In einem geheimnisvollen Raum lagerte - besser gesagt versteckte - die deutsche Reichsregierung im März 1945 die gesamten Reichsbankbestände - 3,6 Milliarden Banknoten sowie tonnenweise Gold und Silber ein. Aber nicht nur das, die Kisten enthielten wertvolle Skulpturen, darunter auch die berühmte Büste der Nofretete und Gemälde berühmter Meister wie Rembrandt und Dürer. Die Alliierten entdeckten kurz darauf die Schatzkammer unter der Erde. Der General und spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower persönlich besichtigte die Fundstätte. Übrigens stammt auch aus dieser Zeit das Gerücht, in Merkers sei das Versteck des legendären Bernsteinzimmers. Hatte da etwa doch der Höllenfürst höchstpersönlich seine Finger im Spiel?
Es ist hell als der LKW nach der holprigen Fahrt durch das Gewirr von Schächten nach einigen Minuten im einstigen sogenannten Großbunker zum Stehen kommt. Wir trauen unseren Augen nicht, denn vor uns liegt eine beeindruckende und von Menschenhand erschaffene Höhle, die im künstlichen Licht erstrahlt. Sind wir angekommen im Zentrum der dunklen Macht, in des Teufels Küche? Sind wir alle Sünderlein und warten am lodernden Flammenort nun auf das Fegefeuer? Wo bis 1989 annähernd 50.000 Tonnen Rohsalz eingelagert werden konnten, bietet der Großbunker heute Platz für hunderte Läufer und Besucher.
Laut tönt der Moderator den Start der 10-Kilometer-Läufer an und kein Laut von unten dringt nach oben. Eines kann ich vorweg nehmen: Der Top-Favorit und Vorjahressieger, Dominik Koch vom Ausrichterverein TV Barchfeld, kann auch in diesem Jahr den Lauf für sich entscheiden.
Noch eine Stunde bleibt uns bis zu unserem Start, Zeit zum Umschauen. Farbig illuminiert entdecken wir den größten und einzigen Schaufelradbagger unter Tage, von den Bergleuten wegen seines langen Auslegers liebevoll „Alf“ genannt. Plakate an den Wänden deuten von Auftritten bekannter Persönlichkeiten. Denn manchmal wird aus dem Bunker auch der größte unterirdische Konzertsaal. Auch die Läufer-Gesellschaft, die nun noch auf ihren Start wartet möchte „bespaßt“ werden. Doch Achtung: Wo zu viel Lust ist, ist auch Luzifer nicht weit!
Wenn er sich zeigt, dann nur in den unterschiedlichsten Verkleidungen – nicht selten mit menschlichen Zügen, aber Menschenfreundlichkeit darf man nicht von ihm erwarten. Wenn man vom Teufel spricht, ist er nicht weit, sagt ein betagtes Sprichwort. Jedoch hätte ich hier eher mit dem Teufel gerechnet als mit Wikingern. Die Läufer kommen nicht nur aus dem gesamten Bundesgebiet, sondern auch aus Österreich, Italien, Kasachstan und der Slowakei. Die freiwilligen „Untenbleibenwoller“ sind mittlerweile eine mächtige Fraktion.
Was beim Triathlon doch eher peinlich ist, nämlich vom Rad steigen und dann mit dem Helm auf dem Kopf weiterlaufen, ist hier ganz normal. 276 behelmte Sportler nehmen Startaufstellung. Jedoch in in die falsche Richtung. Und tatsächlich, an den Helmen kannst du Rennradfahrer von Mountainbiker, Bergsteiger von „ich leihe mir mal deinen Helm“ Läufern unterscheiden. Die einen haben ihr Licht am Helm befestigt, andere nehmen die Lampe lieber in die Hand. Ich habe meine am Hosenbund befestigt, übrigens keine gute Idee. Die Lampe ist jedoch Pflicht, denn bei Stromausfall liefe man in die pechschwarze Dunkelheit.
Das ganze Höllenreich erzittert als um 11:00 Uhr der Start freigegeben wird. In schier atemberaubendem Tempo, so als wäre der Teufel hinter ihnen her, bewegen wir uns auf dem brettharten und staubigen Boden. Das Ende des Feldes kontrolliert die Gruppe der Wikinger. Die Geschwindigkeit, der ersten Runden ist zu hoch, um alles genauer wahrzunehmen, und deshalb drehen wir eine zweite, eine dritte, eine vierte, fünfte und sechste Runde. Hetzen muss ich nie, während des kurzen Rundweges, so dachte ich, was soll schon Unvorhergesehenes dazwischenkommen? Schnee und Regen, Sturm und Wind sowie kalte Füße und kalte Hände gibt es auf diesem Lauf nicht, dafür ungewohnte Wärme und Höhenmeter nicht zu knapp.
Es ist als wäre man plötzlich aus dem Winterschlaf erwacht und liefe bei Dunkelheit in einer Salzwüste. Der Kopf kocht unter dem Helm und obwohl mein Rennrad-Helm mit nur 300 Gramm über ein überragendes Belüftungssystem und tiefen Windtunnel-Kanälen verfügt und, laut Hersteller einen „selbst bei härtesten Hitzerennen nicht im Stich lässt“, verfolgt mich das ständige Bedürfnis mir den Helm vom Kopf zu reisen. Der Puls pocht bis hoch hinauf in die Halsschlagader. Bei jedem Atemzug spüre ich den trockenen Staub im Schlund, die Zunge klebt am Gaumen. Kein Wunder bei trockenen 30 % Luftfeuchte. Körpersalz klebt am Stoff des Laufshirts und auf unserer Haut. Kay verliert so viel davon, dass er dem Bergwerk noch Salz beifügen kann.
Die siebte Runde, der richtige Zeitpunkt das Rennen als Halbmarathon freiwillig zu beenden, wenn man nicht gerade unfreiwillig (2:45 Stunden) aus dem Rennen genommen wird. Runde acht. Ich bin ganz nah dran. So nah, dass ich schon wieder den großen Bereich erkennen kann. Je nachdem wie schnell man läuft, kann man in weniger als 5 bis 10 Minuten an Getränke und Verpflegung kommen und wenn es drängt auch an einen Abortkübel, auch Bergmannsklo genannt. Ihr wisst schon, so ein Behälter mit verschließbarem Deckel, in dem die Bergleute Untertage ihre Notdurft verrichten. Nein, so schlimm ist es ganz und gar nicht. Es gibt sogar richtige Dixi-Toilettenhäuschen, die mit dem leckeren Vanilleduft. So kurz ist eine Runde. Genaugenommen nur 3,2 Kilometer. Obwohl Merkers über ein Streckensystem von unglaublichen 4.600 km (!) - entstanden in den Jahren von 1914 bis 1993 verfügt.