bleibt zu hoffen, dass man bei der nächstjährigen 25. Auflage umdenkt und zumindest eine einfache Plakette erzeugt. Am Wege zum Parkplatz treffe ich den Briten, ich erkundige mich nach seiner Laufzeit. Mit 6:43:52 war er immerhin fast sieben Minuten schneller gewesen als ich. Am Abend checke die Ergebnisliste im Internet. 68 Läufer/innen haben den Marathon gefinisht, 4 Disqualifizierte scheinen im Klassement auf. Meine 6:50:12 Stunden ergeben den 63. Gesamtplatz und den 5. in der Altersgruppe M-55.
Wie würde ich nun persönlich mein Ergebnis und den Kainacher Bergmarathon einordnen? Der Lauf ist ziemlich anspruchsvoll, vom Schwierigkeitsgrad her über den Montafon Arlberg-Marathon (meine Laufzeit heuer 5:44:01) oder den Allgäu Panorama-Marathon (voriges Jahr 6:13:54) zu stellen. Auch die Sommeralm-Marathon-Laufstrecke (heuer 6:19:03) verläuft vielfach auf Asphalt, den ich persönlich gegenüber Schotter und Steinen bevorzuge. Trailrunner und solche, die es werden wollen, kommen in Kainach daher voll auf ihre Rechnung.
Zieleinlaufreihenfolge bei den Herren:
Michael BOCH (FRA): 3:35:27
Andreas ROIS (AUT): 3:39:08
Andreas STURM (AUT): 3:51:46
Siegerinnen bei den Damen:
Maria FREI (AUT): 4:31:23
Angelika WINKLER (AUT): 5:14:26
Karin WALTL (AUT): 5:34:53