Gegen 13 Uhr bietet sich die Option, mein Aussteigen sogar in einem Fall sinnvoll zu nutzen und dadurch einer anderen Läuferin ihr Finish zu gewähren. Eva wurde gestern telefonisch von Didi überredet, heute nicht in ihrem eigenen Tempo die 85 km zu laufen sondern ihn als Guide zu führen.
Der stark sehbehinderte Didi Beiderbeck sucht jedes Wochenende Leute, die ihn bei Marathons oder Ultratrails führen und taucht manchmal auch unangemeldet am Start auf. Für ihn sind das Laufen und die Läufergemeinschaft von essenzieller Wichtigkeit. Manche einfachen Wege könnte er trotz seines Handicaps auch ohne Führung laufen, aber auf Trails, vor allem bei steilen Abstiegen, ist er auf einen Guide angewiesen. Da ich weiß, dass Didi beim K-UT an einigen Stellen sehr langsam voran kommt, warte ich auf Eva und ihn.
Tatsächlich erreichen sie die VP erst sieben Minuten vor Cut Off. Da auch Didi heute extrem Kreislaufprobleme hat, ist er froh, dass ich anbiete, ihn auf kürzestem Weg nach Reichweiler zu führen. Eva freut sich natürlich, dass sie auf diese Weise nun wieder eine Chance hat, das Ziel zu erreichen. Mit Didi müsste sie spätestens bei der nächsten VP wegen dem Zeitlimit aufhören. Tatsächlich schafft Eva es dann am Abend, die kompletten 85 km zu beenden. Als sie über die Ziellinie läuft, ist das ein schöner Ausgleich für meine Enttäuschung, denn nun hat mein DNF ihren Lauf „gerettet“.
Zusammen mit Didi laufe ich nun also auf der Marathon-Strecke nach Reichweiler. Laufen ist eigentlich nicht das richtige Wort, denn Didis Kreislauf leidet noch stärker als meiner, so dass wir sehr oft stehen bleiben müssen und dazwischen meist nur wandern. Schade, denn normalerweise liebe ich den Streckenabschnitt kurz vor Reichweiler sehr, da er sich in wildem Wechsel mal wieder recht heftig durch die Landschaft schlängelt.
Beim letzten Abstieg rast plötzlich ein Läufer mit extrem hohem Tempo auf uns zu. Es ist Rudi, der spätere Sieger. Unglaublich, wie schnell er nach so vielen Kilometern und bei dieser Hitze sogar noch kurz vor Ende des Rennens sausen kann!
Unten am Ortsrand verzichten Didi und ich auf die letzte kurze, aber anstrengende Schleife und spazieren direkt auf der Straße hinab zum Dorfgemeinschaftshaus. Da wir ja ohnehin auf keiner Finisherliste stehen werden, spielt diese Abkürzung keine Rolle. Die Lyonerpfanne als Zielverpflegung für die Ultradistanz schmeckt mir ausgesprochen gut. Heute gibt es auch eine riesige Auswahl an Kuchen und Torte. Unglaublich: für nur drei Euro bekomme ich zwei Stück Kuchen und einen Kaffee.
Später sitze ich stundenlang am Ziel in der Hitze und warte, bis meine vielen Lauffreunde eintreffen. Gegen 15 Uhr, also in der vollen Hitze des Nachmittags, findet auch ein 2,8 km Kinderlauf statt.
Mit fast einer Stunde Vorsprung wird Rudi Döhnert in 8:36 Stunden Deutscher Meister. Achim Zimmermann kommt nach 9:31 an, Lukas Pawlowski braucht 9:50. Schnellste Frau ist die erfolgsgewohnte Pamela Veith mit 10:27, gefolgt von Kim-Dania Schierhorn (11:24) und Gabi Kenkenberg (11:25).
In den Jahren zuvor waren bei der Siegerehrung fast alle Läufer anwesend. Dieses Mal sind um diese Zeit erst 41 Finisher von 189 Startern am Ziel angekommen.
Am Schluss erreichen 113 Teilnehmer das Ziel. Die letzten kommen gegen 22 Uhr an, als es oben im Wald schon dunkel ist. Um 19:12 Uhr war Cut Off bei km 72, also brauchten einige Läufer für die letzten 13 km fast drei Stunden.
Viele gute Läufer müssen heute aufgeben, darunter der Trans-Europa-Lauf –Finisher René Strosny, und Trail-Vizeweltmeister Florian Neuschwander.
Eric Tuerlings liebste Beschäftigung ist, den Teilnehmern die Medaillen um den Hals zu hängen. Mit jedem Finisher redet er ein paar Minuten lang, bis der nächste ankommt. Daher ist Eric heute am Ende sehr traurig darüber, dass wegen der hohen DNF-Zahl so viele Medaillen übrig bleiben.
Für Eric ist die Durchführung der Deutschen Meisterschaft die verdiente Belohnung für sein jahrelanges Bemühen um eine außergewöhnliche Trail-Strecke. Die Deutsche Ultramarathon Vereinigung konnte hier den Trail-Spezialisten unter den Läufern anspruchsvolle Wettkampfbedingungen bieten. Neben dieser Veranstaltung engagiert sich die DUV natürlich auch in vielen anderen Bereichen, z.B. mit Meisterschaften im 24 oder 12 Stunden Lauf, 100 km, dem DUV-Cup, aber auch z.B. mit einer äußerst umfangreichen Datenbank über jeden einzelnen Läufer und viele tausend Veranstaltungen auf der Homepage.
Inzwischen weiß ich, dass ich mich vermutlich zwei Tage vor dem K-UT zuhause mit einem Magen-Darm-Virus infizierte, der erst am Samstag in meinem von den ersten vier Laufstunden geschwächten Körper Wirkung zeigte. Der Rennabbruch war also die richtige Entscheidung.
Die Fahrt nach Reichweiler hat sich trotz DNF gelohnt. Ich hatte ein paar Stunden lang wieder viel Freude an dieser tollen Strecke und traf sehr viele Lauffreunde. Und irgendwann komme ich ganz bestimmt wieder auf diese „Lieblingsstrecke“ und erlebe dann auch sicher die restlichen 40 Kilometer. K-UT muss sein!
Zum Schluss noch ein paar Tipps für Läufer, die wie ich gerne Wettkämpfe mit touristischem Rahmenprogramm kombinieren: Von Reichweiler nach Idar-Oberstein mit dem äußerst sehenswerten Deutschen Edelstein-Museum sind es 32 km, zur Römer-Stadt Trier 76 km und 29 km zum wunderschönen Wildpark Potzberg mit einer sehenswerten Greifvogel-Flugschau.