Wir müssen ständig kürzere Abschnitte aufwärts laufen. Statt des abgebrannten Hochwaldes sind nun Strauchgerippe und später hohe Baumheide an der Strecke. Diese ist im Übrigen bestens präpariert und auch markiert.
Hinunter nach Ribeiro Frio lacht das Herz des Trailläufers. Abwärts wird richtig was geboten. Es ist lange steil, dazu vielfach matschig. Ich sehe einige Läufer stürzen, lasse aber stets die Kamera dezent weg. Einmal legt sich eine lila Schönheit direkt vor mir hin. Ich bin sprachlos. Es passiert halt nicht so oft, dass sich schöne Frauen mir zu Füßen werfen. Ihr ist aber wie den anderen nichts passiert und sie läuft direkt weiter.
Ich auch, als ich später einmal gaaanz langsam zu Boden sinke und auf dem Allerwertesten lande. Der Weg hinunter nach Ribeiro Frio zieht sich. Ein Steilstück folgt dem anderen. Der Wald wechselt, was die Baumarten anbetrifft. Mal ist es Lorbeer, mal Eukalyptus. Dann duftet der ganze Wald danach.
Immer wieder halten einzelne langsamere vorsichtige Läufer schnellere auf. Aber immer nur kurz. Ich habe längst fast jede Zurückhaltung abgelegt und lasse es runter krachen. Aber es tut weh und erfordert höchste Konzentration. Ich will aber die Lila Läuferin vor mir nicht abhauen lassen. Die saust hinunter, das ist eine wahre Pracht.
Aber irgenwann ist auch diese wilde Hatz nach unten zu Ende und ein breiter Wanderweg entlang einer Levada nimmt uns auf. Ich erkenne ihn wieder. Es ist die kurze Levadawanderung von Ribeiro Frio zu den Balcoes, einem Aussichtspunkt mit tollem Blick auf die hohen Berge im Inneren Madeiras. Jetzt ist Ribeiro Frio nicht mehr weit.
In Ribeiro Frio lasse ich die Restaurants zu beiden Seiten der Straße ebenso wie die Anlagen der Forellenzucht unbeachtet. Auch am CP laufe ich vorbei. Ich bin mit meinem Trinkrucksack als Selbstversorger unterwegs. Später werde ich mir Cola genehmigen, aber das ist mir noch zu früh. Wir haben ja erst gut 14 Km hinter uns.
Dafür aber einen knackigen Aufstieg vor uns. Es geht auf typischen alten Wegen nach oben. Der Weg ist aus tausenden runden Steinen gemacht. Die Stufen sind aufwärts sehr angenehm, in der Gegenrichtung, wie ich aus Erfahrung weiß, aber nicht. Neben dem Weg führt eine steinerne Levadatreppe Wasser abwärts nach Ribeiro Frio.
Endlich hat der Weg ein Ende. Wir kommen auf eine Hochebene, nach deren Querung führt die Strecke wieder lange Zeit ordentlich hinauf. Der Weg ist nun nicht mehr mit runden, sondern mit kantigen Steinen gepflastert und ohne Stufen. Die Plackerei wird dadurch aber nicht geringer.
Die 3,6 Km von Ribeiro Frio nach Poiso haben es in sich. Die Steigung auf dem nur 3,6 Km langen Stück ist nicht ohne. Ich lasse auch die Labung am CP in Poiso aus und düse direkt weiter.
Teilweise führt die Strecke durch meterhohe Baumheide. Einmal laufen wir mitten durch eine Schafherde. Die Tiere lassen sich aber von den Zweibeinern beim Grasen nicht stören. Oftmals bieten sich uns tolle Weitblicke. Zurück ist immer noch die Radarkuppel auf dem Areeiro zu sehen, zur Seite liegt Faial mit dem beeindruckenden Adlerfelsen und voraus ist die Halbinsel Sao Lourenco zu sehen.
Der nächste Hammerabwärtstrip steht an. Aus der Baumheide wechseln wir auf eine breite, neu angelegte Waldpiste. Neu heißt , sie ist vor vor allem noch sehr holprig. Da gibt es für mich nur eine Vorgehensweise: Ich setze dem Ganzen durch brutales Abwärtslaufen in gerade noch vertretbarem Tempo eine enge zeitliche Verweildauer. Ich will mich hier nicht zu lange aufhalten.
Ich will nach Portela. Vorher gilt es jedoch die blöde Waldpiste zu bewältigen. Aber die verlassen wir auch irgendwann, um neben einer Levada in Richtung altes Forsthaus Lamaceiros zu laufen. Der Weg an der Levada bis hinunter nach Portela ist mir von meinen diesjährigen Wanderungen bekannt. Das beflügelt mich und ich drossele keinesfalls mein Tempo.
Es macht aber auch unverändert einen Riesenspaß, hier zu laufen. Die Strecke bietet vielfältige Abwechslungen und das Wetter spielt weiter mit. Spaß macht mir sogar das Abwärtslaufen entlang der Levadas auf den Holzstufen. Ich trete einfach auf die Balken drauf und nehme dann den nächsten Balken der nächsten Stufe ins Visier. Und so geht das bis nach Portela.
Jetzt aber ist Pause angesagt. Eine Treppenanlage müssen wir noch runter, noch einmal über die Straße und hinein ins Gebäude. Und schon ist die Labe vor uns. Alles, was das Herz begehrt. Ich greife jede Menge Feigen ab und will mir eine Suppe holen. Und wer serviert mir die Suppe? Es ist Rodrigo, Student der Touristik aus Funchal. Ihm hatte ich am Mittwoch bei der Startnummernausgabe gerne einen Fragebogen für eine Studienarbeit ausgefüllt. Man sieht sich immer zweimal.
Nach einigen Minuten Pause verlasse ich das gastliche Gemäuer und laufe auf einer breiten Piste, gut bestückt mit tiefen Pfützen, die man aber gut umlaufen kann.
Die Pause hat mit gut getan. Zwei Drittel der Strecke sind fast rum und ich laufe. Im Gegensatz zu vielen anderen, die bereits im Gehen/Laufen-Modus sind. Das geht auch so weiter, als wir die breite Piste verlassen und auf einen schmalen Waldpfad wechseln. Einfach herrlich hier zu laufen. Ein Läufer dreht sich um sagt völlig zutreffend: „Das ist Trail!“ Recht hat er. Im Wald, zumeist Lorbeerwald, stehen auch etliche hohe Baumfarne. Sehr beeindruckend.
Es wird wieder sehr steil und auch matschig. Man muss höllisch aufpassen. Dieser Abschnitt erfordert noch einmal höchste Konzentration. Gut, dass ich mich in Portela für diese Herausforderung gestärkt habe. Ab und an gibt der Wald den Blick frei zur beeindruckenden, steil abfallenden Nordküste. Auch unser Weg von Larano zur Boca do Risco ist zu sehen.
In Larano ist wieder ein CP. Und wieder bleibe ich hier bei Feigen und Cola sitzen. Nach vier Bechern Cola laufe ich weiter. Becher müssen übrigens selbst mitgeführt werden. Sehr umweltfreundlich, gefällt mir.
Der Rest der Strecke ist mir bestens bekannt, bin ich am Mittwoch doch genau hier gewandert. Eine breite Piste bildet die Ouvertüre, allerdings nicht lange. Die Piste wird zum Pfad, der sich an der rauhen Steilküste entlang schlängelt. Es geht im Prinzip auf einer Höhe bis zur Boca do Risco. Allerdings sind immer wieder mehrere Meter Steigung zu bewältigen.
Ich bleibe aber im Laufschritt. Mein Zustand ist mit dem in Ferrara vor 5 Wochen nicht vergleichbar. Eine Gehpause brauche ich heute nicht. Weite Teile des atemberaubenden Abschnitts an der Steilküste laufe ich alleine. Mit seiner Ausgesetzheit erinnert mich dieser Streckenteil an den Abschnitt zwischen Pico Ruivo und Pico Areeiro im Hochgebirge.
Besonders exponierte Stellen sind mit seitlichen Absperrungen und Drahtseil gesichert. Ich bin ganz begeistert, ein wahrlich beeindruckender Streckenteil. Und in der Ferne wird uns sogar der Blick auf Madeiras benachbarte Badeinsel Porto Santo geboten.
Da taucht Boca do Risco vor uns auf und hinunter geht es nach Ribeira Seica. Nach nicht allzu langer Abwärtspassage stoßen wir auf die Levada do Canical und folgen ihr nunmehr ohne Auf- und Ab, dafür aber wieder in voller Sonne. Ich tauche meine Kappe mehrfach in das Wasser der Levada, um mir Kühlung zu verschaffen.
Kurz vor dem CP Ribeira Seica werden wir von der Levada zu meinem Schrecken geradewegs nach oben weggeführt. Aber die Passage und der Schrecken sind nur kurz. Am CP stoppe ich kurz zur Cola-Aufnahme und dann geht es auf einer Straße 200m hinunter und links der Straße entlang der Levada weiter.
Vor uns liegt Machico. Aber wir haben nach dem CP Ribeira Seica noch gut 4 Km zu laufen. Ich staune immer wieder, wie viele und welch lange Biegungen so eine Levada hat. An denen geht es immer entlang, und das in der prallen Sonne. Die gibt, so wie wir, alles.
Aber endlich ist vor dem alten Straßentunnel nach Canical an einem Wasserhäuschen das Ende des Wasserlaufs erreicht und wir queren die Straße, um ein Stück weiter abwärts entlang einer weiteren Levada zu laufen. Bis zu deren Ende. Jetzt heißt es einen letzten steilen Abstieg über eine Wiese zu bewältigen. Der Laufweg ist bestens präpariert, sprich frisch gemäht.
Ein Stück Straße noch abwärts und eine Treppenanlage hinab und wir sind am Strand von Machico. Hier ist richtig was los. Zuschauer sitzen auf der Strandmauer und auf Bänken und feuern die Läufer an.
Beschwingt laufe ich die letzten Meter ins Ziel. Nach 7:10 Std. ist dieser Trailgenuss über 43 Km auf Madeira für mich zu Ende. Im Ziel gibt es Wasser - über meinen Kopf. Denn der braucht dringend Kühlung.
Ich treffe noch Pedro und Nuno und bedanke mich für den wunderschönen Trail. Und verspreche wieder zu kommen, um dann hoffentlich den MIUT 115 laufen zu können.
Nach einer Dusche im 100m entfernten Hotel lasse ich mir gegrillte Tintenfische mit Süßkartoffeln in Honig schmecken. Dabei sehe ich immer wieder Läufer vom Ziel am Strand am Hotelrestaurant vorbei gehen. Darunter sind auch welche mit roter Startnummer. Das sind die 115er. Respekt. Wer diese Strecke in 20 Stunden schafft, ist ein Meister seines Fachs. Der Sieger Zach Miller hat für die 116 Km des MIUT 115 weniger als 14 Stunden benötigt. Das ist für Normalläufer außer jeder Reichweite.
Nach dem Abendessen gehe ich noch einmal zum Ziel und sehe weitere 115er, aber auch Marathonis einlaufen. Bis 22 Uhr haben die Marathonis noch Zeit. Die 115er bis zum nächsten Morgen. Ich hole noch mein Finishergeschenk. Es gibt Ärmlinge.
Nach der Siegerehrung am Sonntag gibt es zum Abschluss der Veranstaltung für alle Teilnehmer einen gemeinsamen Cocktail mit Imbiss. Kuchen und Käsehäppchen sind genau die richtige Grundlage für meinen geliebten Madeirawein.
Ein Klasse-Trail. Beeindruckende, abwechslungsreiche Strecke. Perfekt organisiert. Teilnahme sehr empfohlen. Der Kurs ist eine echte Herausforderung. Optimal mit einem Urlaub zu kombinieren.
Adeus!
Männer
Trail 115 Zach Miller 13.52 Std.
Trail 85 Damian Douvry 10.21 Std.
Trail 42 Francisco Freitas 3.51 Std.
Frauen
Trail 115 Caroline Chaverot 14.34 Std.
Trail 85 Magali Gigon 13.06 Std.
Trail 42 Amandine Ferrato 4.02 Std.