Wie könnte ein Marathon auch anders sein - dort, wo der Märchenkönig seine Schlösser baute!
Aufgewachsen ist König Ludwig II. mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Otto auf Schloss Hohenschwangau in der Nähe von Füssen. Die Landschaft mit sanften Hügeln, steilen Bergen und idyllischen Seen hatte es dem Schöngeist angetan. Und als es darum ging, sich sein Traumschloss zu bauen, fiel ihm kein geeigneterer Platz ein, als der Hügel gegenüber seiner „Kinderstube“, wo zu der Zeit die Ruinen von zwei mittelalterlichen Burgen standen.
Kein Mensch konnte ahnen, dass Schloss Neuschwanstein einmal zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten Deutschlands avancieren würde. Vor allem diejenigen nicht, die den König wegen seiner Schuldenmacherei entmündigen und, wie viele Königstreuen in Bayern heute noch glauben, umbringen ließen.
Heute sind die Königsschlösser Neuschwanstein, Linderhof und Herrenchiemsee das Touristenmagnet schlechthin. Alleine Schloss Neuschwanstein besuchen täglich 10.000 Menschen aus aller Welt und bringen über 100.000 Euro in die Kassen der Bayerischen Schlösserverwaltung. Es lebe der „Kini“.
Der Ansturm auf den Königsschlösser-Romantikmarathon ist dagegen recht bescheiden. Obwohl rund 1100 Teilnehmer, davon 611 (Finisher) alleine beim Marathon, heutzutage eine stolze Zahl sind. „Aber so an die tausend hätten wir doch ganz gerne“, wiegt Rena Hieber vom Sport Studio als Veranstalterin ab. Vielleicht nächstes Jahr, wenn es dann wieder einen Sommer gibt. Heuer ist es eher herbstlich, die Temperaturen tagsüber knapp zweistellig. Es regnet und in den Bergen gibt es Neuschnee. Wer nicht schon angemeldet ist, bleibt da lieber zu Hause und schimpft über die Hitze, wenn demnächst wieder mal die Sonne scheint.
Die Eventarena ist ein großes Festzelt auf dem Parkplatz in der Kemptener Straße, direkt am Eingang zur Altstadt, die überragt wird vom Hohen Schloss, eine der am besten erhaltenen mittelalterlichen Burganlagen in Bayern.
Kinder- und Jugendläufe, Halbmarathon und 10er finden am Samstag statt. Der Sonntag gehört den Marathonis und ein paar Staffelläufern. Alles drängt ins Zelt, keiner will zum nur einen Steinwurf entfernten Startplatz. Der Regen ist von der Sorte, der nicht aufhören will. Wenn es richtig schüttet, weiß man, das geht vorbei. Aber wenn es so vor sich hin regnet? Ich beobachte einen Läufer, der sich zweimal umzieht. Erst kurz, dann lang, dann wieder kurz. Geblieben ist es bei Regenjacke und Mütze. Man erzählt sich, wie es letztes Jahr war, als die Strecke an ein paar Stellen unter Wasser stand.
Wider Erwarten lässt der Regen nach. Langsam macht man sich auf den Weg. Die Zeit bis zum Start haben Alice Übele und Martin Pulver gut genutzt. Sie kommen gerade mit Bürgermeister Paul Iacob (Markenzeichen: Fliege) vom Standesamt. Logisch, dass sie sich beim Laufen kennengelernt haben. Den Heiratsantrag hat Paul seiner Alice in Athen gemacht – letztes Jahr beim großen Marathon-Jubiläum. Ja, dann: Viel Glück!
Das wünsche ich auch Marco Diehl, dem Seriensieger. Der klappert vor Kälte und hat gar kein gutes Gefühl. Wigald Boning ist da besser dran. Sein sonst eher schrilles Outfit ist heute wetterbedingt bis auf den Hut eher unauffällig, was man von Martin „Magic“ Schöll’s traditionellem Rautendress nicht sagen kann.
Viel von der Stadt sehen wir nicht. Gleich nach dem Start (um 7.30 Uhr!) geht es auf kürzestem Weg in Richtung Hopfensee. Dass die Straße leicht ansteigt, merkt kaum jemand. Jeder ist froh, dass er sich bewegen kann und die Kälte aus den Knochen kriegt. Umdrehen tut sich auch keiner. Deshalb bleibt ihnen der Säuling (2047 m), einer der schönsten Aussichtsberge im Voralpenland, zunächst verborgen. Bis auf das letzte Stück ist der Berg leicht zu besteigen. Der Blick, vor allem auf die Schlösser und Seen, ist atemberaubend. Bei klarem Wetter soll man die Münchner Frauenkirche sehen können.
Nach gut drei Kilometern verlassen wir den entlang der Verkehrsstraße führenden Radweg und laufen auf Schotterwegen durch typisches Allgäuer Hügelland, ohne dass sich uns auch nur einmal eine nennenswerte Steigung entgegen stellt. Dabei haben wir immer einen wunderbaren Blick auf die Berge, soweit sie die tiefliegenden Regenwolken freigeben. Ab und zu muss man allerdings schauen, wo man hintritt. Sonst holt man sich in einer der vielen tiefen Pfützen nasse Füße, sofern man noch trockene hat.
Was sonst noch auffällt? Alle Marathonis sind mit einem Lächeln unterwegs. Eine Läuferin frage ich, warum sie bei dem Scheißwetter so gut drauf ist. Sie versteht mich zunächst nicht. Sie kommt aus Norwegen, dort würde es jeden Tag regnen. Das sei schon in Ordnung. Eine kleine Gruppe um mich rum kommt aus Finnland, Julie aus den USA, Jennifer aus Kanada und Ayanda aus Südafrika. Bei keinem Lauf in dieser Größenordnung sind mehr Nationen am Start und ist der Anteil ausländischer Sportler größer als hier. Das behaupte ich. Fast wage ich es nicht, noch einmal jemand auf Deutsch anzusprechen.