Es geht heute um großes Kino fernab von Hollywood und doch nicht so weit entfernt. Kino, in welchem ich noch nie eine Hauptrolle spielte und in welchem ich diesmal bestenfalls eine Statistenrolle übernehmen kann. Es ist auch möglich, dass mir nur ein Platz im Zuschauerraum gewährt wird.
Mir ist es egal. Mein Name steht schon seit langer Zeit auf der Startliste, diese Verpflichtung will ich einhalten. Der Chef lässt mich wissen, dass ich mich nicht verpflichtet fühlen muss und ich mir gut überlegen soll, ob ich die fast 500km lange Reise auf mich nehmen will. Ja, ich will!
Mir fehlt nicht nur das Laufen, die Bewegung, mir fehlt die Atmosphäre von Laufveranstaltungen, das Treffen von Freunden, Bekannten und Gleichgesinnten. Ein solches Häppchen gönne ich mir, ein edles dazu, denn ich kenne nur noch einen anderen Marathon, bei welchem in unseren Breitengraden mitten im Winter mit kurzer Laufkleidung angetreten werden kann, und mache mich lange vor dem ersten Hahnenschrei auf den Weg.
Kurz nach Fulda verlasse ich die Autobahn. Ich befinde mich an einem „Hotspot“ der jüngeren Zeitgeschichte. Sagt jemandem der Begriff „Fulda Gap“ etwas? Zur Zeit des kalten Krieges hätten sowohl die NATO als auch die Truppen des Warschauer Paktes in dieser Senke ganz großes Kino vom Stapel gelassen. Allerdings nur mit einer Hauptvorstellung. Nachher wäre die Gegend eine von Atomschlägen verglaste Wüste gewesen. Bei Rasdorf erinnert eine Gedenkstätte an den Point Alpha, wo sich Vorposten der beiden Machtblöcke am westlichsten Punkt Thüringens und damit auch am westlichsten Punkt des eisernen Vorhangs gegenüberstanden.
Bis zu meinem heutigen Ziel ist es nicht mehr weit und das Besucherzentrum hätte ich auch ohne Navigationsgerät gut gefunden. Die Ausschilderung zum Erlebnisbergwerk ist unübersehbar. Ich brauche also keine zufällig angetroffene schwangere Französin, die mich auf den Zugang zu den unzähligen Kilometern an Stollen tief unter uns aufmerksam macht. Aber dazu später.
Beim Betreten des Besucherzentrums kann ich mich hinter der Tür gleich in die Warteschlange einreihen und treffe nebst den üblichen Verdächtigen den anderen Gesandten unserer Websites, den ich bisher noch nicht persönlich habe kennenlernen können. Günter ist im Gegensatz zu mir mit der Materie des Umfelds bekannt, in welchem der Kristallmarathon stattfindet, hat er in jungen Jahren doch auch untertage gearbeitet. Er wird für Marathon4you.de schreiben, ich bin für die „unbefestigte Schwester“ unterwegs. Das Motto von TRAILRUNNING.DE „Runter von der Straße“ nehme ich besonders ernst, denn es geht diesmal nicht nur runter, sondern auch über 500 Meter unter die Straße.
Die Startunterlagen, bestehend aus Startnummer, Infoblatt, Transponder für die Zeitmessung und einem Bon für eine Bockwurst halte ich viel schneller in Händen als die Warteschlange hat vermuten lassen. Obwohl ich viel zu früh dran bin, fahre ich bei nächster Gelegenheit ein. Ich kann es kaum erwarten, nach dreimonatiger Absenz wieder dabei zu sein. In mir drin singt es in Abwandlung des bekannten Bergmannsliedes, dem Steigerlied, „Glück auf, Glück auf, der Steiner kommt“.
Für die Besucher ist selbstverständlich alles komfortabel hergerichtet worden, der dreistöckige Förderkorb kann gleichzeitig bestiegen werden und wer ein langes Rumpeln erwartet, wird überrascht, wie ruckelfrei wir in die Tiefe fahren. 8 Meter pro Sekunde geht es abwärts, hinunter auf die zweite Sohle. Hier werden wir zu den Transportern geführt, auf welchen wir in zügiger und zugiger Fahrt durch das Labyrinth auf die erste Sohle hochgebracht werden, wo im Großbunker gewissermaßen das Herz des Erlebnisbergwerks liegt.
Das Ausmaß dieser Halle mit ihren 250m Länge, über 20m Breite und einer Höhe von gut 15m ist beeindruckend, ebenso der darin stehende Schaufelradbagger, der größte seiner Art, der jemals unter Tage im Einsatz war.
Um 10.00 Uhr startet der (fast) 10km-Lauf, mit allen Marathonis und Halbmarathonis als Zuschauern. Es dauert nicht lange, da ist der Erste schon von der 3,25km langen Runde zurück. Als Führender ist er ganz allein. Das wäre für mich der Einsamkeit zu viel, deshalb laufe ich jeweils gemächlich im Pulk…
Es ist kurz vor 11.00 Uhr, der Pulk stellt sich in den Startbereich und lässt die letzten Teilnehmer der kurzen Strecke anfangs ihrer dritten Runde hochleben und Spalier laufen. Mitmachen und laufen ist das Wichtige, egal, welche Zeit zum Schluss in der Urkunde steht.
Dann geht es los. Im hinteren Bereich laufe ich los. Ohne große Erwartungen, einfach glücklich darüber, dass ich wieder dabei bin. Auch wenn ich nach einer Runde aufgeben muss – es hat sich bereits jetzt gelohnt herzufahren. Trotzdem habe ich mir eine Taktik zurechtgelegt. Es wird keinen Plaudermarathon geben. Ich werde meinen Gedanken nachhangen und auf meine Bewegungen achten. Ich muss erst wieder spüren, wie es sich anfühlt zu laufen.