Wer hätte das gedacht … Als ich mir am Ostersonntag vor einem Jahr ganz im Stillen einen Herzenswunsch erfüllte und gemütlich einmal um den für mich schönsten der oberbayerischen Seen, den Ammersee, trabte und für potenzielle Nachahmer meine Erlebnisse in Wort und Bild auch M4Y anvertraute, hätte ich nicht ernsthaft gedacht, dass die Idee dieses Rundlaufs eine eigene Dynamik entwickelt. Freilich bedarf eine solche Dynamik auch eines Motors, der sie in Gang setzt. Und der Motor hat in diesem Fall einen Namen: Bernie.
Bernie Manhard, mein Kissinger Mitstreiter aus dem Autorenteam von M4Y, organisierte noch im letzten Sommer ein erstes Gruppenevent. Immerhin 13 Läuferinnen und Läufer, mich eingeschlossen, folgten seiner Einladung und schwitzten am 01.08.2020 bei hochsommerlichen Temperaturen, aber mit umso mehr Spaß, Gemeinschaftsgeist und Durst, auf dem gut 43 km langen Parcours um den See herum.
Und die läuferische Faszination des Ammersees hält an. Kein Wunder: Wie kaum einer der anderen großen oberbayerischen Seen bietet der Ammersee abwechslungsreiche Wege und Trails, zumeist in Tuchfühlung zum See, herrliche urwüchsige Landschaft und pittoreske Dörfer dazwischen. Wieder ist es Bernie, der das Zepter in die Hand nimmt, und den zweiten "Rund um den Ammersee Ultra" als teilnehmerlimitierten Einladungslauf ausschreibt. 12 ist das Limit und die 12 sind auch schnell gefunden. Eingedenk der letztjährigen Augusthitze findet das Revival am 29. Mai statt und auch die Strecke wurde ein wenig optimiert: Im Gegensatz zum Vorjahr wird nach dem Motto "das Beste zuerst" im statt gegen den Uhrzeigersinn um den See gelaufen. Gleichzeitig wird die Achillesverse des Rundkurses, das kritische Wegstück entlang der befahrenen Staatsstraße 2056 zwischen Fischen und Dießen durch eine etwas streckenverlängernde, aber läuferisch ansprechendere Umgehung über Wege und Sträßlein weiter südlich entschärft. Nun ja, mit nunmehr ungefähr 46 km manifestiert sich damit auch die Bezeichnung "Ultra".
Ansonsten ist alles wie gehabt. Treffpunkt ist der große Parkplatz in Stegen am Nordufer, direkt gegenüber dem traumhaft gelegenen Restaurant/ Biergarten "Fischer". Mit riesiger Holzterrasse, stylish-schlichtem Holz-Chic und Beach Bar im Sand hat sich diese Location einen Ruf als Schicki-Micki-Spot am See erobert. Und von hier, ebenso wie vom benachbarten ländlich-bayerischen Seehaus „Schreyegg“, mit großem klassischem Biergarten unter weit ausladenden Kastanien, genießt man den wohl schönsten Blick über den Ammersee, Alpenkulisse im Hintergrund inklusive. Aber wie heißt es so schön: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Schon vor zehn Uhr sind alle Teilnehmer, selbst aus Stuttgart anreisend, eingetrudelt. Allein vier M4Y-Autoren sind am Start: Neben Bernie und mir auch Andreas "Greppi" Greppmeir und Andreas Bettingen mit seiner ihn lebens- und laufbegleitenden Judith. Wie im Vorjahr sind Charlie Berger und Axel Ott dabei, neu in der Runde Tom Klinger, Dieter Schaab, Christoph Magg, Udo Pitsch und Klaus Mantel, allesamt langjährig erfahrene Marathonis.
Noch ist wenig los und wir haben den Parkplatz fast für uns. Ein kurzer Warm Up Plausch, ein paar Erinnerungsfotos und weil es nichts gibt, was uns hält und worauf es noch zu warten gilt, gibt Bernie schon um 9:55 Uhr das Startsignal. Ganz entspannt setzt sich unser Trupp in Trab.
Die Umkehrung der Laufrichtung bedeutet, dass die anspruchsvollsten, weil trailigsten, aber wohl auch läuferisch schönsten Passagen die ersten gut zehn Kilometer unseres Rundkurses bestimmen. Ganz bequem und in gemütlichem Trab passieren wir zunächst die beiden ortsprägenden Biergärten und biegen in den breiten Spazierweg ein, der unter mächtigen Laubbäumen am Seeufer entlang durch das Wiesengelände des Badestrandes von Stegen verläuft. Weitgehend für uns haben wir Weg und Wiese. Noch sind sie nicht da, die Scharen der Sonnenanbeter und Karawaren der Spaziergänger, die das Areal gerade bei schönem Wetter okkupieren.
Vor uns liegt das etwa 20 km lange Ostufer des Sees. Weitaus weniger als das Westufer verbaut ist diese Seite des Sees. „Natur satt“, vielfach unter hoheitlichem Schutz stehend, erwartet uns hier, garantierter Seeblick inklusive. Ein Highlight gleich zum Einstieg ist der sogenannte Siebenbrückenweg, ein überaus beliebter Spazierweg, der von Stegen aus hoch über dem anfangs steilen Ammerseesufer durch den Laubwald führt. Im Verlauf des profilierten, vielfach wurzeligen Höhenwegs sind diverse kleine, von Bächen ausgewaschene Schluchten zu überwinden, über die schmale Knüppelsteige führen. Ein herrlicher Weg, nicht nur wegen seiner Beschaffenheit, sondern auch wegen des immer wieder eindrucksvollen Blicks von oben auf den See hinab, vorausgesetzt, die Bäume geben diesen Blick frei. Noch hält der Verbund der Läufergruppe, aber schon hier setzen sich die beiden Schnellsten, Dieter und Christoph, an die Spitze.
Ein steiler Abstieg führt uns nach etwa zwei Kilometern wieder hinab, direkt ans Seeufer. Hier, beim Örtlein Buch, müssen wir uns hart am Wasser zweimal kräftig ducken, um unter zwei Holzstegen hindurch zu kommen, ehe es auf einem schmalen gewundenen Pfad dem Ufer folgend weiter gen Süden geht. Auf diesem offenbart sich die ganze Schönheit der Ammerseer Küstenlinie. Weit reicht der Blick über das Wasser, bis ganz in den Süden, wo die Trennlinie zwischen Himmel und Wasser kaum auszumachen ist. Zahlreich sind die Stege, die ins Wasser führen, Privatstege der beeindruckender Anwesen am See, auf die wir immer wieder einen Blick erhaschen. An keiner Stelle jedoch wird der Uferweg hiervon unterbrochen. Aufgrund einiger in den See führender Rinnsale ist der Pfad immer mal wieder eine schlammig-sumpfige Angelegenheit. Ausweichen ist nicht immer möglich, sodass sich die spannende Frage stellt, wie tief der „Batz“, in den man gerade tritt, wohl sein mag. Trailschuhe sind hier das Gebot der Stunde.
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Ein großer Bootssteg mit Fähranleger zeigt nach etwa 5 km schließlich, dass Breitbrunn erreicht ist. Vom Ort selbst bekommen wir nicht viel mit. Der Trail setzt sich hart entlang des Seeufers fort. Langsam entschwinden die Außenposten der Zivilisation, tauchen wir noch mehr als bisher ein in die Natur. Zwischen ausladenden Bäumen, immer wieder über Kiesbänke und vorbei an mal lichtem, mal dichtem Schilf windet sich der Pfad am Ufer entlang.
Auch wenn der See stets nahe ist, so trennt uns im weiteren Verlauf zunehmend üppig wuchernde Vegetation vom Wasser. Immer seltener wird der See sichtbar und ist auch dann häufig durch hohes Schilf vom Ufer abgeschirmt, immer seltener werden auch die kleinen Stege, aber immerhin: es gibt sie auch noch im entlegensten Winkel. Doch wunderbar ist der Lauf durch das pralle Grün, fließen die Kilometer dahin.
Schließlich schließt sich der grüne Vorhang zum See. Der Weg schlängelt sich als wurzeliger Pfad über Stock und Stein und so manchen Baumstamm durch eine scheinbar weltentrückte Landschaft aus knorrigen Bäumen und undurchdringlichem Buschwerk. Die Bezeichnung Dschungel trifft es ganz gut. Konzentration ist gefragt. Unsere Läuferkarawane ist kleiner geworden, aber noch gibt es sie.
Die ersten gut 10 km liegen hinter uns, als wir unvermittelt am Eck eines maschendrahtumzäunten Geländes im Wald stehen. Dieses Signal sollte man richtig deuten und tunlichst vermeiden, den Weg am Zaun entlang weiter gen Süden zu nehmen. Denn dieser führt zwar direkt an den See, aber dann bräuchte man schon messianische Fähigkeiten, um weiter zu kommen. Stattdessen ist, auch wenn es einem innerlich widerstrebt, dem am Zaun vom See weg führenden Weg zu folgen, bis man unvermittelt an der Rieder Straße, der Verbindungsstraße zwischen Herrsching und Inning und zugleich am Ortsrand der Ammerseemetropole steht.
Mit 10.700 Einwohnern ist Herrsching gerade so etwas, was in Deutschland als sogenannte „große Kleinstadt“ durchgeht. Aber mit seiner autofreien Flaniermeile am Seeufer mit Hotels, Lokalen und Cafes hebt sich Herrsching dann doch vom Rest der Orte am See und deren Strandpromenaden ab.
Doch bis wir es dorthin geschafft haben, müssen wir uns noch ein Weilchen gedulden. Der Rieder Straße müssen wir etwa 200 Meter ortseinwärts folgen, ehe wir direkt hinter dem Ortseingangsschild von Herrsching nach rechts auf den Parkplatz des "Haus der bayerischen Landwirtschaft" abzweigen, diesen queren und dem sich am anderen Ende fortsetzenden Weg geradewegs wieder dem See entgegen streben. Eine der wenigen Stellen des Rundkurses ist dies, die sich einem nicht automatisch erschließen - daher für "Nachläufer" der präzise Beschrieb an dieser Stelle.
Entlang des breiten, villengesäumten Grünstreifens - wobei "Streifen" angesichts der Großzügigkeit begrifflich unangemessen erscheint - geht es von hier über den Seepromenadenweg, einen breiten Naturweg, stets mit Seeblick hinein in die große Herrschinger Bucht. Wie ein großer Buckel ragt diese aus dem See heraus. In der Ferne sieht man schon Kurpark und Promenade, aber der Weg dorthin zieht sich. Alles wirkt in besonderem Maße proper und gepflegt. Eine piekfeine Gegend, würde man wohl sagen. Auch wenn die weiten Wiesen zum sonnenbaden verführen, so verhindern doch zunächst vielfach Schilfgürtel den direkten Zugang zum See. Das ändert sich im hinteren Teil der Bucht. Liegewiesen und Kiesbänke mit freiem Wasserzugang reihen sich hier aneinander, hohe ausladende Weiden spenden Schatten, mehrere "alternative" Strandbars laden zum Verweilen ein.
Kurz vor dem Kurpark im Zentrum der Bucht queren wir ein unauffälliges Bächlein, was im Prinzip nicht weiter erwähnenswert wäre, wäre es nicht der Kienbach, der unterhalb des "Heiligen Bergs" in Andechs ein überaus beeindruckendes, wildes Felsental durch den Nagelfluh gefräst hat. Der Weg durch dieses Tal ist für Andechs-Pilgerer geradezu ein Muss. Aber zurück ins Hier und Jetzt: Schon treten wir ein in den gepflegten, blumenrabattengeschmückten, aus der Bucht als kleine Halbinsel ragenden Kurpark. In dessen Zentrum ragt im farbenfrohen Zuckerbäckerfachwerk das Kurparkschlösschen mit seinen Türmen und Erkern empor.
Durch den Biergarten des Restaurants Seehof hindurch und vorbei am großen Anlegesteg der Seedampfer gelangen wir nun direkt auf die alleeartige Promenade Herrschings. Erstmals auf unserem Kurs sind wir mit so etwas wie Menschentreiben konfrontiert, aber alles halb so wild: Gemütlich traben wir, vielfach von neugierigen Blicken verfolgt und Erinnerungen an letztes Jahr pflegend an den locker verteilten Lokalen und Cafes vorbei über das Pflaster. Als Sunset Spot empfohlen sei hier übrigens die karibisch angehauchte Bar "Bayrische Brandung" und als lukullischer Tipp Matos Fischladen gleich in der Nähe, der nur abends leider viel zu früh zu macht – gerade das wäre die rechte Zeit, eine der leckeren Fischsemmeln mit einem Glas Weißwein zur untergehenden Sonne genießen. Jetzt täte die Uhrzeit schon passen, aber im Schwung des Laufes begnüge ich mich mit einem kurzen sehnsüchtigen Blick. Allzu lang ist die Promenade nicht und mit deren Ende tauchen wir, mittlerweile nur noch ein Sechser-Trupp, in der langsam auslaufenden Bucht alsbald wieder ein in die Natur.
So ganz anders als der Buchteingang präsentiert sich deren Ausgang. Naturwege durch Kies und Morast, eingewachsen von wild wucherndem Buschwerk prägen die Kulisse, unterbrochen von schönen Aussichten in die Bucht. Immer wieder durchstoßen lange Stege die malerischen Schilfinseln am Ufer. Einigen Bäumen sieht man an, dass Biber ganze Arbeit geleistet haben. Kleine feuchte Überraschungen hält der Weg bereit: Über Steintritte im Wasser sind zwei Bäche zu queren - im Laufschritt ein kleiner Geschicklichkeits- und Balancetest.
In der zum Ostufer auslaufenden Bucht können wir es auf dem bequemen und ohne weitere Hindernisse flach dahin führenden Naturweg richtig "rollen" lassen. Fast schon verwundert stelle ich fest, dass die Dichte radfahrender Ausflügler deutlich geringer ist als im letzten Jahr. Die Kilometer fließen entspannt dahin und ich fühle mich beim Anblick der meist unberührten Uferstreifen immer wieder in entlegenere Gefilde als das bayerische Voralpenland versetzt. Ein um das andere Mal laden kleine, oft verwunschene und von bleichem Schwemmholz übersähte Strände und Buchten zum Verweilen ein.
So ganz anders und kultiviert präsentiert sich schließlich die große Liegewiese im Erholungsgelände von Wartaweil. Mit dem netten Kiosk "Froschgartl" verbinden mich angenehme Erinnerungen, rettete mich doch auch hier ein kühles (alkoholfreies) Weißbier im letzten Jahr vor dem Verdursten. Leider markiert dieser Punkt nach etwa 17 km auch das vorläufige Ende der Naturwege. Ab hier müssen wir dem entlang der Seestraße führenden asphaltierten Fußweg folgen.
Zusehens verläuft die Straße und damit auch unser Weg in Distanz zum See. Über die weiten Blumenwiesen hinweg blicke ich auf die für Menschen unzugängliche, weiträumig naturgeschützte Sumpflandschaft am Südende des Sees und das am Ufer gegenüber liegende Dießen. Besonders ins Auge fällt vor allem der mächtige Klosterkomplex des ehemaligen Augustiner-Chorherrenstiftes Dießen mit dem alles überragenden barocken Marienmünster. Auch wenn wir später in der Nähe vorbei laufen werden: Zu sehen bekommen wir das Kloster nicht.
Nicht nur neben, sondern auch hinter mir entfernt sich der See aus dem Blickfeld. Entlang der Herrschinger Straße trudeln wir nach 20 km im eher unscheinbaren Dorf Fischen ein. Bei unserer Seeumrundung im letzen Jahr erreichten wir hier, via St 2056 von Dießen aus den kürzesten Weg um das Südende des Sees nehmend, den südlichsten Streckenpunkt. Aber diese Kilometer auf einem Asphaltband ohne Rad- oder Fußweg, ziemlich schutzlos dem zügigen Durchgangsverkehr ausgeliefert, sind kein Genuss und durchaus nicht ohne Gefahr. Und so haben sich Bernie und Charly schon vor drei Wochen aufgemacht, eine alternative Umgehungsroute auszukundschaften. Und eine solche gefunden. Ein Plus von drei Kilometern bedeutet dies, aber das sollten die Sicherheit und ein entspannteres Laufen schon wert sein.
Ein Stück weit, allerdings auf einem separaten Rad-Fußweg, folgen wir der St 2056 gen Westen, bis zur Ammer, die, breit und meist gemächlich die Landschaft querend, unweit von hier in den See mündet. Über die Brücke hinweg geht es noch, dann zweigt ein Weg ab, dem wir der Ammer flussaufwärts folgen, ehe uns ein weiterer Abzweig nach rechts auf einen stillen, sich durch die weite blühende Wiesenlandschaft westwärts schlängelnden Naturweg führt. Ein wenig Kühlung bringt der Wind vor der zunehmend brennenden Sonne. Und er trägt auch den Duft frisch gemähten Grases in unsere Nasen .... herrlich. So nah wie nie zuvor präseniert sich die Alpenkulisse am südlichen Horizont. Ein paar Kilometer entfernt erspähe ich zudem einen Pulk fast unwirklich in der lieblichen Landschaft thronender Parabolantennen. Sie sind die überregional bekannten "Markenzeichen" der Gemeinde Raisting und Teil der dort beheimateten Erdfunkstelle.
Bis kurz vor Raisting führt unser Weg, dann holt uns der Asphalt einer Straße doch noch ein. Die Raistinger Straße hält nun direkt auf Dießen zu. Wir müssen sie zwar mit dem Autoverkehr teilen, doch ist dieser längst nicht so dicht und bedrohlich wie auf der St 2056. Die Nebenstraße mündet zwar schließlich in die St 2056, doch zumindest ab hier steht ein eigener Fuß-Radweg bis Dießen bereit.
Schon lange haben wir ihn nicht mehr gesehen. Doch fast wie aus dem Nichts ist er auf einmal wieder da: Der See. Nach vielen Kilometern der Abstinenz erreichen wir mit dem lauschigen Uferpark von Dießen wieder direkt das Seeufer. Ein Netz von Spazierwegen mit Parkbänken erschließt das von hohen Laubbäumen bewachsene Wiesengelände. Durchschnitten wird der Park vom Mühlbach, der hier in den See mündet. Malerisch ist dieser Ort und herrlich der Blick über die zahlreichen teils verwinkelten Stege auf den See hinaus. Leider sind im Moment jedoch weite Teile des Ufers Baustelle und von Zäunen abgeschirmt. Einmal im Jahr ist in diesem Park die Hölle los – dann, wenn der weithin bekannte Töpfermarkt an Christi Himmelfahrt vier Tage lang im Mai seine Pforten öffnet. Auch heuer fällt dieser Markt "umständehalber" allerdings aus.
So richtig Muße, diesen Ort optisch zu würdigen, habe ich aber ohnehin nicht. 29 km liegen hinter mir und meine Beine verraten schon seit geraumer Zeit, dass sie sich schöneres vorstellen können als weiterzulaufen. Aber es gibt Erlösung, zumindest vorübergehende. Und diese Erlösung ist der Kiosk mit Minibiergarten am jenseitigen Ende des Uferparks, direkt vor dem Anleger der Ammerseeflotille. Schon bei unserer letzten Umrundung war (auch) dieser Punkt für uns ein Quell der Erfrischung und Erholung. Und auch wenn es heute längst nicht so heiß ist wie damals, so wird dieser Ort von mir auch dieses Mal zumindest heiß ersehnt.
Vier Mann – Bernie, Tom, Klaus und ich – das ist der verbliebene Trupp, mit dem ich einlaufe. Ein herrlich kühles Weißbier der Brauerei "Karg" aus Murnau rinnt kurz darauf meine Kehle herunter und eine Leberkässemmel gibt's als Kohlenhydratspender obendrauf. Eine kühle Brise weht vom See, die Sonne lacht zwischen den Wolken, im Hintergrund spielt ein Straßenmusikant Gitarre – für den Moment ist das der Himmel auf Erden.
Unsere Frage, wo wohl die anderen stecken, klärt sich schon bald. Andreas und Judith tauchen auf – und auch gleich wieder ab; eine Pause gönnen sie sich nicht. Mehr schon Genießer sind Greppi und Axel, für die dieser Kiosk nicht der erste Stopp ist. Schwer fällt mir, mich von diesem Ort zu lösen, mich erneut zu motivieren, aber nach 25 Minuten schaffe ich es dann noch, mich Bernie anzuschließen – sind ja "nur" noch 17 km.
Dass Dießen mit 10.500 Einwohnern kaum kleiner als Herrsching ist, merkt man auf unserem Streckenkurs nicht. Vom historischen Ortskern abseits des Ufers bekommen wir letztlich nichts mit, vielmehr dominiert auch jenseits des Uferparks sogleich wieder das Grün. Dennoch: Der Charakter des Ostufers ist ein ganz anderer als der des Westufers. Das liegt zum einen an der dichteren Besiedelung und der auch deswegen ausgebauteren Infrastruktur. Vor allem aber ist der See blickmäßig längst nicht so intensiv unser ständiger Begleiter, führen die Wege meist mit etwas Abstand vom Ufer entlang. Nichtsdestotrotz: "Ammersee-Feeling" kann man auch hier immer wieder genießen.
Das etwa 8 km entfernte Utting ist unser nächstes Zwischenziel. Durch gepflegte Grünanlagen, vorbei an sich rustikal am Ufer drängenden Bootshäusern und den Anlagen des Diessner Segel-Clubs, setzen wir über den bequemen, breiten Seeweg unsere Tour nordwärts fort. Weithin sichtbar thront direkt am Weg die Wallfahrtskirche St. Alban über dem malerischen Schilfgürtel am See. Hier können wir besagtes "See-Feeling" noch einmal erspüren, ehe wir darauf für eine Weile Verzicht üben müssen.
Zumeist in langen Geraden und vielfach auf Asphalt, aber frei von automobilem Verkehr führt der Seeweg dahin. Parallel zum Weg verläuft das einspurige Gleis der Bayerischen Regiobahn. Dichte Baumkonen und beschauliche Wiesen wechseln einander ab. Zusehens sehe ich Bernie in der Ferne entschwinden. Bei mir ist "Schicht im Schacht"; kurze Lauf- und längere Walkeinheiten wechseln einander ab. Dabei wären die Voraussetzungen für entspanntes Dahintraben optimal.
Mit der kleinen Bahnstation von Riederau erreichen ich den letzten Außenposten der Gemeinde Dießen. Wenig später tauche ich, weiterhin immer geradeaus dem Seeweg folgend, ein in das Naturschutzgebiet Seeholz. Der Asphalt wird von einem Naturweg, und dieser wiederum von einem Pfad abgelöst, der sich zwischen den hohen Stämmen mächtiger Laubbäume hindurch schlängelt. Eine schöne Passage, die wieder einmal so etwas wie Trailfeeling aufkommen lässt. Vereinzelt nehmen auch Radler diesen Weg, ansonsten umgibt mich friedvolle Ruhe und Stille.
Aus dem Wald heraus tretend setzt sich der Pfad wieder als Sträßlein fort. Etwas kitschige Rehskulpturen am Toreingang markieren den Zugang zur Parkanlage des Künstlerhauses Gasteiger. Obstbaumkulturen und schöne alte Häuser künden vom nahenden Utting. Ein kleiner Schwenk bringt mich hinein in den Summerpark. Und hier, in den Weiten der gänseblümchenübersähten Wiesen, liegen mit Panoramablick auf den See und die zahlreichen ankernden Segelboote die Menschen und genießen die laue Frühlingsluft. Gleich im Anschluss erreiche ich die Strandpromenade, von der wie die Finger einer Hand ein Steg nach dem anderen in den See hinein ragt. Viel los ist in den Cafes und Lokalen allerdings nicht, dafür umso mehr im gemütlichen Biergarten des Strandbads am Ende der Promenade, aus dem das auffällige hölzerne Ungetüm eines Sprungturms weithin sichtbar ragt.
Jenseits der Promenade, abgeschirmt vom Ort, erwartet mich Uttings wohl bekanntester und beliebtester Ausflugsspot: Die „Alte Villa“. Direkt am See, in eine hübsche Parklandschaft mit Schilf, Wiesen und hohen Kastanien eingebettet, liegt das im Stil eines italienischen Landhauses erbaute alte Wirtshaus mit angrenzendem lauschigem Biergarten. In Reih und Glied stehen die fest installierten Tische und Bänke aus rohem Holz. Ein fast schon kitschig schönes Biergartenidyll und ein Ort der Lebensfreude – aber im Moment leider nur in der Theorie, denn in der Realität verharrt der Garten noch im coronabedingten Status eines Stilllebens.
Bei der Alten Villa passiere ich das Erholungs- und Badegelände Uttings, mit riesigem Camping- und Bootsliegeplatz im Hintergrund. Durch die im leichten Wind wiegenden Schilfhalme blickend entdecke ich den vor Anker liegenden, über 110 Jahre alten Schaufelraddampfer „Andechs“, benannt nach dem berühmten Kloster, Wallfahrtsort und vor allem Bier- und Hax‘nhochburg oberhalb von Herrsching. Im Dienst ist die „Andechs“ allerdings nicht mehr, sondern hat hier einen Dauerliegeplatz gefunden. Anders als das ebenso alte Schwesterschiff „Dießen“, das noch heute auf dem See herum schippert. Ein anderes Ammerseeboot übrigens, die ausrangierte (alte) „Utting“, hat insofern Berühmtheit erlangt, als es als Eventlocation, Bar und Biergarten nun auf einer Brücke mitten in München thront.
Utting liegt nun hinter mir und mit Schondorf und Eching sind es nur noch zwei Etappenorte bis zum Ziel in Stegen. Ein motivierendes Gefühl, vor allem auch deshalb, weil die Abstände zwischen den Orten nur wenige Kilometer betragen. Fast schon ein Katzensprung ist es bis Schondorf. Ein schöner Naturweg, immer wieder unterbrochen von herrlich gelegenen und entsprechend bebauten Privatgrundstücken, führt dorthin. Einmal mehr fasziniert bin ich von der großen Zahl der Holzstege, die auch hier wie Tentakeln durch dichtes Ufergebüsch und Schilf in den See ragen. Immer wieder nett anzusehen ist das allemal.
Auch wenn ich nicht wirklich schnell unterwegs bin: Schon bald habe ich die die Seepromenade Schondorfs erreicht. Als kleiner Park mit Spazierwegen ist hier entlang des Ufers angelegt. Ein großer massiver Steg führt weit in den See hinein. Hinter dem einladenden Restaurant „Seepost“ thront hoch über den Kastanienbäumen die St. Jakobskirche. Bereits aus dem 12. Jahrhundert datiert das trutzige romanische Gemäuer, ein gutes Beispiel dafür, welch lange Historie die Ortschaften am See haben. Besonders schön sind die weiten Schilffelder gleich zu Beginn der Promenade.
Sehr viel stiller und einsamer wird es auf dem Weiterweg gen Eching, der zur Abwechslung einmal einige Höhenmeter und auch Einiges an Morast bereit hält. Ein paar "Kunstwerke" verbergen sich im dichten Wald, wobei wohl nicht jeder das, was er an Installationen zu sehen bekommt, als Kunst interpretieren dürfte. Den Wald verlassend darf ich im äußersten Echinger Süden einmal mehr Ammerseer Villenkultur bestaunen.
Ein Schwenk führt mitten hinein ins Badegelände des Ortes, mittendrin das auffällig rote „Strandhaus Ammersee“, das mitsamt zahlreicher Strandkörbe anscheinend gerade im Zustand nachcoronaischer Wiedererweckung steht. Mehr bekommen wir von dem im Wesentlichen weiter landeinwärts beheimateten Eching nicht mit.
Ein letzter Marsch durch die Natur steht an. Dicht wie eine Wand ist das Dickicht zu beiden Seiten des sich dahin schlängelnden Weges. Fast alle Abzweige gen See sind gesperrt, da seit April die Brutsaison der Seevögel und menschliche Störung daher unerwünscht ist. Als ich das Rauschen der A96 in der Ferne höre, weiß ich, dass es nicht mehr weit sein kann. Ausgerechnet das letzte große Matschloch auf dem Weg nehme ich versehentlich zum Anlass, meine Trailschuhe doch noch mit einer Schlammpatina zu veredeln. Aber egal: Das Ziel vor Augen kann ich da nur innerlich grinsen. Noch ein Schlenker über die Wiesen, dann hinüber über die Amperbrücke, die den Fluss mit markant blauen Stahlbögen überspannt. Eine kurzer Blick die Amper entlang in den See hinein, schon laufe ich in Stegen dort ein, vor ich vor einigen Stunden gestartet bin.
Mit großem Hallo und Glückwünschen begrüßen mich die auf dem Parkplatz bereits versammelten Finisher. Zwischen 4:47 und 7:12 liegen die Einlaufzeiten der diesjährigen Ausgabe, mit Dieter und Christoph als "Sieger"-Duo. Noch sind nicht alle da, aber zumindest haben wir alle schon vor dem Lauf eine hübsche durchsichtige, von Bernie höchstpersönlich designte Finishermedaille überreicht bekommen. Die tragen wir nun auch stolz, als es zum Finisherbier auf den Minigolfplatz geht. Angesichts der Tatsache, dass der Parkplatz nun einerseits proppenvoll, die beiden Biergärten aber dennoch weitgehend geschlossen sind, sind wir froh, zumindest hier einen Tisch zu bekommen und auf unseren Lauf anstoßen und ihn nochmals Revue passieren lassen zu können. Besonders freut mich, dass auch Charly dabei ist: Er musste muskulär bedingt frühzeitig abbrechen – dass er dennoch im Ziel bei uns ist, zeigt wahren Gemeinschaftsgeist.
Und dieser Gemeinschaftsgeist ist etwas, was diesen Lauf auch im Übrigen zu etwas Besonderem macht. Es geht nicht um Siegerplätze, um persönliche Bestzeiten, sondern nach dem Motto "der Weg ist das Ziel" um pures, gemeinschafltiches Laufvergnügen in einer außergewöhnlichen Landschaft. Ich kann nur hoffen, dass Bernie im kommenden Jahr unsere kleine Tradition aufrecht erhält und einen weiteren Aufruf zum "Rund um den Ammersee-Ultra" startet. Denn auch wenn der Kurs durchaus das Potenzial und die Attraktivität für eine größere Veranstaltung hätte, ist aufgrund der logistischen Herausforderungen wohl nicht damit zu rechnen. Vielleicht ist das aber auch ganz gut so. Auch im kleinen Rahmen unserer "Privatveranstaltung" ist und bleibt dieser Lauftripp jedenfalls etwas ganz Besonderes.