Zunächst noch auf Asphalt geht es bereits leicht ansteigend südlich aus dem Dorf hinaus, geradewegs zur Talstation der Seilbahn. Langsam ziehen die Gondeln von hier nach oben und verlieren sich schnell im Wolkenmeer. Gleich hinter der Talstation tauchen wir bei km 4,5 einem Schotterweg folgend in dichten Wald ein. Auf einem Felsen über uns thront wildromantisch die hübsch bemalte Wallfahrtskapelle Stampfanger. Ein Wildbach rauscht an uns vorbei ins Tal. Bei den Läufern heißt es nun zu zeigen, ob man als Bergläufer etwas drauf hat oder nicht. Denn der Weg windet sich in steilen Serpentinen den Hang empor. Bei mir selbst stelle ich fest, dass ich derzeit wohl eher der zweiten Kategorie angehöre und schon bald verfalle ich in schnellen Walkingschritt. Die Erkenntnis, dass mit kurzen Laufschritten tempomäßig auch nicht viel mehr auszurichten ist, setzt sich aber dann doch auch schnell bei den anderen durch.
Aus dem Wald treten wir schon bald hinaus auf üppig grüne Almen. Die friedlich grasenden Kühe ignorieren uns. Ein schönes Bild, nur ist der Panoramablick räumlich sehr beschränkt. Nur selten geben die Wolkenfetzen einen Blick in die Ferne frei, meist versinkt der Horizont in undurchdringlichem Grau. Schnell nähern wir uns der Wolkendecke, es wird kälter, rauer. Wieder im Wald bieten die Bäume zwar Schutz vor dem kalten Wind, nur nicht vor dem prasselnden Regen. Die Steigungen nehmen kein Ende. Nur selten kehre ich an etwas flacheren Passagen zum Laufschritt zurück. Schon hinter der nächsten Kurve ist meist wieder Schluss damit.
Bei km 7 wird die Sicht immer trüber, dafür werden die Regentropfen dichter und dicker. Sie mutieren zu Schneeregen und kurz darauf zu schweren Schneeflocken. Im nun offenen Gelände klatschen Sie uns windgepeitscht ins Gesicht. Ich habe das Gefühl, durch eine rasende Schneewand zu laufen. Schnell verliert sich die Farbe Grün aus dem Blickfeld und wird abgelöst durch ein schier endloses Weiß.
Einzelne Häuser tauchen vor uns auf, Hochsöll ist erreicht und kurz darauf bei km 8 die Gründlalm mit der Seilbahnstation. Alles scheint im milchigen Weiß zu versinken. Umso erstaunter bin ich, dass doch einige Zuschauer und andere Besucher mit der Gondel hinauf gekommen sind und uns lautstark begrüßen. Eine große Versorgungsstation ist unweit der Seilbahnstation eingerichtet, bestens ausgestattet. Aber noch weiß ich dieses Angebot nicht richtig zu schätzen und eile weiter hinaus in die winterliche Landschaft. Noch ein Stück geht es den Weg weiter, aber nun flacher hinauf. Dann künden ein paar johlende “Schneemänner”, dass der Kulminationspunkt unseres heutigen Kurses erreicht ist.
Nun wird die Strecke richtig spannend: Es geht steil bergab. Dicker Schneematsch überzieht den blätterbedeckten Schotterweg. Höchste Achtsamkeit ist angebracht, um hier keine Rutschpartie hinzulegen. Mit meinen griffigen Trailschuhen habe ich aber keine Probleme. Ich gebe ganz offen zu: Mir macht das richtig Spaß. Noch fühle ich mich gut und nach dem langen Bergaufmarsch gebe ich richtig Gas. Ich erlebe das, was ich in meinem einleitenden Absatz beschrieben habe.
Wir erreichen einen Asphaltweg, der nun etwas weniger steil durch einsamen Puderzuckerwald und über Puderzuckeralmen führt. Hinter km 10 geht der Schnee langsam wieder in Schneeregen und dann in Regen über, die Landschaft füllt sich langsam wieder mit Farbe. Bäche ergießen sich über den Asphalt, aber längst habe ich aufgehört auf so etwas zu achten. Meine Schuhe könnte man schon lange auswringen. Ich lasse es laufen und denke nicht daran, was ich da meiner Oberschenkelmuskulatur antue.
Bei km 13 sind wir zurück an der Talstation der Seilbahn und laufen auf demselben Weg, auf dem wir gekommen sind, zurück ins Söller Zentrum. Einmal mehr bin ich überrascht, wie viele Zuschauer trotz des bescheidenen Wetters in Söll an der Strecke ausharren.
Erst höre ich es nur gerüchteweise und kann es kaum glauben, dann jedoch auch über Lautsprecher: Der Veranstalter hat aufgrund der Wetterverhältnisse entschieden, den Lauf um eine Runde zu verkürzen und ihn damit von 42 km auf 28 km zu stutzen. Im ersten Moment bin ich ein wenig konsterniert. Gefährlich oder bedrohlich hatte ich den Rundkurs trotz des Extremwetters nicht empfunden. Tja: heute eben weder Kaiser, noch Marathon.
Auch die zweite Runde wird zunächst mit der moderaten 3,5 km-Schleife eingeläutet, nur dass ich sie längst nicht mehr so locker nehmen kann wie beim ersten Mal. Gleiches gilt für den Weiterweg zur Seilbahnstation. Richtig kernig wird es aber, als ich mich mühselig wieder die zahllosen Serpentinen Richtung Hochsöll empormühe.
Die Wolken sind noch tiefer herab gesunken und mit ihnen die Schneefallgrenze. Schon ab etwa 600 m üNN wird es weiß. Der Weg mutiert immer mehr zur Schlammpiste. Die Verhältnisse haben sich gegenüber der ersten Runde nochmals erheblich verschärft. Im offenen Gelände peitscht der Schnee durch die Luft, die Sicht ist gleich null. Verstärkt wird das Kältegefühl durch meine nasse Kleidung; selbst meine Windjacke nützt da nicht mehr viel. Über den Schlamm legt sich eine immer dickere Schicht aus Schneematsch. Immer wieder spüre ich, wie er eiskalt in die Poren meiner Schuhe eindringt. Im eisigen Wind spüre ich kaum noch meine Hände, schaffe es aber auch nicht mehr, mir die wie alles andere pitschnassen Handschuhe über die Finger zu ziehen. Zunehmend kann ich nachempfinden, wie vorausschauend und richtig der Veranstalter mit der Streckenverkürzung reagiert hat. Der Spaß, den ich noch auf der ersten Runde empfunden habe, wird verdrängt durch den Wunsch: Wann hat das ein Ende!