Waaas, so lange ist das schon her? In Erinnerungen zu blättern ist einfach schön. Statt eines aktuellen Laufberichtes (der Monschau Marathon ist 2020 wegen Corona natürlich ausgefallen) gibt es den Beitrag aus 2010.
Viele Laufberichte mit Bildern vom Monschau Marathon findet man
hier auf Marathon4you.de
Was haben der Baldeneysee, Bräunlingen, Hornisgrinde und Monschau gemeinsam? Wenn man so will, wurde dort der Marathon „erfunden“. Und nicht in New York oder Berlin, wie viele glauben. Am Anfang ging man nämlich zum Laufen in den Wald und nicht in die Fußgängerzone. Wenn man sich die Entwicklung so anschaut, wundert es einem schon, dass es diese Marathon-Urgesteine überhaupt noch gibt. Ein Blick auf die Teilnehmerzahlen verrät nämlich, dass die Zeiten ausnahmslos schon besser waren.
Zwar gibt es einen Trend hin zu diesen rustikalen Rennen, aber für die Masse sind die städtischen Spektakel offensichtlich interessanter. Der Rennsteig ist da die Ausnahme. Aber auch diverse Bergmarathons melden Teilnahmerekorde, Trailrunning wird immer populärer und extreme Ultraläufe schießen wie Pilze aus dem Boden. Auf solche Abenteuer muss man sich aber vorbereiten. Idealerweise tut man das in anspruchsvollem Gelände. Zum Beispiel in der Eifel, in Monschau.
Dieses Jahr findet der Monschau Marathon bereits zum 34. Mal statt. Es ist ein regionales Großereignis. In Konzen, dem Veranstaltungsort, herrscht Ausnahmezustand. Wiesen werden zu Parkflächen oder zum Zeltlager, Privatwohnungen zur Pension und Gasthöfe sind wenigstens einmal im Jahr ausgebucht. Der Ansturm wäre noch größer, gäbe es die traditionelle Rockfete zum Auftakt am Samstag und nicht schon am Freitag. Zwei Übernachtungen sind den Auswärtigen halt doch zu viel.
Der Sonntag steht ganz im Zeichen der Marathonis. Schon um 6.00 Uhr (bis 7.15) können Wanderer, Walker und gemütliche Läufer individuell starten. Um 8.00 Uhr starten das Hauptfeld und die Staffelläufer. Das ist gut, denn es hat hier schon so manche Hitzeschlacht gegeben.
Hat man in Konzen einmal einen Parkplatz gefunden, ist der Rest schnell erledigt. Startnummernausgabe, Gepäckdepot, Caféteria und Festzelt sind auf dem Dorfplatz. Gestartet wird ein paar hundert Meter weiter am Ortsrand.
In der Nacht hat es lange und kräftig geregnet. Mir war schon angst und bange. Ich fürchte mich nämlich vor Wasser mehr als vor der Sonne. „Keine Angst, die 42 Kilometer sind noch da“, sagt der Sprecher. Und: „Ob es trocken bleibt, weiß ich nicht. Das hängt vom Wetter ab.“ Der Mann ist gut.
700 Läuferinnen und Läufer mögen es sein, die geduldig im Nieselregen warten. In guten Zeiten waren auch schon mehr als doppelt so viele am Start. Aus einem Seitenweg kommen Andrè Collet, Helmut Peters und Markus Werker mit den Startnummern 1 – 3 vom Warmlaufen. André Collet hat schon viermal gewonnen. Wenn nicht mal ein Kenianer kommt, gewinnt er wohl auch die nächsten Jahre.
Es wird keiner kommen. Geld gibt es nicht zu gewinnen und auf einen Gutschein vom Fitnessstudio sind die nicht scharf. Lokalmatadore sind die Favoriten, auch so ein sympathisches Merkmal dieser Läufe auf dem Land. Gesichter, die man kennt und sich merkt.
Als der Startschuss fällt, rennt nur die erste Startreihe so richtig los. Die anderen starten verhalten, denn der Teerweg wird gleich noch schmaler und dann geht es einen rutschigen Trampelpfad steil nach unten. Wer nicht aufpasst, kann hier bereits sein Rennen beenden. Ist man aus dem Wald, geht es erst so richtig los. Die Straße ist breit und führt leicht abwärts nach Monschau.
Das Eifelstädtchen, das dem Marathon den Namen gibt, hat nur etwa 1700 Einwohner. Von allen Ortsteilen, die zusammen auf ungefähr 12.000 Einwohner kommen, ist es fast der kleinste. Aber Monschau ist ein Juwel. Als Läufer nimmt man nur einen Bruchteil der Sehenswürdigkeiten, zu denen alleine 200 denkmalgeschützte Häuser, meist mit uraltem Fachwerk, gehören, wahr. Am auffälligsten sind noch das Haus Troisdorff (1783), das Rote Haus der Tuchfabrikantenfamilie Schreiber von 1768 (heute Museum) und die ev. Stadtkirche (1787), weil man direkt vorbei oder darauf zuläuft und über uns die Burg Monschau aus dem 13. Jahrhundert.
Auf dem schwarzen, wegen der Nässe glänzenden Pflaster macht man automatisch langsam, man vermutet Rutschgefahr. Aber alle nehmen die engen Kurven durch die schmalen Gassen unfallfrei. Nur ein paar Zuschauer sind an diesem trüben Sonntagmorgen in der Stadt, die Straßencafés und Kneipen sind verwaist. Ein flüchtiger Blick von der Brücke auf die Häuserreihen an der Rur - Romantik pur. Schon liegt das Städtchen mit der reichen Vergangenheit hinter uns. Entlang der Rur geht es weiter, bis der bis dahin ganz gemütliche Lauf mit dem Anstieg nach der Kluckbachbrücke (km 7,5) ein jähes Ende hat.
Gut, dass es zuvor an der bereits zweiten Verpflegungsstelle reichlich Festes und Flüssiges zur Stärkung gibt. Nach dem schmalen Steig laufen wir auf einem breiten, steinigen Weg mit moderater Steigung weiter, vorbei an der Köhlerklause, einer schönen Rasthütte für Wanderer und Ausflügler. Zwar hat inzwischen das Nieseln aufgehört, aber von den Bäumen regnet es noch fleißig nach. Wenn es so bleibt, kann sich keiner beschweren. Die nicht, die wie ich schon bei strömendem Regen hier gelaufen sind und auch diejenigen nicht, die sich an Hitzeläufe erinnern.
Die soeben gewonnen Höhenmeter gehen in zwei weitläufigen Serpentinen wieder flöten. In Widdau (km 10) wechseln die Staffeln ihr Personal und die Marathonis tanken Energie auf. Kenner wissen, nach einer ziemlich flachen Passage kommt bei km 12 im Hölderbachtal der mächtigste Anstieg und das auf gut 2 km. Hier im hinteren Feld rennt den Berg keiner hoch. Keiner? Doch, eine Frau in Gelb bleibt in Laufschritt. Der aber bringt sie weniger schnell vorwärts als mich meine langen, flotten Schritte. Tut mir leid, aber im Nu bin ich vorbei. Am Scheitelpunkt dann die nächste Verpflegungsstelle mit Ultra- Sports-Buffer, Riegel, Tee und Wasser, Bananen und Äpfeln. Später gibt es dazu auch noch Cola. Auch über die Verpflegung wird keiner meckern.
Die Monschauer Strecke bietet wegen der schönen Tannenwälder, den Wald- und Weidewiesen, kleinen Orten und herrlichen Aussichtspunkten sehr viel Abwechslung. Und weil es ständig mal rauf, mal runter oder gemütlich flach dahin geht, werden die Muskeln nicht einseitig belastet, man ermüdet nicht so bald und erholt sich zwischendurch mal wieder.
Die vier Kilometer hinauf zum Brather Hof (km 20) kann man trotz ständiger Steigung ganz gut laufen. Kaum hat man die Höhe erreicht, empfängt einem ein kräftiger Wind. Die Windräder stehen also nicht zufällig hier. Die Straße (B 258) ist rechts und links ziemlich zugeparkt. Hier versorgen die Begleiter ihre Läufer. Das ist nett, aber nicht nötig. Kaum haben wir dank dem aufmerksamen Personal die Straße gefahrlos überquert, gibt es nämlich an der Verpflegungsstelle wieder das volle Programm. Und gleich darauf ist auch schon die Halbdistanz erreicht. Der beschwerlichere Teil der Strecke liegt hinter uns.
Die nächsten Kilometer im Fuhrtsbachtal kann man richtig genießen, sie sind landschaftlich wunderschön und einfach zu laufen, da ohne wesentliche Anstiege. Daverkaul heißt die große Wiesenfläche. Kaul kann ich noch einigermaßen übersetzen. Es kommt wohl von Kuhle oder Mulde. Aber was Jagersief (so heißt die nächste große Waldwiese) bedeutet? Keine Ahnung. Also weiter.
Laub- und Nadelwälder wechseln sich mit Viehweiden ab, die meist mit Stacheldraht, Hecken und Büschen eingezäunt sind. Die nächste nennenswerte aber nur kurze Steigung wartet erst bei km 26,5 hinauf zum Gut Heistert. Jetzt ist die Wegstrecke sogar geteert, was den Lauf noch etwas leichter macht.
Die Ortstafel von Kalterherberg (km 29) ist fast zugewachsen und leicht zu übersehen. Als ich das erste Mal hier durchkam, fragte ich deshalb, wie der Ort denn heißt. „Kalterherberg“, sagte die Dame. Aber in einem Ton, als hätte ich auf dem Ku’damm gefragt, in welcher Stadt ich bin. Später habe ich die Unverständnis dann kapiert.
Es gibt ja kleine und große Orte. Kalterherberg ist ein langer Ort. 2400 Menschen leben in meist alten, wunderschönen Fachwerkhäusern, die sich wie Perlen an einer Schnur rechts und links der Straße aneinander reihen. Ich glaube, Seiten- und Nebenstraßen gibt es nicht. Und diese Menschen sind der Hammer. Mit Getränken, Wasserkübeln, Gebäck, Schokolade, Gummibärchen und was weiß ich stehen sie an der Straße, feuern die Läufer an und freuen sich wie Bolle, wenn man zugreift. Am liebsten zweimal. Das geht so, bis man den Ort nach sage und schreibe 2 km (der Ort ist damit aber nicht zu Ende) links in die Hecken verlässt.
Was ich jetzt mitkriege, ist ja nur der Rest. Wenn das Hauptfeld den Ort passiert, ist hier eine Stimmung, wie bei einem Citymarathon beim Zieleinlauf zur Primetime. Die Dorfkirche St. Lambertus übersieht man da fast, obwohl sie so groß und mächtig ist, dass man sie Eifeldom nennt. Wie könnte ich Kalterherberg je vergessen?
Schon sind wir wieder mitten drin in der schönsten Eifellandschaft. Dunkle Wälder, Wiesen, blühende Hänge und dazu die unkontrolliert dahinplätschernde Rur. Wir sind im Grenzgebiet zu Belgien, wo diese Gegend Hohes Venn heißt. Links die alte Steinbrücke gehört zur ehemaligen Vennbahn, genau wie das große Viadukt, das wir wenig später nach Gut Reichenstein erreichen. Die Vennbahn verband einmal die Industriezentren von Aachen und Luxemburg. Venn ist übrigens abgeleitet von Veen (niederl.) und bedeutet Moor. Und damit sind im Hohen Venn große Flächen bedeckt.
Wir sind auf einer schmalen Teerstraße im Leyloch, so heißt auch der kleine Gasthof links. Der gleichnamige Ort, man sieht ihn nicht, gehört zu Belgien. Die Straße zieht sich lange hin und ist auch ziemlich steil.
Nach ungefähr 1,5 km haben wir den westlichen Zipfel von Mützenich erreicht. Offensichtlich auch so ein „langer“ Ort. Diesmal laufen wir aber nicht durch, sondern 3 km um den Ort herum. Höhepunkt ist dann der östliche Zipfel (km 39). Über die Straße ist ein Zelt gebaut, davor hängen an einer Leine die Shirts der örtlichen LG. Lustig geht es zu. Kaum kommt ein Läufer in Sichtweite, wird er mit allerlei Lärminstrumenten begrüßt. Süß lächelnd wird mir ein Löffelchen entgegengehalten. „Honig, ist gut für Dich.“ Ich weiß.
Es geht abwärts zur Rochusmühle und zum Troisdorfer Weiher (km 41). Dann kommt noch einmal ein beschwerliches Stück auf schmalem und rutschigem Pfad hinauf nach Konzen. Oben angekommen, sieht man schon den Kirchturm und man hört den Sprecher. Gleich ist es geschafft. Vorbei an der Kirche geht es zum Zieleinlauf. Viele Zuschauer sind jetzt nicht mehr hier. Die stehen für Gegrilltes, Pommes oder vor einem Zapfhahn Schlange. Die Marathonfete ist nämlich bereits voll im Gange.
Ich lasse mir die Medaille umhängen, mische mich unters Volk und fühle mich wie auf einer Kirmes. Dazu passt, was der Musikverein „Eintracht Konzen“ in vielen Abendstunden einstudiert hat und jetzt zum Besten gibt. Ich bin echt begeistert. Dass es wieder anfängt zu nieseln, stört keinen.
Die Siegerehrung hat Kultpotenial. Als Erster betritt der Sieger das Podest. Natürlich ist es André Collet. Knapp sei es diesmal gewesen und lange hätte es gar nicht nach einem Sieg ausgesehen. Umso mehr strahlt der sympathische Lockenkopf. Nicht weniger glücklich ist Antje Möller, die schnellste Marathonfrau. Als dann die Siegertrios auf dem Podest versammelt sind, erklingt als Siegerhymne „One moment in time“ live und in der Version des Musikvereins. Der Dorfplatz ist gerammelt voll und alles schaut zur Bühne. Wenn ich richtig sehe, muss der André zweimal schlucken. Applaus beim letzten Ton und Abgang. Olympia auf dem Dorf. Herrlich.
Auf Wiedersehen beim Monschau Marathon am 08.08.2021