Der Chef und viele Trail-Freunde grüßen an diesem Wochenende vom Eiger. Ich möchte aber auch unbedingt Höhenmeter sammeln, ohne allerdings allzu weit fahren zu müssen. Die Möglichkeit dazu bietet sich daheim im bayrischen Alpenraum, im Karwendel.
Der Gipfel der Westlichen Karwendelspitze liegt an der Grenze zwischen Bayern und Tirol. Flächenmäßig gehören zu Bayern etwas mehr als 20 % des Karwendel-Gebirges, der mehrheitliche Rest geht an das Österreichische Tirol. Vom Ortsrand Mittenwald gelangt man mit der Karwendelbahn bis zur Bergstation an der Karwendelgrube, knapp unterhalb des Gipfels. Zwischendrin ist die Zielankunft beim Karwendel Berglauf. Die Seilbahn mit 25 Mann Kapazität sorgt für den Rücktransport der Teilnehmer.
Meine Versuche, auch einmal das Ziel etwas unterhalb der Karwendelspitze auf 2.291 m Seehöhe zu erreichen, sind bisher alle fehlgeschlagen. 2010 war ich am Start, aber wegen Schlechtwetter musste leider die Ersatzstrecke auf den Kranzberg herhalten. Noch schlimmer war es 2011. Das Wetter war derart miserabel, dass der Lauf komplett abgesagt wurde. Letztes Jahr sah es in den Tagen zuvor auch sehr mau aus, ich rechnete mit einer erneuten Absage und reiste gar nicht erst an.
Heuer sieht die Sache ganz anders aus. Wir haben ein stabiles Hoch und einen bayrisch weiß-blauen Himmel. Das sorgt für einen regelrechten Run auf die Startplätze. Die bisherige Rekordmarke liegt bei 330 Läufern. Mehr als 400 Läufer sind organisatorisch kaum machbar mit der relativ kleinen Gondel, so gilt dies als Teilnehmerobergrenze.
Der Start ist in der Füßgängerzone von Mittenwald, genau in der Ortsmitte. Und die liegt auf 912 m ü. NN. So sind bis hinauf 1.380 Höhenmeter auf der 10,6 km langen Strecke zu bewältigen. Genau richtig für mich. Ich benötige für meinen Saisonhöhepunkt dringend noch ein paar hochalpine Klettereinheiten, wie ich unlängst schmerzlich erfahren musste.
Tausendsassa Kurt König ist der geistige Vater, Organisator und Rennleiter der Veranstaltung, zudem auch noch Entertainer. Zwei Stunden unterhält er Läufer und Zuschauer vor dem Start und erzählt alles Wissenswerte über den Lauf und vor allem natürlich über die Strecke. Als einstiger Weltklasse-Bergläufer und dreifacher Sieger des Empire State Building Run-Up in New York City weiß er, von was er spricht. Die Gewittergefahr soll bei null liegen und so werden wir gebeten, unsere Rucksäcke mit Wechselkleidung nicht unnötig zu strapazieren. Alles muss ja mit der Gondel nach oben transportiert werden.
Den Streckenrekord bei den Herren hält mit 59,41 Minuten, wie könnte es anders sein, Jonathan Wyatt. Ganz besonders freut sich Kurt, dass er bei der 12. Auflage heuer erstmals auch Kenianer live erleben darf. Ob die aber an den Rekord von Jonathan ran kommen können, ist zweifelhaft. Obwohl sie bärenstark sind und einer von den dreien erst kürzlich einen Berglauf für sich entscheiden konnte. Kurt hat da aber auch ganz stark den Vorjahressieger aus Polen im Visier. Auch ein paar starke bayrische Burschen sind am Start und wollen den kenianischen Gazellen das Leben schwer machen.
Knapp 400 Anmeldungen werden erreicht. Einigen Läufern wird es aber dann vielleicht schon wieder zu warm gewesen sein, denn es bleiben einige Startplätze unbesetzt. Um 14 Uhr wird gestartet und das Thermometer bleibt erst knapp unter 30 Grad stehen. Die ersten beiden Kilometer führen noch relativ flach durch Mittenwald, danach geht’s aber richtig zur Sache. Die Forststraße weißt schon ein paar ordentlich Rampen auf. Nach 20 Minuten fühle ich mich wie nach dem ersten Saunagang. Ausdrücklich möchte ich aber nicht in das Klagelied derer einstimmen, die zuerst die Kälte und jetzt die Hitze beklagen. Ich bin froh, dass wir endlich einmal Sommer haben.
Nach 5 km sind die bequemen Straßenbeläge beendet, nach einer Getränkestation geht es auf einem Trail erst durch den Wald, später durch Latschenkiefern immer kräftig nach oben. Die Temperaturen werden spürbar angenehmer. Pro 100 Höhenmeter nimmt die Temperatur um 0,9 Grad ab, so hat uns Kurt am Start informiert. Da gerade auch einige Wolken aufziehen, herrschen optimale Bedingungen.
Kurz nach der Dammkarhütte wird es erst richtig ernst, denn am Dammkar beginnt der alpine Teil der Strecke. Zwei Schritte vor, einer zurück. Zumindest fühlt es sich so an, als es anfangs steil über tiefe Steinhalden nach oben geht. Der Abschnitt dauert nicht übermäßig lang, bald es geht in groben Schotter weiter . Nach der zweiten Getränkestation ist das erste Schneefeld im Weg, aber problemlos zu durchqueren. Im Dammkar fallen die Temperaturen nochmals deutlich, da es komplett im Schatten liegt. Die Strecke wird immer herausfordernder und so kommen schon mal auch die Hände zum Einsatz. Bis zu 40 % Steigung kann der oberste Abschnitt entlang der schroffen Steilwände aufweisen. Das ist schon eine richtig anspruchsvolle Alpin-Running-Einheit.
Ein 400 Meter langer Tunnel führt uns durch den Berg zur Karwendelgrube. Man kommt fast zum frösteln im nur wenige Grad über Null temperierten Stollen. Auf einer Gummimatte geht es leicht steigend durch den Fels. An der Bergstation der Karwendelbahn betreten wir wieder das Sonnenlicht. Aber noch sind etwas mehr als 100 Meter leicht aufwärts bis zur abschließenden Zeitmessung zurückzulegen, knapp unter dem Gipfel der Westlichen Karwendelspitze.
Kurt hatte eine guten Riecher, als Erster passiert wieder der Vorjahressieger Andrzej Dlugosz aus Polen in 01:03:33 die Ziellinie. Anderthalb Minuten dahinter liegt der Bayer Korbinian Schönberger und erst danach kommt der erste Kenianer ins Ziel.
Ja, das ist heute ein richtiger Klimazonen-Lauf. Von fast 0 bis 30 Grad plus wird alles geboten. Oben hat’s gerade mal noch mittlere 16 Grad. Da kann man nach dem Lauf schon wieder ein dünnes Jäckchen vertragen. An der Bergstation der Karwendelbahn, direkt neben dem „Riesenfernrohr“ der „Bergwelt Karwendel“, gibt es noch für alle Finisher einen Teller Pasta und unser berühmtes bayrisches Freibier zum „owie schwoam“.
Beim Karwendel Berglauf passt wirklich alles, eine perfekt organisiert Veranstaltung mit einer höchst anspruchsvollen alpinen Strecke. Schaut’s vorbei beim nächsten Mal, ich bin froh, dass es endlich bei mir geklappt hat und komme sicher wieder.
17.07.16 | Like ice in the sunshine? |
Andreas Bettingen |