Das Fazit nach der ersten Runde ist erfreulich. Es sind keinerlei Beschwerden aufgetreten, dazu kommt, dass diese Runde sehr abwechslungsreich ist. Ja, obwohl die Gänge sich ziemlich ähnlich sehen, sind doch verschiedene Besonderheiten zu beobachten. Beim Zieldurchlauf habe ich das Gefühl, dass es auf dieser Runde mehr Gefälle als Steigung gibt. Das ist zwar nicht möglich, doch lieber so als umgekehrt.
Bei jedem Durchlauf sind auf einer Wohnzimmerleinwand – oder wenn man Zeit hat sich umzudrehen, auch auf die Großleinwand projiziert – die Durchgangszeit, die Gesamtzeit, der aktuelle Gesamtrang und die noch zu laufenden Runden zu sehen.
Bevor ich die zweite Runde in Angriff nehme, stoppe ich am Verpflegungstisch, nehme zwei Stückchen von den köstlichen Fruchtmarkschnitten und danach zwei Becher Wasser. Genug trinken heißt die Devise. Die Temperatur ist angenehm, so um die 22°C, und auf weiten Teilen der Strecke habe ich vorhin einen angenehmen Luftzug verspürt, doch ich darf mich nicht täuschen lassen, die Luft ist trocken.
Gleich zu Beginn der Runde kommen Anstiege, die ich noch locker laufen kann. Über die zurückgelegte Distanz bis zu der Kreuzung zweier Stollen, wo es einen Begegnungspunkt – Begegnungsstrecke wäre eine Übertreibung – gibt, fehlt mir das genaue Gefühl. Wenig ist jedenfalls sicher nicht. Dass ich auf der ersten Runde von der Gegenseite aus aber bereits Läufer auf ihrer zweiten zu Gesicht bekommen habe, finde ich wahnsinnig.
Die zweite Passage mit drei kürzeren, dafür teilweise ruppigen Anstiegen, folgt kurz vor der vermuteten Streckenhälfte. Vermutet deshalb, weil es da einen weiteren Verpflegungsposten gibt. Dass ich mir nicht einfach einen zweiten Becher schnappe, sondern mir den ersten auffüllen lasse, sorgt für Verwunderung. Da drückt halt der (Ultra-)Trailläufer durch und die Gepflogenheiten auf den Ecotrails…
Kurz nach diesem Verpflegungsposten geht es auf eine lange Gerade, welche mir auf jeder Runde länger und stärker ansteigend vorkommt, wobei ich nicht ausschließen kann, dass sie sogar eben ist. Am Ende dieser Gerade stehen noch alte Schienenfahrzeuge, Erinnerungen an Zeiten, in welchen Besucher in den Stollen verkehrten, sondern das Gestein für die ehemals größte Kalifabrik der Welt gewonnen wurde.
Der erste der drei Schächte, Kaiseroda I wurde ab 1895 abgeteuft. 50 Jahre später waren sie Schauplatz großen Kinos. Kurz vor Mittag des 4. April 1945 fiel Merkers in die Hände des 3. Bataillons des 358. Infanterie Regiments der 90. Division von General Pattons 3. Armee. Befreite Zwangsarbeiter berichteten von Gerüchten, dass kürzlich Gold der Reichsbank aus Berlin in die Mine gebracht worden war. Zwei Tage später stoppten zwei mit der Bewachung der Straße zwischen Merkers und Kieselbach beauftragte Militärpolizisten die eingangs erwähnte schwangere Französin, welche mit ihrer Begleitung unterwegs zur Hebamme war. Sie berichtete bei der Befragung, dass wenige Wochen zuvor die Deutsche Goldreserve und wertvolle Kunstgegenstände in der Mine eingelagert und dazu Ortsansässige und Verschleppte und Vertriebene zur Arbeit herangezogen worden waren.
Am Morgen des 7. Aprils fuhren die ersten Amerikanischen Militärs in die Mine ein, fanden zuerst einmal 550 Säcke mit je 1 Million Reichsmark entlang des Hauptverkehrsstollens und später den ominösen Raum 8, den Goldraum, den man auf den Besuchertouren besichtigen kann. Fast sämtliche deutschen Finanzreserven in Noten, Edelmetallen, Münzen und Fremdwährungen waren hierher gebracht worden und nur das schnelle Vorrücken der Amerikaner verhinderte, dass die bereits begonnene erneute Verschiebung nach Osten abgebrochen werden musste.
Während die Geld- und Goldschätze am Tag darauf genau erfasst wurden, wurde in anderen Stollen eine große Menge an Kunstwerken gefunden, welche nach dem Führerbefehl zum „Abtransport aller bedeutenden Kunstschätze aus der Hauptstadt“ vom 6. März eingelagert worden waren. Spät an diesem Tag traf Capt. Robert Posey im Bergwerk ein, ein MFAA-Offizier (Museum, Fine Arts and Archives), um die Schätze zu begutachten.
Es gibt keinen besseren Zeitpunkt als den 8. Kristallmarathon, darüber etwas ausführlicher zu berichten, denn Capt. Posey war einer jener „Monuments Men“, deren Geschichte an der Berlinale eben gezeigt worden ist und dann, wenn der Muskelkater nach dem Lauf am Abklingen ist, mit diesem Titel in den Kinos anläuft. Nachdem ich das Buch gelesen habe und am kommenden Mittwoch an der Vorpremiere des Films dabei sein werde, hat der Wegweiser zum Goldraum am Ende der langen Gerade eine viel lebendigere Bedeutung. Mit diesen vor Ort gemachten Eindrücken freue mich auf ganz großes Kino am Mittwoch, auch wenn ich nicht weiß, wie viel Raum der Bergung der Kunstschätze in Merkers im Film überhaupt gegeben wird.
Das andere Schild an dieser Stollenverzweigung macht auf 15% Gefälle aufmerksam. Zwar glänzt der Boden, doch ist er immerhin nicht rutschig, so kann man dem Vorschub nachgeben. Wenigstens ein paar Mal. Mit zunehmender Rundenzahl meldet die Oberschenkelmuskulatur, dass es jetzt reicht. Bis zum Ziel kann man es von hier aus mehr oder weniger rollen lassen. Einzig eine 180° Spitzkehre in einer Verzweigung unterbricht diesen Fluss.
Mit jeder Runde verteilen sich die Läufer mehr auf dieser Strecke und nach der Halbzeit geht es mir schon bald wie dem Sieger der Kurzdistanz, die Läuferdichte um mich herum ist gering. Beim Erreichen der zweistelligen Rundenzahl kommen dafür auf dem Schlussstück jedes Mal Gruppen von medaillenbehängen Halbmarathonis auf dem Weg zum Shuttletransport entgegen und spenden Beifall. Da ich mittlerweile die einzelnen Abschnitte kenne, kommen mir wider Erwarten die letzten Runden nicht einmal länger vor, obwohl sich mein Kilometerschnitt deutlich nach oben bewegt.
Wenn man mit der Absicht auf die Marathonstrecke geht, mindestens einen Dreizehntel davon laufen zu können, und in der Hoffnung möglichst alles zu schaffen, dann ist es schon ein besonderes Gefühl, dort immer noch im Rennen zu sein, wo sonst die 36er-Tafel steht. „Wenn du es bis hierher geschafft hast, dann geht der Rest sicher auch noch“, sage ich mir und schwebe. Nur innerlich, da die Beine schwer und die Muskeln hart sind. Egal, die ersten Anzeichen von Krampf im Oberschenkel auf der letzten Runde beeindrucken mich nicht. Es lief vorher so gut, dass ich es auch mit einem Spaziergang innerhalb der Zielzeit schaffen würde. Ob es auf allen Vieren auch reichen würde – so wie ich es vor Wochen unter dem Einfluss eines starken Schmerzmittels geträumt habe – wage ich zu bezweifeln und bete auch, dass dieser Traum immer nur Traum bleibt.
Der Zieleinlauf ist für mich wie ein Startschuss: Jetzt geht es wieder los, ich kann wieder Marathon laufen. Die überreichte Medaille in Form einer bergmännischen Fahrmarke ist für mich die Fahrkarte zurück ins Laufen. Das ist ganz großes Kino!
Wo großes Kino angesagt ist, sind die Oscars nicht weit. Da heißt es jeweils: „And the Oscar goes to...“ Einer geht sicher an den Trathlonverein Barchfeld als Ausrichter dieser besonderen, bestens organisierten Veranstaltung. Je einen Oscar haben auch meine beiden Physio-Engel Doris und Barbla verdient. Noch vor sieben Wochen lag ich mit meiner Diskushernie flach und musste die halbe Apotheke in mich hineinstopfen. Mit ihrem Wissen, ihrer Erfahrung, ihren Anleitungen und ihren Händen haben sie mir dieses Erlebnis untertage ermöglicht.
Ich bin so glücklich und zufrieden mit dem, was mir heute möglich war, dass ich sogar darauf verzichte, vor dem Ausfahren noch die berühmte, erst 1980 entdeckte Kristallgrotte von Merkers zu besichtigen. Diesen Schatz an der tiefsten Stelle (bergmännisch müsste das wohl teufeste Stelle heißen) mit seinen Steinsalzkristallen mit einer Kantenlänge von bis zu einem Meter besichtige ich gerne bei einem weiteren Besuch. Denn es gibt noch einen ganzen Haufen anderer Gründe wieder herzukommen. Idealerweise am Tag des Marathons, wenn für unsereins ganz großes Kino angesagt ist.
Weitere Bilder gibt es hier auf Marathon4you.de
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