Andreas und Bernie haben es vorgemacht und in der veranstaltungslosen Zeit eigene Marathons organisiert, die mir immer viel Spaß gemacht haben. Ich wollte nicht nur immer Nutznießer sein und auch einen eigenen Marathon organisieren. Dabei kam mir die Idee, eine bereits bestehende Strecke als Grundlage zu nehmen. Und da kam mir gleich der Allgäu Panorama (Privat) Marathon in den Sinn.
Natürlich fragte ich erst einmal bei Axel Reusch, dem langjährigen Organisator des Allgäu Panorama Marathons, nach, ob es möglicherweise Einwände dagegen gibt. Einwände hatte er nicht, ganz im Gegenteil. Axel schien von der Idee begeistert und bot mir an, dass ich nicht nur auf jegliche Informationen auf seiner Homepage zurückgreifen darf, auch das Logo des APM durfte ich zweckentfremden. Ich frage schließlich noch vorsichtig an, ob in Axel`s Keller vielleicht noch ein paar verstaubte Medaillen liegen, die er mir zur Verfügung stellen kann. Statt der gewünschten fünfzehn Medaillen bekam ich zwanzig spendiert. Auf den Medaillen selbst stehen keine Jahreszahlen, so dass ich eigentlich nur noch passende Medaillenbänder brauchte. Die ließ ich über eine niederländische Firma anfertigen. Meine Tochter Jessi hat inzwischen Übung an der Nähmaschine und übernahm das Nähen der Bänder. Somit war schon mal einiges an Vorarbeit erledigt.
Bernie übernahm die Ausschreibung auf unserer Homepage und integrierte auch die GPX-Datei des APM, die allen Teilnehmern zur Verfügung stand. Mit zehn Interessierten hatte ich gerechnet, am Ende standen tatsächlich achtzehn Lauffreunde in der Starterliste. Auch wenn es bis zum Start am 3. Oktober nur noch fünfzehn waren, so sah ich das schon mal als großen Erfolg. Bis auf Severin und Angelika waren alles erfahrene Marathonläufer, die den APM größtenteils schon gelaufen waren und somit mit der Strecke, auch dank der GPX-Datei, wohl keine größeren Orientierungsprobleme haben sollten. Trotzdem fertigte Bernie für alle Teilnehmer noch eine laminierte, faltbare Streckenkarte an. Es sollte also nichts schief gehen. Als mir Axel auch noch anbot, beim Start dabei zu sein und uns auf den ersten Kilometern zu begleiten, schien alles perfekt.
Gut, ein APM-Wetter mit 30 Grad oder mehr konnte ich natürlich nicht organisieren, dennoch behielt ich meine Wetter-App in den Tagen vor dem AP(P)M immer im Auge. Letztendlich sah es so aus, dass wir im Trockenen bei milden 10 Grad starten könnten. Nach gut einer Stunde war leichter Regen vorausgesagt und die Temperatur würde um zwei Grad sinken. Zum Zieleinlauf sollte es aber wieder trocken werden. Nicht wirklich APM-like, aber doch akzeptabel.
So standen wir dann am Samstagvormittag mit einem 15-köpfigen Starterfeld tatsächlich bei strahlend blauem Himmel vor dem Allgäu-Outlet-Center und freuten uns auf den bevorstehenden Lauf. Axel kam, wie versprochen, auch dazu und ich bot ihm an, das Startprozedere zu übernehmen. Axel erzählte aber stattdessen eine kurze Geschichte aus den Anfängen des APM. Da Axel aus dem Leistungssport kommt, war er es gewohnt, dass die Teilnehmer eines Laufs vor dem Startschuss schon angespannt vor dem Startbogen standen und dann lossprinteten. Beim ersten APM bzw. APUT war er vom Ablauf des Starts sehr amüsiert. Als der erste Startschuss fiel, trabten ein paar Teilnehmer gemütlich los, andere unterhielten sich noch etwas und ein paar gingen sogar noch auf`s stille Örtchen. Inzwischen hat Axel sich nicht nur daran gewöhnt, sondern findet diese Atmosphäre als eine ganz besondere. Daher gab es heute von ihm also auch nur ein: „Also, dann laufen wir mal los.“ Die Laufuhren wurden gedrückt, noch ein paar Worte gewechselt und dann ging es gemütlich los.
Die ersten beiden Kilometer über die Iller, vorbei an der Illersiedlung und dem Sonthofer Baggersee sind eben und lassen uns genügend Zeit zum Ratschen. Axel erzählt von seinem Training für den bevorstehenden Virtuellen Ironman. Heute stehen lockere sechs Kilometer auf dem Programm, so dass er uns die ersten drei Kilometer bis Hüttenberg begleiten kann. Das Feld zieht sich erstaunlicherweise trotz des moderaten Tempos schon etwas auseinander. In Hüttenberg angekommen verabschiedet sich Axel und ich überreiche ihm als kleine Erinnerung noch eine Medaille des AP(P)M, quasi als Teilnehmer des Bambinilaufs.
Es ist warm und bevor der sieben Kilometer lange Aufstieg zur Weltcup-Hütte beginnt, verstauen wir die Jacken in unseren Laufrucksäcken. Der AP(P)M beginnt. Es geht nun eine ganze Weile nur noch nach oben. Beim „realen“ APM schlängeln sich hinter Hüttenberg die Teilnehmer immer wie an einer Perlenschnur gezogen nach oben und bieten immer ein tolles Bild. Mit unseren 15 Teilnehmern können wir da heute nicht ganz mithalten, dennoch bin ich begeistert und ein wahres APM-Feeling stellt sich ein.
Als ich nach etwa sieben Kilometern und gut einer Stunde auf der Teerstraße ankomme, ziehen wie von meiner Wetter-App vorhergesagt erste Wolken auf und es wird merklich kühler. Ich krame gemütlich meine Jacke aus dem Rucksack hervor und ziehe sie über. Dabei verliere ich den Anschluss an die führende Gruppe mit Bernie und Charly. Janosch hängt mit Andreas, Judith und den Fenders etwas zurück. Ich bin also jetzt erst mal allein. Irgendwann werde ich schon wieder Anschluss finden, egal ob vorne oder hinten. Da mache ich mir keine Sorgen.
Normalerweise erwarten uns die jetzt die Kühe mit ihrem Glockengeläut, doch heute ist Ruhe. Die Kühe sind wohl schon in ihren Winterquartieren im Tal. Schön ist es trotzdem. Ich nähere mich Kilometer 10 und damit einem herrlichen steinigen Trail in einem Waldgebiet. Das hat mir immer besonders viel Spaß gemacht und ich schließe auf Bernie auf. Schon bald wartet der Anstieg zum 1650 Meter hohen Weiherkopf auf mich. Es regnet inzwischen leicht und der Aufstieg ist bereits matschig. Ich hoffe, irgendwie die Führungsgruppe oben am Gipfelkreuz zu treffen. Doch als ich oben ankomme, bin ich alleine. Es regnet nun nicht nur stärker, auch der Wind frischt auf. Es ist ungemütlich, so dass ich mich gleich wieder an den Abstieg mache.
Heute muss ich besonders vorsichtig laufen. Der Weg ist teilweise schmierig. Von den anderen ist nun leider gar nichts mehr zu sehen. Weder vor noch hinter mir. Unten angekommen, geht es nun etwas wellig in Richtung Berghaus Schwaben weiter. Der Regen nimmt weiter zu und ein paar vereinzelte Wanderer kommen mir dick vermummt entgegen.
Der Anstieg zum Berghaus Schwaben hat es noch mal in sich und es wird deutlich kühler. Der Wind nimmt weiter zu und pfeift nun schon etwas unangenehm. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, mich im Berghaus etwas aufzuwärmen und vielleicht etwas Warmes zu trinken. Doch es sind nur noch vier Kilometer bis Grasgehren. Dort wollten wir alle eine Rast machen und wie beim echten APM etwas essen. Vielleicht warten die Führenden ja auf mich. Ich will keine Zeit vergeuden, denn die Aussicht bei diesem Wetter allein bis nach Sonthofen zurückzulaufen, ist nicht gerade prickelnd. Also weiter. Ich lasse das Berghaus rechts liegen und stelle fest, dass dort reger Betrieb ist. Scheinbar suchen die Wanderer Schutz vor dem Wetter.
Ein paar hundert Meter nach dem Berghaus beginnt es nun leicht zu schneien. Noch bin ich amüsiert. Schnee beim APM, wann hat`s das schon mal gegeben? Ich mache mir keine großen Gedanken. Ob es schneit oder regnet ist doch egal. Es geht wieder wellig dahin, eigentlich wartet vor Grasgehren nur noch ein richtig harter Anstieg auf mich.
Dann passiert innerhalb weniger Minuten etwas, was keiner von uns erwartet hat. Der Wind wird zum Sturm und Schnee und Graupel peitschen mir schmerzhaft ins Gesicht. Was zur Hölle ist denn nun los? Die Temperatur purzelt im Nu ins Minus. Das Sturmtief „Brigitte“ ist angekommen und ich war mittendrin. Und das mit kurzen Hosen, einem Laufshirt und einer dünnen Jacke. Die Sicht verschlechterte sich immer mehr. Ich starrte nur noch vor mich auf den Boden, um etwas geschützt zu sein. Mir war inzwischen eisig kalt. Wo vorher noch Wege waren, war nun zentimeterhoher Schneematsch. Meine Füße waren klatschnass und die Zehen eiskalt.
Ich spielte mit dem Gedanken, zum Berghaus Schwaben umzukehren. Aber wie von dort später weiterkommen? Nach Grasgehren führt immerhin eine Straße. Also galt es, bis dahin irgendwie durchzukommen.
Ich kam mehr schlecht als recht voran. Den Schneematschfeldern auszuweichen versuchte ich nun gar nicht mehr. Es hatte eh keinen Sinn, die Socken waren durch, die Füße klamm und die Mütze mit einer Eisschicht überzogen. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen. Ich schrie meinen Frust und meine Wut in die menschenleere Allgäuer Voralpenlandschaft.
Dann der letzte Anstieg. Er kostete mich alle Reserven. Ich war kaputt und hatte keine Lust mehr. Ich wollte nur noch ins Warme. Hinunter nach Grasgehren konnte ich etwas laufen, was mir ganz gut tat. Auf dem direkten Weg ging ich zur Berghütte und konnte hinter der Glasfront Bernie, Charly, Alex, Severin, sowie Angelika sehen. Auch für sie war der Lauf hier zu Ende. Ich war froh, endlich nicht mehr alleine zu sein. Und dass bereits ein Taxi bestellt war, war eine super Nachricht.
Die nächste gute Nachricht: Die Heizung funktionierte. Der Fahrer meinte, dass selbst die wetterkundigen Einheimischen nicht mit einem derartigen Wetterumschwung gerechnet hatten, was mich etwas beruhigte. Ich machte mir aber Sorgen, da ich zu der Zeit noch nichts vom Verbleib der Kameraden wusste. Drei hatten es tatsächlich trotz der extremen Bedingungen ins Ziel geschafft, die anderen sind spätestens beim Berghaus Schwaben ausgestiegen und unbeschadet und gesund in Sonthofen angekommen.
Meine Premiere als Marathon-Organisator wir mir immer in Erinnerung bleiben. Der Lauf war einzigartig, aber zeitweise auch grenzwertig. Vielleicht wage ich dennoch irgendwann einen weiteren Versuch. Spaß hat es jedenfalls gemacht, auch wenn ich – wie ich hören musste – am Wetter noch etwas feilen muss. Ich werde es versuchen. Versprochen!