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30.08.14 - Karwendelmarsch

Karwendellust und Wolkenfrust

Im Wolkenmeer zur Falkenhütte

 

Wir queren das weiße Kiesbett eines trockenliegenden Wildbachs und folgen einem sich durch den Sauisswald schlängelnden schotterigen Pfad. Ein schönes, zunächst noch eher gemächlich in die Höhe strebendes Wegstück. Allmählich wird der Wald lichter und, ganz der heutigen Gesetzmäßigkeit folgend, die Wolken wieder dichter. Gelaufen wird schon längst nicht mehr. Das Marschieren durch die feuchte Milchsuppe auf einem mittlerweile wieder breiten Forstweg ist wenig motivierend. Eine nette Abwechslung sind da die geduckten Holzhäuser der einsamen Ladizalm (1573 m üNN). Und weiter schleicht die Karawane durch die nicht endend wollende Wolkenwand. Von der Forststraße zweigen wir ab auf einen schmalen, durch die offenen Almwiesen nach oben führenden Pfad, der sich im Einheitsgrau des Horizonts verliert.

 
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Wie aus dem Nichts taucht nach 30 km ein trutziges Bauwerk vor uns auf. Es ist die Falkenhütte (1.848 m üNN). Die am Fuße der Laliderwände 1923 errichtete Hütte ist gleichfalls ein Berghüttenfossil und der zweite „Top Spot“ unseres Kurses. Irgendwie frustrierend ist aber schon: Von der Umgebung ist nichts, aber auch rein gar nichts zu sehen. So gilt meine volle Konzentration der wie immer bestens ausgestatteten Labestation und ich trage zum Abbau des Wurst- und Käsebrot-Bergs bei. Hervorragend auch: die dicke heiße Kartoffelsuppe.

 

Trailig zur Eng

 

Waren unsere Wege läuferisch bislang eher komfortabel und bequem, so ändert sich das nun. Und zwar gehörig. Nur ein kurzes Stück folgen wir noch einem breiten Naturweg. Dann werden wir auf einen schmalen Trail abgeleitet: Steil führt er hinab, ausgesetzt, geröllig. Da lacht des Bergläufers Herz, auch wenn nun jeder Schritt genau bedacht werden will. Adlerweg wird dieser Pfad genannt und genau so fühlt er sich an.

 
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Wie von Geisterhand reißen die Wolken auf einmal auf und ich sehe die bunten Punkte der Läufer bis zum fernen Horizont auf dem unterhalb der Laliderer Spitzen in luftiger Höhen in stetigem Auf und Ab dahin führenden Bergpfad dahin tanzen. Was für ein Ausblick! Die Weite und Kargheit der Hochgebirgslandschaft wird auf einmal ungemein plastisch. Nur wenig niederes Grün gedeiht in dieser felsbeherrschten Welt. Aber die Ausblicke haben nur kurze Zeit Bestand. Die Wolkenbänke sind in permanenter Bewegung und was in der einen Minute noch klar erkennbar ist, ist in der nächsten schon wieder verschwunden. Nichtsdestotrotz: Dieses Wegstück über Stock und Stein ist optisch und läuferisch ohne Zweifel das bislang aufregendste des heutigen Tages und die Eindrücke sind trotz oder auch wegen der Wolken umso nachhaltiger. 

Erneut müssen wir uns mit einigen Höhenmetern abmühen, ehe es jenseits einer wolkenumhüllten, zugigen Passhöhe endgültig wieder gen Tal geht. Der steile Pfad bergab entwickelt sich zum echten Härtetest. Fels und Wurzeln, tiefer Schlamm und Wasser, alles ist geboten, permanent und allgegenwärtig. Triefendes Grün säumt den Pfad und der feuchte Nachschub von oben rinnt ohne Unterlass. Je tiefer wir kommen, desto mehr entwickelt sich der Pfad selbst zum Bachbett, sodass man bisweilen gar nicht mehr recht weiß, wo man hintreten soll, ohne im Nass zu versinken. Weiter unten wird der Weg zwar verzweigter und weitläufiger, was aber keineswegs am feuchten Problem etwas ändert.

Schon aus der Höhe sehen wir trübe den Talgrund unter uns. Die weißen Pavillons der großen Labestation neben dem Almdorf Eng (1.227 m üNN) stechen geradezu hervor. Das weite Tal dahinter, der sogenannte Große Ahornboden, ist eine Berühmtheit für sich. Der in diesem Hochtal beheimatete lichte Wald aus über zweitausend bis zu 600 Jahre alten Ahornbäumen wird vor allem im Herbst von Softalpin-Touristen geflutet. Heute kommt die Flutung allerdings aus einer anderen Richtung: von oben. Der Dauerregen verwandelt gerade das letzte steil über die Wiesen führende Wegstück zu einem Rutschparcours, den nicht jeder Läufer ohne Sturz übersteht.

Die Eng ist nach 35 km das Ziel der "Kurzdistanz"-Walker und -Wanderer. Alle anderen müssen bis spätestens 14:30 Uhr angekommen sein, sonst wird man aus der offiziellen Wertung genommen. Einmal mehr hervorragend ist die Verpflegung: Warme Heidelbeersuppe ist der besondere Hit. Doch so richtig kuschelig ist es nicht, da man dem Regen einfach nicht entfliehen kann. Nutzen sollte man die Verpflegung aber doch: Denn anspruchsvoll geht es weiter. 700 Höhenmeter sind auf den nächsten 5 km in einem Stück zu überwinden. 

 

Über den Gramaisattel

 

Ein paar hundert Meter dürfen wir im Flachen laufen, ganz bequem auf einem breiten Weg quer durch die Alm im Talgrund. Der Weg bleibt auch danach komfortabel, aber mit dem Laufen ist sogleich Schluss. Durch den Bergwald marschieren wir schnurstracks dem Wolkendach entgegen. Belohnt werden wir ab und an mit geheimnisvoll wolkenverschleierten Ausblicken hinab ins Tal. Eine Verschnaufpause bietet die Binsalm (1.502 m) nach 38,4 km.

 
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Kurz darauf kommen wieder die Gämsen unter den Bergläufern auf ihre Kosten. In zahllosen Schleifen dreht sich ein schmaler Pfad durch Latschenkiefern und Bergwiesen den immer steiler werdenden Abhang hinauf. Fels, Wurzeln, Schlamm erhöhen die Herausforderung des Anstiegs. Wohl dem, der da Bergstöcke hat. Ich habe keine und so schleiche ich noch langsamer als die anderen in die Höhe. Will das denn gar kein Ende nehmen? Ein fernes Jauchzen lässt Hoffnung aufkommen. Und tatsächlich: Nur wenig später trete auch ich über die Schwelle des Gramsaisattels und blicke über weite offene Almen in das Tal auf der anderen Seite des Passes. Der mit 1.903 m üNN höchste Streckenpunkt ist erreicht. Und ich weiß: Jetzt geht es nur noch hinab. Bis ins noch immerhin 12 km ferne Ziel in Pertisau.

Nur: Wirklich leichter wird das Laufen deswegen noch lange nicht. Denn so steil, wie der Weg hinauf geführt hat, geht es auf der anderen Seite hinab. Der regenaufweichte Boden ist ein einziges Schlammfeld. Mancher Läufer stürzt sich dennoch ohne Rücksicht auf Verluste gen Tal. Die Mehrzahl lässt es jedoch vorsichtig angehen, denn groß ist das Risiko des Ausrutschens und einer Schlammvollpackung. Man weiß oft gar nicht mehr, wo man überhaupt hintreten kann, ohne nicht gleich im Morast zu versinken. Einmal packt der Morast einen meiner Schuhe so, dass ich – im Sinne des Wortes – fast „aus dem Latschen“ kippe.

So bin ich recht froh, nach 41,5 km wohlbehalten den Verpflegungsposten Gramaialm-Hochleger (1.756 m) zu erreichen. Ein Ende hat der steile Abstieg aber noch längst nicht. Weiter geht es downhill auf nunmehr gerölligeren Pfaden gen Gramaier Grund. Die Natur um uns herum gewinnt wieder die Oberhand, die Wolken allerdings auch. Ein Wasserfall stürzt in mehreren Kaskaden neben dem Weg aus einer senkrechten Felswand. Doch nur schemenhaft kann ich dieses Spektakel erleben. Ich merke, wie meine Beinmuskeln mir den stetigen Bergablauf zunehmend übel nehmen. Aber es hilft nichts: Immer weiter geht es im Zickzackkurs hinab ins unsichtbare Tal.

 
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Doch allmählich wird der Weg weniger ausgesetzt, breiter und vor allem: er flacht ab. Es ist ein gutes Gefühl, wieder auf normalen Laufmodus umstellen zu können, auch wenn deutlich zu spüren ist, welchen Tribut vor allem das Bergablaufen fordert.

Die Gramaialm (1.263 m üNN) nach 44,5 km im Talgrund markiert endgültig den Abschied aus profiliertem Gelände. Die letzten, leicht abschüssigen Kilometer bis zum Ziel folgen wir dem Verlauf des Falzthurntals. Hier kann man es laufen lassen, vorausgesetzt, man ist läuferisch noch dazu in der Lage.

Harmlos schauen die weiten Wiesen aus, die wir zunächst queren müssen. Aber sie sind es nur aus der Ferne. Bei näherem Kontakt merkt man, dass sie durch den Regen zu einem einzigen großen Sumpf mutiert sind und das Hindurchstapfen erneut zur Schlammschlacht geriert. Nochmals ein wunderschönes Stück Landschaft dürfen wir wenig später parallel zu einem ausgetrockneten Flussbett erleben. Ein herrlicher Pfad führt durch einen lichten Bergwald. Davon hätte ich gerne noch mehr gehabt, aber schon geht es wieder in die wenig erbaulichen Sumpfwiesen. Doch auch damit ist schließlich Schluss.

Unser Pfad geht über in einen gut ausgebauten Wirtschaftsweg, dieser in ein schnurgerade durch Wald und Wiesen führendes asphaltiertes Sträßlein. So bequem es ist: Als Ausklang für einen Berglauf ist die Straße nicht unbedingt ein Hit. Aber hier zeigt sich, wer noch ausreichend „Körner“ hat, sich im Laufschritt durchzubeißen.

Durch die Außenbezirke Pertisaus führen uns die Wegweiser geradewegs ins Ortszentrum am Achensee. Immer mehr Zaungäste am Streckenrand feuern uns an. Und dann sind am Horizont schon die wehenden Fahnen und Zieleinlaufbögen zu erspähen. Fast schon Ironie ist, dass wir die  letzten Meter vor dem Zieleinlauf ein letztes Mal über Wiesenboden geleitet werden. Nur haben mehrere Hundert Läuferfüße auch diesen bereits zu Schlamm präpariert. Wer auch diese letzte Herausforderung meistert, wird im Ziel herzlich und persönlich vom Zielmoderator begrüßt. 

 
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52 km liegen hinter mir, vollgepackt mit Erlebnissen und Eindrücken. Und heuer mit viel, viel Wasser und Schlamm. Was soll's. Es war trotzdem ein tolles Lauferlebnis mit extrem hohem Wohlfühlfaktor. Das setzt sich im Ziel fort. Ein üppiges Zielbuffet wartet auf mich, heiße Duschen (zumindest wenn ich eine Frau wäre), ein großer, trockener Aufwärmraum im Stadl. Auf den Wiesen rund um das Ziel ist ein großer Biergarten aufgebaut und dort, wo der Zeltschirm schützt, sitzen die Leute auch dichtgedrängt bei Gegrilltem und Bier, Kaffee und Kuchen. Richtig zünftig ist es, wie man in Bayern sagt. Mir bleibt vor allem eine Erkenntnis: Hier komme ich gerne wieder her. Nur eine Bitte hätte ich an den Veranstalter: Bitte regelt das mal mit Petrus.

 

 

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