Berlin, Hamburg, Frankfurt, sicher auch Köln und München, das sind die großen Marathonläufen in Deutschland. Bei eingefleischten Marathonläufern, „Wiederholungstätern“, sind sie aber nicht unbedingt die beliebtesten, wie beispielsweise die M4Y-Umfrage zum Marathon 2015 deutlich gemacht hat. Wenn ein Marathon in der „Eifelprovinz“ offenkundig so gut bei Marathonläufern ankommt, muss das einen Grund haben, und der 40. Monschau-Marathon – kaum ein „großer Marathon“ hat eine solch lange Tradition! – gibt ganz besonderen Anlass, seinem Erfolgsgeheimnis nachzuspüren.
Zumal der Monschau-Marathon nicht leicht fällt – weder den Teilnehmern, die je 750 Höhenmeter bergauf und bergab meistern müssen, noch den Veranstaltern. Die Strecke ist ein echter Rundkurs, nicht ein Meter wird doppelt gelaufen. Hinsichtlich Markierung, Streckenabsicherung und Versorgung der Teilnehmer bedeutet ein solcher Rundkurs erheblichen Aufwand für die Veranstalter. Wiederum für die Teilnehmer heißt das aber auch: Im Zusammenklang mit der abwechslungsreichen Eifellandschaft, dem reizvollen Städtchen Monschau im engen Rurtal und den Orten Konzen, Widdau, Kalterherberg und Mützenich ist der Marathonkurs gleichsam ein großes und tolles Natur- und Kulturlandschaftspanorama. Mehr Abwechslung geht kaum in einem deutschen Mittelgebirge. Das erste Geheimnis des Monschau-Marathons ist also seine großartige Streckenführung.
Das zweite Geheimnis ist die Teilnehmerzahl: Denn die ist genau richtig – nicht zu viele und nicht zu wenige Läufer und Läuferinnen. Zumal sich zu ihnen noch eine stattliche Zahl von Marathon-Walkern gesellt, die sich ein bis zwei Stunden vor dem Marathon-Start ebenfalls der Herausforderung der großen 42-Kilometer-Runde stellen – übrigens auch Marathonläufer, die ohne Chip-Zeitmessung und Eintrag in der Rangliste die Strecke in Ruhe absolvieren wollen.
Zusätzlich zum Marathon gibt es einen Ultralauf, mit dem sich 14 zusätzliche Kilometer vor dem eigentlichen Marathon absolvieren lassen; der Marathon-Start wird dabei wegen eines fast zweistündigen „Vorsprungs“ noch vor dem Start der Marathonläufer passiert, so dass diese dann im rechten Moment, bei der ersten Ermüdung, von hinten „schieben“. Der veranstaltende TV Konzen ist also den umgekehrten Weg gegangen: Statt die Nachfrage nach der „Königsdisziplin Marathon“ durch das Angebot eines Halbmarathons zu untergraben, sind in Monschau zusätzlich zu den 2016 genau 500 Finishern im Marathon 247 Ultraläufer relativ zeitgleich ins Ziel gekommen.
Aber auch „Unterdistanzläufer“ kommen auf ihre Kosten: Mit Staffeln können sich im Regelfall vier, aber auch zwei oder drei Läufer die 42 Kilometer teilen (Siegerehrung nur für Viererstaffeln, Zieleinlauflisten aber auch für Zweier- und Dreierstaffeln). Und besonders hoch ist dem Veranstalter sein Bemühen um junge Läufer anzurechnen: Sechs Jugendstaffeln des eigenen Vereins aus Konzen plus die Siegerstaffel aus dem Nachbarort Mützenich, insgesamt also 28 Jugendliche und Kinder, erleben so in der Startkategorie „Jugendstaffel“ die „Faszination Marathon“. Und die jungen Leute der Siegerstaffel hatten nicht nur vorher angekündigt, unter drei Stunden ins Ziel zu kommen, sondern sie schafften das auch mit 2:58 Stunden, liefen also nur gut zwei Minuten hinter dem Dritten des Marathons ins Ziel. Sportliche Herausforderung, aber auch weitere Angebote für Walker, Kinder und Mountain-Biker sowie ein kultureller Auftakt schon am Freitag sind weitere Erfolgsgeheimnisse des Monschauer „run and walk in nature“.
Noch ein weiteres Erfolgsgeheimnis gibt es: Dem Veranstalter gelingt es fast immer, für bestes Marathon-Wetter zu sorgen. Trotz des vermeintlich ungünstigen Mitte-August-Termins herrschten auch 2016 wieder optimale Bedingungen – am Marathonsonntag mit einem schönen Sonnenaufgang über Nebel für die Ultraläufer und die Marathoni auf ihrer Anfahrt, dazu anfangs eher kühle Temperaturen; später dämpften Schleierwolken die Sonneneinstrahlung, bis ab 12 Uhr die Sonne kräftig von einem dunkelblauen Himmel mit Schönwetterwolken strahlte. Und selbst als es wie 2011 einmal nicht mit dem Schönwetter klappte, weil es vor allem am Anfang so massiv regnete, dass kurzzeitig das Wasser bei Kilometer 4 fast knöchelhoch auf der Straße stand, entfaltete die Eifellandschaft im weiteren eher trockenen Rennverlauf ihren Reiz.
2011 ist auch mein persönliches Stichwort: Denn in jenem Jahr lief ich zum ersten Mal den Monschau-Marathon, für einen „halben Bonner“ wie mich fast noch ein „Heimrennen“. Insofern waren die Teilnahmen auch 2012 und 2013 folgerichtig, ehe ich mich wieder darauf besann, lieber andere Marathone kennenzulernen statt schon bekannte zu wiederholen. Schon klar war, dass der Monschau-Marathon mit seiner 40. Jubiläumsausgabe 2016 wieder in meinem Laufkalender stehen würde. Und das hat sich nicht nur wegen der wie stets hervorragenden Organisation gelohnt, sondern auch auf der Strecke: Denn sie war nun ein schöner Mix aus guter Kenntnis der Herausforderungen, aber auch einem Neuentdecken von Streckenabschnitten, an die ich mich kaum noch erinnern konnte. Zwar weiß jeder Monschauläufer, dass die zweite Hälfte hinsichtlich des Streckenprofils eher leichter ist als die erste, aber wie häufig es auf der ersten Hälfte bergauf und gleich wieder bergab geht, war mir doch weitgehend entfallen.
Wie üblich bei Landschaftsläufen geht es auch in Monschau vor dem Start ganz entspannt am Dorfplatz los: Sämtliche Infrastruktur ist dort reichlich vorhanden, und auch bei viel Andrang erhält man schnell seine Startnummer. Bunte Fahnen am Dorfplatz deuten an, dass es trotz der Dominanz deutscher Läufer auch etliche ausländische Starter gibt – besonders natürlich Belgier und Niederländer, für die Monschau ebenso vor der Haustür liegt wie für das Rheinland und die Eifel. Gemütlich wandert man dann zum Start: Wer eine besonders gute Zeit laufen will und die Strecke schon kennt – oder die sehr gute Beschreibung des Veranstalters gelesen hat –, weiß, dass der Lauf eher verhalten mit nur ganz leichtem Auf und Ab beginnt und dann ab dem dritten Kilometer für lange Zeit nur abwärts sowie nahezu eben im Rurtal verläuft. Wer hingegen sportliche Ambitionen hegt und eine gute Zeit anstrebt, sollte sich beim Start ziemlich nach vorne stellen und dann relativ flott loslaufen: Denn nach noch nicht einmal zwei Kilometern gibt es – einen Stau. Schmal und steil geht es über einen Hohlweg im dunklen Wald bergab, und gut zu laufen ist nur auf zwei steinigen Spuren.
Während Monschau-Kenner um diesen Engpass wissen, geraten andere Läufer bei ihrer laufcomputerfestgestellten Pace „von 11 Minuten“ schon in Sorge, wann sie wohl ins Ziel gelangen … doch keine Sorge: Der Engpass ist auch im Gehschritt schnell überwunden, und kurz darauf geht es auf breiter, aber autofreier Straße talwärts in die Stadt Monschau hinein. Kurios – und natürlich schlau –, dass der im Dorf Konzen startende und endende Marathon nicht Konzen- oder wie-auch-immer-Eifel-Marathon heißt, sondern seinen Namen nach der bekannten Stadt trägt, die den – jetzt muss ich passen: warum auch immer – weithin bekannten Namen Monschau trägt. Und das noch nicht einmal seit langem: Denn erst mit kaiserlichem Erlass vom 9. August 1918 wurde aus dem bis dahin gebräuchlichen Stadtnamen „Montjoie“ das heutige Monschau.
Der gleichnamige Marathon beschreibt nicht nur eine ideale Runde rings um die Stadt, sondern durchquert sie auch auf den nächsten anderthalb Kilometern. Und das lohnt sich, weil die Altstadt trotz des eher läuferfeindlichen Kopfsteinpflasters der erste großartige Höhepunkt ist. Denn die Stadt im engeren Sinne – fast alle zu Monschau gehörenden Dörfer außerhalb haben jeweils mehr Einwohner! – ist eine „richtige Stadt“ mit beeindruckendem Stadtbild. Vor allem Fachwerkhäuser, aber auch das prächtige „Rote Haus“ einer Textilfabrikantenfamilie und die Lage im engen Rurtal zaubern eine ganz eigene Atmosphäre, bei der spontan der Wunsch aufkommt, möglichst bald wiederzukommen und ohne Laufen das prächtige Stadtbild vor oder in einem der Cafés sitzend zu genießen. 330 denkmalgeschützte Gebäude gibt es in der Stadt Monschau, dazu die Burg, die Reste einer Befestigungsanlage mit prächtiger Aussicht und just zur Zeit des Marathons auch ein Kulturfestival auf der Burg: Ein Wiederkommen oder auch ein Urlaub aus Anlass des Marathons lohnen sich.
Viel zu schnell haben wir Monschau, wo es trotz der frühen Morgenstunde schon einige Zuschauer gibt, durchlaufen. Gut zwei Kilometer geht es nun längs der Rur talab. Diese „Rur“ schreibt sich übrigens (auch wenn es der Rechtschreibkorrektur nicht gefällt) seit gut hundert Jahren tatsächlich ohne „h“. Bereits in Monschau ist sie, noch nicht allzu weit entfernt von ihrer Quelle im belgischen Hohen Venn, ein stattlicher Fluss, der immerhin erst nach 165 Kilometern in die Maas – und nicht etwa in den Rhein! – mündet. Zwischendurch speist sie mit dem Rursee den volumenmäßig zweitgrößten Stausee Deutschlands. Dieser hat praktischerweise einen Umfang von 42 Kilometern, und es gibt dort einen ebenso rührigen Marathonveranstalter wie in Monschau, so dass es am 6. November 2016 zum 20. Mal den Rurseemarathon gibt – ein landschaftlich ähnlich schöner Landschaftsmarathon. Auch ein zusätzliches Ultra-Angebot mit 52 Kilometern gibt es dort ab diesem Jahr – Monschau ist offensichtlich ein gutes Vorbild.
Unverhofft endet die Talstrecke nach gut sieben Kilometern an einer schönen Holzbrücke über die Rur: Wir passieren noch einen Verpflegungspunkt, überqueren die nur über Stufen erreichbare Brücke – und stehen sozusagen vor dem ersten richtig steilen Berg. Aber keine Sorge: Er wie auch die folgenden Berge sind zunächst eher harmlose Hügelchen, mit denen wir noch nicht entscheidend Höhe gewinnen. Auf den nächsten vier Kilometern bleiben wir noch im „mittleren Rurtal“, auch wenn wir den Fluss nicht mehr sehen. Schön ist, dass wir uns hier zum ersten Mal für längere Zeit asphaltfrei fortbewegen, auch wenn es überrascht, dass kurz vor dem Örtchen Widdau selbst ein schmaler Weg schon wieder asphaltiert ist. Im kleinen Ort gibt es etliche Zuschauer, welche uns Läufer ordentlich anfeuern, und den ersten Staffelwechsel, weil hier das erste knappe Viertel des Marathons geschafft ist.
Das zweite Viertel des Marathons ist das schwerste, denn jetzt geht es, vor allem zwischen den Kilometern 12 und 14 im Hölderbachtal, steil bergauf, und fast alle Teilnehmer bis auf die Spitzenläufer gehen. Dann folgt ein längerer, eher gemächlicher Abstieg bis kurz hinter Kilometer 15, auf dem es sich noch einmal vor dem Anstieg zwischen Kilometer 17 und 21 erholen lässt: Dieser Aufstieg ist zwar nirgends steil und eigentlich fast durchweg laufbar, gleichwohl aber relativ lang. Der Wald tritt zurück und eine typische Eifel-Hochfläche tut sich auf. Überraschenderweise stören zumindest mich hier oben noch nicht einmal die Windräder, die heute mangels Windes meist still stehen: Trotz des Eingriffs in das Landschaftsbild verstärken sie eher den Eindruck, dass wir jetzt endgültig das Rurtal mit seinen Seitentälern verlassen und die Bergregion erreicht haben. Merkwürdig ist hier oben die Wegführung auf den freien Wiesenflächen, die von vereinzelten Buschreihen und Bäumen gegliedert wird. Mehrfach beschreibt der Weg 90-Grad-Kurven, mit denen sich immer neue Perspektiven ergeben. Der Weg besteht meist nur aus zwei Wegspuren im Gras, das sich oft leichter als die steinigen Wegspuren belaufen lässt. Schließlich ist die Höhe des Brather Hofes, über welche die Bundesstraße 258 führt, erreicht. Während wir noch einmal parallel zur Straße über einen asphaltierten Weg laufen, erkennen wir, dass hier oben einiges im Gang ist: Bei nicht ganz 21 Kilometer ist sozusagen „Halbzeit“, es gibt den nächsten Staffelwechsel, viele Zuschauer und parkende Autos sowie eine große Verpflegungsstation. Und an ihr finde ich – wieder ein großes Lob an den Veranstalter! – was bei den Verpflegungsstationen vieler Marathone fehlt: Salz, hier sogar richtige Salztabletten. Große Klasse, weil ofenkundig die Läuferbedürfnisse im Mittelpunkt stehen!