Vor zwei Wochen fragte mich Klaus Peter vor dem Start in Bad Waldsee, ob ich am Sonntag dieses Wochenendes auch an Uwes Einladungsmarathon teilnehmen werde. „Nein, denn den Sonntag habe ich der Familie versprochen und am Samstag werde ich den Keufelskopf Ultratrail laufen“, gab ich ihm zur Antwort. „Auch wenn du den Sonntag nicht der Familie versprochen hättest, nach dem KUT würdest du am nächsten Tag auch keinen Marathon laufen wollen“, meinte er daraufhin. Das sagte der, der kurz danach einen Läufer als Greenhorn bezeichnete, den der Platzsprecher besonders erwähnte, weil er an diesem Tag seinen 239. Marathon lief.
Ich bin auf alles gefasst. Die Strecke besteht aus zwei verschiedenen Schleifen mit dem Keufelskopf als Mittelpunkt. Und wo liegt diese Erhebung mit dem seltsamen Namen? Dank früherer marathonistisch-geografischer Bildungsreisen zum Bärenfels und nach St. Wendel weiß ich, in welche Richtung ich fahren muss. Was sich mir nicht erschließt, ist die Herkunft der Bezeichnung der Erhebungen im Pfälzer Bergland. Wieso heißen die Preußische Berge? Meine Kurzrecherche im Internet hat nichts ergeben und meine Bemühungen, nach der Ankunft im Zeltlager beim Sportheim des SV Reichweilers einen Eingeborenen dazu zu befragen, fruchten nichts. Der Einzige, der mir Auskunft geben könnte, ist Joe. Er hat sich kurzfristig in einer Bierlaune auch angemeldet und gibt mir leicht triumphierend zu verstehen, dass er dieses Wissen besitzt aber nicht gewillt ist, es jetzt schon mit mir zu teilen. Ich werde es also, wie alle anderen, in seinem Bericht nachlesen müssen. Er ist halt die historische Instanz unter uns Schreiberlingen und nebst Radiomoderator Sascha Zeus vermutlich der einzige Träger des Schwarzen Gurtes in Geschichte. (Weil der über den Bauch etwas spannt, tun ein paar Ultra-Kilometer auch ganz gut.)
Vorabend
Im Basislager im und um das Sportheim herum tummeln sich am Vorabend wieder zahlreiche bekannte Gesichter. Bei flüssiger und fester Nahrung kann an Gespräche angeknüpft werden, für welche der letzte Marathon oder Ultralauf zu kurz war, Abenteuergeschichten von wenig bekannten Veranstaltungen machen die Runden – kurzum, es herrscht die familiäre Stimmung, welche solchen kleinen, unkommerziellen Anlässen das besondere Flair verleihen. So sehr, dass ich den Wecker etwas früher als geplant stellen muss, denn beim Rückzug an meinen Schlafplatz im Auto mag ich meinen Rucksack nicht mehr packen.
Zum Glück ist die Qualität des Schlafs in umgekehrter Proportionalität zur Quantität, somit ist das Aufstehen um 04.30 Uhr nur eine kurze mentale Problemepisode. Dagegen hilft der dampfende Kaffee im Sportheim. Wer will, kann die Speicher noch mit einem Käse- und Wurstbrot-Frühstück füllen. Alles zu einem Freundschaftspreis.
Start
Zehn Minuten vor dem Start um 06.00 Uhr ruft Eric Tuerlings zum Briefing. Ihm ist dieser Lauf zu verdanken. Vor zwei Jahren war es ein Einladungslauf anlässlich seines Geburtstags, seither ist es eine offizielle Laufveranstaltung mit zunehmender Teilnehmerzahl und Höhenmetern. Was das genau heißt, ist mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Wenn ein Niederländer in den Preußischen Bergen einen Trail mit über 3000 Höhenmetern veranstaltet, dann wird es eine zünftige Mischung geben. Drill, Spitzhaube und Exerzieren; da wird etwas auf uns zukommen, zumal gemäß dem Ideal der preußischen Disziplin ein Offizier der Meister seiner Affekte sein solle.
Pünktlich schickt uns Eric auf die Strecke. Habe ich ein hämisches Grinsen an seinen Mundwinkeln gesehen? Niemand lässt sich hetzen, ganz gesittet setzt sich die Meute in Bewegung und kommt umgehend in den Genuss einer Eigenheit dieses Ultratrails. Es gibt kein Geradeaus. Der Weg entlang des Weihers bietet sich als Umweg zum Bahndamm an. Dort ist geduldiges Warten angesagt, bis alle über den Damm gekraxelt sind und das Geleis der Ostertalbahn überquert ist. Um diese Zeit wird hoffentlich kein Museumszug fahren. In einer großen Schleife werden wir an die zweite Bahntrasse geführt, die der Westrichbahn. Ein Blick von der Brücke herab zeigt aber, dass dort, wo einst ein Gleisbett war, heute ein Radweg ist. Statt Drahteseln bewegen sich dort zu dieser frühen Morgenstunde drahtige Ultraläufer. Wie kommen die dorthin? Ganz einfach, gleich nach der Brücke auf der schiefen Ebene des Bordes herunterstechen, den Halt nicht verlieren und den Kopf unter dem Baumstamm gut einziehen. Wenn das so weitergeht, dann kann ich mich auf etwas gefasst machen.
Erste Schleife
Vorerst gibt es noch etwas Komfort. Im Tunnel schaltet ein Bewegungsmelder sogar das Licht an. Wenig später kommt eine Reminiszenz an den Swissalpine. Die Brücke bei Oberkirchen erinnert in seiner Bauweise an den Wiesener Viadukt – mit dem Unterschied, dass er uns Läufern allein gehört. Eigentlich gehört uns ab hier alles, nur weiß ich nicht, wo ich mich befinde.