Sanft ansteigend führt die Strecke weiter bis nach Scheffau. Das Wetter und die umliegenden Berge vor dem blauen Hintergrund sind einfach nur kitschig schön. Imposant ragt der Wilder Kaiser in der Ferne auf. Sein Felskamm scheint über das Gebiet zu herrschen. Eine Legende erzählt, dass ein Ausruf von Kaiser Karl V. wohl für den Namen verantwortlich ist. Angeblich hat der majestätische Anblick die Worte: “Lang, wenn ich nicht mehr bin, wirst du noch Kaiser sein“ ertönen lassen.
Kurz vor Ellmau laufen wir durch eine Unterführung und irgendwann kommen wir an zwei Pferdekutschen vorbei. Sie stehen dort als ob sie darauf warten, dass einer von uns Läufern einsteigen wird. Verlockend ist das schon.
Bereits im ersten (richtigen) Anstieg nach ca. 21 Kilometern führt die Strecke zum 1.555 Meter hohen Hartkaiser, der sich noch unterhalb der Baumgrenze befindet. Es ist ein Berg der zweithöchsten Kategorie bei dieser Tour. Wir sind an der Talstation der Standseilbahn der „Skiwelt Wilder Kaiser Brixental“ angelangt.
Die Hartkaiserbahn rattert an uns vorbei nach oben. Im Winter bringt sie die Skiläufer auf den Gipfel, heute die Fans der Tour. Dabei überwindet sie auf sieben Kilometern etwa 800 Höhenmeter, wir übrigens auch. Während Kay sich plagt, kreisen meine Gedanken darum, dass man derart leere Pisten, nur im Herbst, oder bei diesem Wetter haben kann.
Mühsam geht’s voran über eine Skipiste. Vor Jahren habe ich hier schon den ein- oder anderen entspannten Schwung gezogen. Angst vor grünen Hängen müssen Skifahrer hier nicht haben: Fast surreal wirken die stillgelegten Schneekanonen und warten schon darauf, im nächsten warmen Winter, 210 Pistenkilometer zu beschneien. Fast könnte man glauben, das alles was nicht Wald oder Felsen ist, zu irgendeiner Skipiste gehört. Immerhin, die SkiWelt Wilder – Kaiser Brixental gilt als das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs mit 91 Liftanlagen und 279 Pistenkilometern. Immer wieder führen Pistenabschnitte durch Waldstücke. Über hohe Treppen und steilen Waldwegen tauchen wir ein in die Stille und Einsamkeit des dichten, dunklen Bergwalds und so mancher Baum trägt ein rotweißrotes Tattoo.
Nur die anderen Läufer auf der Strecke erinnern uns daran, dass man den Aufstieg nicht exklusiv hat. Das Mittelfeld zerfällt im weiteren Verlauf der Etappe immer mehr. Schon bald müssen wir es zum zweiten Mal am heutigen Tage abreißen lassen. Nach der Blase das nächste Problem. Kay bekommt Krämpfe, wir versuchen mit Salztabletten und Magnesium gegenzusteuern. Es geht für ein paar Kilometer gut. Im Winter sicherlich nur eine blaue Abfahrt, fühlt es sich heute an wie eine schwarze Piste. Bergan gehen wir zur urigen um 1778 erbauten Rübezahl-Alm die sich auf 1.200 Meter befindet. Die wirklich traumhafte Kulisse dieser Alm nutzten schon viele Filmproduzenten. So zum Beispiel: „Lustige Musikanten“, „Melodien der Berge“ und viele, viele andere.
Für uns geht es weitaus langsamer voran, als erhofft und erwartet. Über 3 Kilometer begleiten uns 22 riesige hölzerne Gestalten. Wir sind auf Österreichs längstem Schnitzfiguren-Wanderweg unterwegs aber noch immer nicht oben. Der klare türkisfarbene Tanzbodensee glitzert in der Sonne, er ist sozusagen von Bergen umschlungen. Über uns wölbt sich ein strahlend blauer Himmel und in all dieser Harmonie bekommen wir die Krise. "Tja; das war es dann wohl" sage ich zu Kay. Und für einen Moment hält jeder die Luft an. Wir bleiben beide stehen, als warteten wir ab um zu sehen, was nun passieren würde.
Kays Kleider sind durchnässt und weiß vom ausgetretenen Körpersalz. Schweißperlen rinnen langsam über das Gesicht. Der Kaisermarathon fordert ihre Opfer: Heute erwischt es Kay. Eine Läuferin, die uns überholt meint es gut mit uns und versucht uns zu motivieren. Aber mittlerweile habe ich kapituliert. Es gibt schlechtere Stellen um aufzuhören, spuckt es mir durch den Kopf. Kay will weiter, bei mir ist die „Luft“ raus. Ist es die Ruhe, die bei mir im Kopf bereits eingekehrt ist oder vielleicht doch auch Erschöpfung?
Mir fällt die Sage von der Kröte wieder ein und dass die Geschichte so nicht stimmen kann. Denn im wahren Krötenleben, sind es die Krötenweibchen, die die oft Kilometer langen Wege bis zu einem Tümpel auf sich nehmen. Die Krötenmännchen lassen sich einfach tragen. Empörend aber wahr - huckepack. Noch bedenklicher ist es, wenn eine Erdkröten-Lady bis zu 10 Männchen auf dem Rücken spazieren trägt.
Kilometer 28 ist erreicht. Dass der Weg zur Tanzbodenalm zu den beliebten Routen gehört, wird beim Überqueren der Terrasse klar: Sie ist bis auf den letzten Platz mit Ausflüglern besetzt. Und es herrscht Hochstimmung. Jeder Athlet wird mit Namen und Beifall begrüßt.