Es ist jetzt nicht mehr weit bis zur Schutzhütte am Fuße des Gipfels des Pico Ruivo. 45,4 km sind geschafft, 3.371 hm Aufstieg und 1.647 hm Abstieg. Knapp mehr als die Hälfte.
Ich bin mit mir im Reinen. Ich weiß jetzt, dass ich das Rennen beenden kann. Mit einem Kaffee sitze ich draußen vor der Hütte in der Sonne und genieße. Herrlich, ein herrlicher Tag. Was kann es Schöneres geben als beim MIUT in strahlender Sonne am Pico Ruivo zu sitzen und einen leckeren Kaffee zu trinken?
Noch rasch eine SMS an Doris, damit sie weiß, wo ich gerade bin: Auf dem schönsten Teil der Strecke. Schon im Jahr letzten war der Abschnitt zwischen dem Pico Ruivo und dem Pico Areeiro der Höhepunkt des Laufes. So ist es auch diesmal, auch bei umgekehrter Laufrichtung. Die Sonne bleibt und ich kann die Szenerie genießen.
Es geht Auf und Ab. Der Pfad ist auf sehr exponiert. Über weite Strecken geht es tief hinunter. Hier wäre ein schöner freier Fall möglich. Aber nur ruhig Blut. Der Pfad ist gut gesichert. Aber klar ist auch, hier muss man trittsicher und schwindelfrei sein. Alpine Erfahrung ist von Vorteil.
Ich kann kaum genug bekommen von der Landschaft. Meine Kräfte kommen langsam wieder. Das merke ich an den vielen hohen Stufen, die es zu bewältigen gilt.
Nach einem Tunnel steht ein wahrlich imposanter Schlussanstieg zum Pico Areeiro an. Die markante Radarkuppel auf dem Gipfel kann man schon aus einiger Entfernung sehen.
Viele Wanderer kommen uns entgegen. Alle treten bereitwillig zur Seite und lassen die Läufer passieren. Und es gibt Aufmunterung. Ich kämpfe Stufe um Stufe, Meter um Meter. Und dann liegen sie vor mir. Der imposante Treppenaufstieg über eine Kuppe und der schön ausgepflasterte Treppenaufstieg zum Gipfel. Ich kann mich gar nicht genug umsehen und das Panorama aufsaugen.
Meine Müdigkeit vom Aufstieg zum Ruivo ist verflogen. Ich bin geradezu euphorisiert. Km 50 liegt hinter mir, auf dem Gipfel wird wieder die Startnummer notiert und es geht hinab. Vorbei am Startpunkt des letztjährigen 55er. Ein Blick auf meine Pulsuhr zeigt mir, dass ich schon gut 300 hm seit dem Areeiro verloren habe. Ist richtig anstrengend dieses steile Bergab. Aber da gibt es ja die Gegenanstiege.
Dann führt uns die Strecke weiter nach unten. CP5 wird am Chao Areeiro erreicht. Hier ist wieder eine Verpflegungsstelle. Das heißt für mich, Cola und Kuchen, Feigen und Käsestückchen. Finde ich Klasse. Auch das Brot schmeckt sehr gut. An der Verpflegung gibt es nicht auszusetzen. Die ist richtig gut.
Ich hole meinen hier deponierten Kleiderbeutel und ziehe mir frische Socken und Shirts an. Dann geht es rasch weiter, denn beim nächsten CP in Poiso ist um 15.30 Uhr das zweite Zeitlimit einzuhalten.
Der Weg führt weiter abwärts. Längere Zeit laufe ich an einer kleinen Levada entlang. Hier muss ich sehr aufpassen, ein richtiger Weg sieht anders aus. Aber wir sind ja Trailrunner.
Ich erreiche Poiso 5 Minuten vor dem Zeitlimit und stoppe nur kurz, um den Chip auszulösen. Noch ein Stückchen Käse vom Buffet und weiter geht’s. Ein Nadelwald nimmt mich auf. Ich finde es faszinierend, welche ungeheure Vielfalt an Landschaft und Vegetation Madeira und damit auch der Kurs des MIUT aufweisen.
Die Wolken sind zurück. Trotz der nunmehr schlechteren Sicht ist ein Verlaufen kaum möglich. Die Strecke ist bestens ausgeschildert und markiert. Es flattern unzählige Fähnchen an Bäumen und Sträuchern, Markierungen sind in grüner Farbe auf dem Boden angebracht und Hinweistafeln weisen den Weg. Dazu die vielen Posten an jeder Straßenquerung und Trennung von 85ern und 115ern und als Kontrollposten an der Strecke.
Trotzdem wäre ich zweimal falsch gelaufen. Wer sehen kann, ist im Vorteil. Gottlob kann ich besser hören als sehen und die Warnrufe wahrnehmen und bin wieder auf den richtigen Kurs zurück.
Teilweise führt uns die Strecke durch Baumheide und Farn. Natürlich kommt auch wieder eine Levada, die uns abwärts nach Lamaceiros führt. Oft sind diese Wege im Schatten und zumeist ohne größere Höhenunterschiede.