Ein breiter geschotterter Fahrweg führt uns, vorbei an einem Barfußpfad mit Bach und Trittsteinen sowie Liegen unter kuhfleckigen Sonnensegeln, moderat ansteigend aus dem Hexenwasserrummel hinaus. Schön und motivierend ist der Blick von weiter oben über das Gelände, vor allem aber in Richtung der umgebenden Hügel und Berge. Zumindest ein wenig kompensiert dies mein bisheriges optisches Panoramadefizit.
Darauf eingestellt bin ich schon, dass der Anstieg ein paar ganz spezielle Passagen bereit hält. Und eine solche erwartet uns gleich hinter dem 36 km-Schild. Direkt und schnurgerade geht es über das schon matschige Gras die steile „schwarze“ Skipiste empor. Fahnen säumen wie Slalomstangen den Weg. Der Vorteil: Wir gewinnen schnell an Höhe und Ausblick. Der Nachteil: Die Wolken von oben kommen ebenso schnell wieder näher. Fast 20 Minuten bin ich bis zur nächsten Kilometermarke unterwegs. Es beruhigt mich ein wenig, dass die meisten anderen auch nicht schneller sind.
Anders als früher führt der Weg im weiteren Verlauf aber nicht mehr nach dem Motto „kurz und heftig“ binnen drei Kilometern direkt zum Gipfel. Wir müssen uns mehr gedulden – und auch leiden. Konkret schaut das so aus, dass wir ab km 37 auf einem Wirtschaftsweg erneut zum Laufen animiert werden. Dass es dabei auch wieder abwärts geht, erfreut mich eingedenk der damit zunehmenden Entfernung vom Gipfel nicht wirklich. Originell ist zumindest die Labestation bei km 37. Sie ist in den Boxen eines Kuhstalls untergebracht und unser Weg führt mittendurch.
Weiter schlängelt sich unser Weg durch die Almen. Immer mal wieder sehe ich Wegmarkierungen, die die verbleibende Wanderzeit zum Gipfel angeben. Klingt überschaubar! Vom wolkenumwogten unsichtbaren Gipfel hört man auch schon die Willkommensrufe des nimmermüden Zielmoderators herab schallen. Wir aber laufen vorbei und nehmen einen anderen Weg. Auf diese Weise umrunden wir den Pölvengipfel fast vollständig, ohne uns ihm entscheidend anzunähern. Über wie unter uns wabern die Wolkenfelder und hüllen die Wälder und Liftanlagen der Umgebung zunehmend wieder ein. Auf der Rigialm (1532 m üNN) bekomme ich ein letztes Mal heißen Tee und bereite mich im Getanze der Schneeflocken emotional darauf vor, auf den letzten beiden Kilometern nochmals 300 Höhenmeter bewältigen zu müssen.
Vorfreude auf den Gipfel keimt auf, aber so richtig Spaß will bei dieser Witterung und Sicht beim finalen Gipfelsturm nicht aufkommen. Hauptsache ankommen, lautet die Minimaldevise. Es geht weiter auf dem Wirtschaftsweg, Schritt für Schritt. Nur vereinzelt tröpfeln die Läufer dahin und von Wolken eingehüllt wird das Gefühl der Einsamkeit noch verstärkt. Über einen schmalen Pfad werden wir auf eine Wiesenrampe gelotst und da erst sehe ich nun greifbar nahe den blauen Zielbogen durch die Wolkensuppe schimmern. Mit aufmunternden Worten werden die Ankömmlinge vom Zielsprecher begrüßt und den erschöpften Gesichtern zumindest ein Lächeln entlockt. Mit ausgelassener Freude tun sich die meisten schwer – sie sind, wie ich, einfach nur froh, diese Herausforderung gemeistert zu haben. Der Zieltrubel ist witterungsbedingt denn auch nur ein sehr bescheidener. Der Kälte und dem dichten Schneetreiben in 1.829 m Höhe entfliehen die Ankömmlinge sogleich in den geschützten Zielversorgungsbereich oder direkt in die warme Stube des Bergrestaurants.
Es ist geschafft, endlich, im dritten Anlauf. Wenn auch zum dritten Mal fern jeglichen goldenen Oktobers. Kaum ansatzweise erahnen ließ sich, welch schönes Panorama diese Strecke bietet. Tja, da hilft wohl nur eines: Wiederkommen und hoffen …Zusammen mit einem netten Trupp von Laufreisen.de kommt in der geschützten Gondel bergab aber sogleich wieder Stimmung auf. Und die setzt sich im Festzelt in Söll fort, wo, quasi nach dem berühmten gallischen Vorbild, bei Speis und Trank nachgefeiert und die vielen Altersklassensieger gekrönt werden. Wie nicht anders zu erwarten lief es für Patrick Wieser am besten. Erst auf den letzten Kilometern konnte er den lange führenden Henry Kemboi abhängen und mit 3:28 Std. die Tagesbestzeit der knapp 600 Finisher einfahren.
Mehr noch als die Hohe Salve ist der Pölven „der“ Hausberg Sölls. Bis an den Ortsrand erstrecken sich seine Ausläufer. Aus der Entfernung ist er nicht gerade ein Eyecatcher, mit 1.595 m kein Riese und auch sonst wirkt er eher unauffällig, sanft und grün. Als Laufdestination von Söll aus ist er aber geradezu prädestiniert und man muss sich fast schon fragen, warum der Veranstalter erst 2014 darauf gekommen ist, ihn in die Tour einzubeziehen. Dass das eine gute Idee war, beweisen weit über 800 Anmeldungen, womit der Pölven Trail teilnehmermäßig mittlerweile das größte Zugpferd im Streckenangebot der drei Tage ist. Die einst durchgeführte Hatz über sieben 3-km-Runden durch Söll hatte durchaus ihren Reiz, aber der primär naturvernarrten Laufklientel bieten die 23 km rund um den Pölven einen sehr viel höheren Erlebniswert.
Für mich ist der Pölven Trail absolutes Neuland. Die Freude, hier etwas Neues erleben zu dürfen, wird am frühen Sonntagmorgen aber etwas durch meine Beine als Bedenkenträger getrübt. So gar nicht wollen sie mir die gestrige Gewalttour auf die Hohe Salve verzeihen. Doch mit dem leckeren Frühstückbuffet bei Raffeiners kehren die Lebensgeister zurück und auch am Himmel macht sich zunehmend Lockerheit breit.
Am Start erwartet mich – und „täglich grüßt das Murmeltier“ – wie alle Tage wieder das gleiche bunte Gewimmel und die gleiche von kräftigen Beats befeuerte gute Stimmung. Eine Besonderheit ergibt sich beim heutigen Start daraus, dass in zwei Blöcken gestartet wird: Die schnelleren um 9:30 Uhr, der Rest 10 Minuten später. Erstaunt bin ich, wie viele Starter sich in der Vorgabe „10 km unter 40 Minuten“ wiederfinden. Als Realist fühle ich mich in Block 2 besser aufgehoben und habe vor allem die Gelegenheit, die Topläufer beim Startsprint zu erleben.
Den Streckenkurs des Pölven Trial kann man in Kürze ganz einfach charakterisieren: Einmal um den Pölven rum, einmal bis auf fast 1.200 m rauf, viiiiel Wald und viiiiele profilierte Single-Trails. Aber ein bisschen mehr gibt es schon noch zu erzählen.Viel Schonzeit wird uns nach dem Start nicht gewährt. Sogleich geht es bergan, nicht steil, aber beständig, zunächst auf Asphalt, dann auf einer Forststraße durch den Wald. Meine Beine sind schwer, ich keuche und fluche vor mich hin – was habe ich mir da angetan! Aber jetzt schon zu marschieren will ich schon aus Gründen meiner „Läuferehre“ nicht zulassen und so lasse ich mich von der Meute einfach mitziehen. Der Weg wird schmaler und vor einem zu querenden Bächlein bildet sich gar ein kleiner Rückstau, da es jenseits des Bachs unwegsam steil nach oben geht. Cheforganisator Martin Kaindl persönlich assistiert beim Queren des Nadelöhrs. Mir kommt die Zwangspause gerade recht. Und siehe da – es geht gleich besser. Vielleicht liegt es auch an dem schönen Singletrail, der zwar wurzelig, aber auf weichem Waldboden fast schon abenteuerlich im Wechsel rauf und runter dahin führt.
Nach 3,7 km ist ganz plötzlich der Wald zu Ende. Wir treten hinaus auf die Lengfeldalm. Und vor mir sehe ich nur eine Wand. Keine graue Fels-, sondern eine grüne Wiesenwand, auf der sich wie gemalt Ketten bunter Punkte im langen Zickzack über 150 Höhenmeter jäh nach oben bewegen. Uff, zum Glück kommt das erst jetzt. Und weil das Ganze recht fotogen ist, habe ich immer wieder ein Alibi für einen kurzen Zwischenstopp. Langsam trotte ich mit der Karawane Kehre um Kehre in luftige Höhen. Aus der Vogelperspektive schaut das Ganze nicht minder beeindruckend aus.
Eine Verschnaufpause wird uns danach nur kurz gegönnt, schon schwingt sich der Waldpfad zu neuen Hoch- wie Tiefflügen auf. Da lacht das Trailerherz. Am Eingang zum Hias Ortner Steig wacht ein Bergwachtler darüber, dass nicht einer der Läufer unfreiwillig den steilen Abhang hinunter purzelt. „Chill out“ ist zwischendurch durch einige Wiesenpassagen eingebaut, aber ehe man sich versieht, zweigt der Weg auch schon wieder gen Bergwald ab.