Zuerst geht es durch die Straßen aus der Stadt hinaus, am Centre Sportif vorbei, wo an einer Häuserecke vorbei ein Engpass ist, an welchem erstmals die Zeit gemessen wird. Nach diesem Flaschenhals geht es über einen beliebig breiten Wiesenweg in bewaldetes Gebiet am Talgrund, teilweise der Arve entlang, mit gut zu belaufender Naturstraße. Das Feld ich dicht beisammen und nach sechs Kilometern gibt es vor Le Lavancher nochmals ein Nadelöhr, an welchem es einen Moment lang keinen Zentimeter vorwärtsgeht. Den einen oder anderen Sportskameraden hindert dieser Stau aber nicht daran, sich an den geduldig aufs Weitergehen Wartenden vorbeizudrücken.
Nach einem weiteren Anstieg in einem typischen alpinen Wald geht es nach Argentière, wo nach zehn Kilometer eine erste Getränkestation aufgebaut ist und eine schräge Combo jazzige Töne mit auf den weiteren Weg gibt. Zwischen den paar Häusern, wie schon vorher an verschiedenen Punkten entlang der Strecke, sind Gruppen von Zuschauern, welche die Läufer anfeuern und dabei viel Respekt zum Ausdruck bringen. Nach einem weiteren Anstieg geht es hinunter nach Montroc, auf einen Teil der Strecke, den wir heute nochmals unter die Sohlen bekommen.
Mittlerweile ist die Sonne bis weit ins Tal hinunter vorgedrungen und erstmals treten wir aus dem Morgenschatten hinaus auf die Rundbogenbrücke. Auf der anderen Seite sind auch wieder Scharen von Zuschauern mit ihren Bravo-Rufen und Transparenten, die ich schon am Anfang des Laufs gesehen habe. Sehr viele Angehörige reisen mit und unterstützen ihre Läufer immer wieder entlang des Kurses.
Wo die Eisenbahn in den Berg hinein- und unter dem Col des Montets hindurchgeführt wird, führt unser Weg über das Tunnelportal und hoch zum Pass. Dort betreten wir das Naturreservat „Aiguilles Rouges“, das nach den nadelförmigen Bergspitzen aus rotem Granit benannt ist, welche sich von hier das Tal hinunter bis nach Chamonix auf der rechten, dem Mont Blanc gegenüberliegenden Seite entlangziehen. Wer sich mit der alpinen Flora beschäftigen will, kann dies auf diesem Weg tun, denn es sind zahlreiche Schilder bei den verschiedenen Pflanzen angebracht, die einen über die Namen dieser Schönheiten aufklären.
Von der Passhöhe nach Vallorcine sind es knapp vier Kilometer und 200 negative Höhenmeter, also ideales Gefälle, um es rollen zu lassen. Kurz vor dem Verpflegungsposten verlassen wir den Schatten und können uns beim Verweilen am reichhaltigen Buffet von den Sonnenstrahlen kitzeln lassen. Riegel, Bananen, Orangen, Salami, Brot, Käse, Trockenfrüchte, Cola, Iso, Wasser – für jeden ist etwas dabei. Es empfiehlt sich zuzugreifen, denn kaum 200 Meter später beginnt der nahrhafte Aufstieg zum Col des Posettes.
Nach einem kurzen, steilen Stück über eine Wiese geht es im Wald nicht weniger steil weiter. Das Feld ist im Gänsemarsch aufgereiht, was es nicht einfach macht, das eigene Tempo zu gehen – laufen ist an dieser Steigung sowieso nicht möglich. Zusätzlich werde ich mit einer für mich neuen Situation konfrontiert: Viele Läufer sind mit Stöcken unterwegs. Ich kann deshalb nicht auf meine bewährte Strategie zurückgreifen, dicht aufzurücken und dann mit drei explosiven Schritten bei nächster Möglichkeit zu überholen. Die Stöcke halten mich zu sehr auf Distanz, und an diese neue Gegebenheit muss ich mich erst gewöhnen.
Das Ende des Waldes ist auch das Ende des Schattens. Der Weg führt auf eine Wirtschaftstraße, welcher wir bis zur Passhöhe folgen. Ringsumher tut sich ein wunderbarer Ausblick auf. Zuerst zur Schweizer Grenze, wo die Talsperre des Lac d’Emosson zu sehen ist, dann hin zu den Aiguilles Rouges. Auf der Passhöhe ist es der überwältigende Blick auf das Mont Blanc-Massiv mit seinen charakteristischen, spitzen Gipfeln.
Hier oben sind Zuschauer und Helfer. Die einen loben, die anderen ermahnen, untermalt von den Klängen eines Akkordeonspielers, der sich vor der grandiosesten Kulisse niedergelassen hat. Genug trinken, Trinkblasen und Flaschen nachfüllen und Salz als Krampfprophylaxe zuführen. Mit dem grandiosen Panorama vor Augen geht es noch 200 Höhenmeter weiter bis zum Gipfel, der Aiguilette des Posettes. Die Kolonne den Berg hoch erinnert mich an den Weg auf der Eigermoräne beim Jungfrau Marathon.
Fast 900 Höhenmeter misst der Abstieg nach Montroc auf der Südkrete und der Ostflanke. Ich staune, wie behände viele Läufer an mir vorbeihüpfen. Mir reicht mein Tempo über diesen von groben Granitblöcken durchsetzten Weg bei Weitem. Trotz konzentriertem Aufsetzen der Füße bleibt mir Zeit, um die Veränderung am Wegrand wahrzunehmen. Während beim Aufstieg die Alpenrosen erst ansatzweise und als Knospen zu sehen waren, haben sie auf der besonnten Seite einen beachtlichen Vegetationsvorsprung.
Wo der Weg zwar immer noch sehr staubig – was mich nach den vergangenen langen nassen Wochen verwundert – aber nicht mehr so steinig ist, versucht der eine und andere einen Vorsprung zu erlangen. Die Schläge beim Abwärtslaufen fordern aber ihren Tribut. Eine Weile sehe ich an jeder zweiten Biegung des Serpentinenwegs Läufer austreten. Noch weiter unten, es ist schon fast eben, verlasse ich den Weg auch, allerdings unfreiwillig, und fresse Staub. Den Schmerz in der operierten Schulter versuche ich zu vergessen, die Schürfungen sind marginal und die Kamera scheint keinen Schaden genommen zu haben. Mehr zu schaffen macht mir die Tatsache, dass mein Wasservorrat aufgebraucht ist. Die Hitze und der Staub machen mir zu schaffen, ich muss noch zwei Kilometer durchhalten und ich weiß, wie die Strecke aussieht. Es kommt jetzt nämlich der Abschnitt, den wir am Morgen schon kennengelernt haben.
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