In steter, wieder wechselnder Begleitung geht es weiter. Von zwei kurzen Berührungen bewohnter Gebiete abgesehen, laufen wir irgendwo draußen in der Natur – und gehen immer häufiger. Gespräche und später die verschiedenen Ausblicke auf die Burg Lichtenberg lenken ab. Die Kilometer werden deswegen nicht kürzer aber weniger heftig. Und immer noch lerne ich dazu. Beim Bottwartal-Marathon lernte ich das erste Mal eine Burg Lichtenberg kennen, heute gibt es eine neue Silhouette dieses Namens kennenzulernen.
Kilometer 70 sehne ich herbei, denn ich brauche dringend Wassernachschub. In Anbetracht des steilen Aufstiegs unmittelbar danach lasse ich mir Zeit zu geruhsamer Verpflegung. Der Rucksack ist noch gut gefüllt und die angebotenen Camping-Hocker laden zum Rasten ein. Ich habe die Ahnung, dass ich es brauchen würde und investiere ordentlich Zeit in diesen ausgedehnten Halt.
Das Bauchgefühl täuscht mich nicht. Was jetzt kommt, hat mit Sonntagsspaziergang so viel zu tun wie Hard Rock mit den Wiener Sängerknaben. Deshalb und weil ich jetzt alleine laufe, überlege ich mir, ob ich mich verkabeln und verstöpseln und mit dem passenden Sound im Gehörgang in Angriff nehmen soll. Einerseits würde es mich antreiben, andererseits gefällt mir das ungestörte Zusammenspiel von Sehen, Spüren, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken (Letzteres vor allem salzig) beim Laufen, also lass ich es bleiben. Ich spüre das Vibrieren der Muskelfasern, das bei jedem weiteren Abstieg ganze Fasern in Schwingung versetzt, das ich im Kopf als Brummen höre.
Alles um mich herum kommt mir gleichzeitig bekannt und fremd vor. Kein Wunder, ist doch jeder Punkt des Laufes mit dem Auto in zehn Minuten von Reichweiler aus zu erreichen. Von einer Anhöhe aus gibt es einen schönen Blick übers Land. Ein Glück, dass ich nicht dem großen dicken Flatterband folge, das dort träge im Wind hängt. Es hat zwar die gleiche Färbung wie die bisherigen, ist aber als Windsack für die Drachenflieger bestimmt, welche hier ihre Startrampe haben.
Wie wenn das Auf und Ab und die ungezählten Richtungswechsel nicht reichen würden, kommt jetzt über lange Strecken das seitliche Gefälle des Trampelpfades hinzu. Auf die Höhenmeter dazugerechnet, kämen wir damit sicher auf 4000Hm. Als Kompensation gibt es dafür auf zu belaufenden Mountainbike-Trails ausgebaute Steilwandkurven, die ein Quäntchen Kraft sparen helfen.
Die Zivilisation und ein Ortsschild Reichweilers im Blickfeld heißt noch lange nicht, dass ich es bald geschafft hätte. Es gibt noch ein paar gemeine Einlagen zu meistern. An einem besonders steilen Wegstück zieht sich ein Läufer vor mir am angebrachten Hilfsseil den Hang hoch und fragt sich laut, wie übel Erics Kindheit wohl gewesen sei, dass er darauf kommt, sich solche Gemeinheiten auszudenken. Und was lief bei uns schief, die wir uns freiwillig auf solche Bosheiten einlassen und Spaß dabei haben?
Geschafft!
Irgendwann gibt es in Reichweiler keine Ecke mehr, um die wir nicht schon mal gekommen sind. Somit bleibt die letzte Gerade zum Sportheim. Als Vierergruppe überqueren wir die Ziellinie und beglückwünschen uns, dass wir diesen keuflischen Höllenritt geschafft haben.
Der erste Getränkegutschein auf der Startnummer wird gleich in ein Bleifreies umgesetzt. Der nächste Wunsch ist eine warme Dusche. Es dauert seine Zeit, bis ich den Dreck von den Beinen und Füßen abgeschrubbt habe, immerhin geht er weg. Den Muskelkater kann ich nicht einfach so wegspülen. Der wird mich – das kann ich zu diesem Zeitpunkt mit Sicherheit sagen – in den kommenden Tagen länger als gewohnt begleiten.
Bis zur Siegerehrung bleibt noch genügend Zeit, die leckere Zielverpflegung, pikant gewürzte Lyonerpfanne, zu genießen und darüber zu lachen, dass der Eric mit der Streckenauswahl und ihren liebenswürdigen Gemeinheiten einen Ultratrail geschaffen hat, der zum Härtesten gehört, was mir bisher unter die Trailschuhe gekommen ist.
Diese waren wieder ein Glücksgriff: Heute zum ersten Mal getragen; keine Blasen, keine Scheurer- oder Druckstellen – so macht das Testen Spaß. Trotz diesen guten Voraussetzungen mit dem Material sind die zwei Qualifikationspunkte für den UTMB, welche für den KUT vergeben werden, hart verdient. Solche „Zweier“ habe ich schon bedeutend lockerer eingestrichen…
Aber: Wenn Eric „Trail“ sagt, dann meint er nicht Kindergeburtstag!