„Eifel-Wasser“. In diesem Krimi werden zwei Polizisten auf einem Parkplatz hingerichtet, ein türkischer Dönerbudenbesitzer vom Motorrad geschossen. „Eifel-Wasser“, ruft eine Dame und streckt mir dabei nicht den Krimi, sondern einen gut gefüllten Becher Wassers entgegen. Freundlich werde ich bei der Übergabe angelächelt. Ist dieses Lächeln echt? Gutgläubig aber auch gierig trinke ich einen Schluck. Was soll schon passieren, schließlich laufen die vielen Vorkoster vor mir auch immer noch. Was aber, wenn genau mein Plastikbecher…?
Staffelwechsel bei etwa Kilometer 10,5 KM beziehungsweise 24,4 KM Ultra-Kilometern im kleinen, aber temperamentvollen Dorf Widdau. „Andrea, Andrea!“ ruft es hinter mir. Ich drehe mich um und kann es kaum glauben. Aber es stimmt, es ist Andrea, die als Staffelläuferin unterwegs ist. „Ich bekomme Gänsehaut“, sagt sie. Seit sie aus dem Rhein-Main-Gebiet vor vielen Jahren mit ihrer Familie weggezogen ist, haben wir uns nicht mehr gesehen. Und jetzt kommt die gebürtige Nordamerikanerin und vierfache Mutter einfach so daher. Für ein paar kurze Sätze läuft sie neben mir, dann muss sie weiter, die nächste Staffelläuferin wartet schon. Es gibt doch immer wieder schöne Zufälle.
Den Uferwiesen folgend, steigt die Strecke erneut hinauf, binnen weniger Kilometer um mehr als hundert Höhenmeter, tapfer dem Wind entgegen. Zrrrrr, zrrrrrrr, zrrrrrrr. Das Geräusch durchschneidet die Luft. In gleichmäßiger Geschwindigkeit rotieren die Flügel der dreizehn Windräder. Als ich oben beim "Gut Heistert" angelangt bin, mache ich die erste wirkliche Pause an der Verpflegung. Gierig schlinge ich die geschnitten Orangenspalten in mich hinein, obendrauf noch zwei Salztabletten und etwas Zitronentee zum Runterspülen – köstlich. Am Hofgut geht es den Hang hinab bis an den "Unteren Steg".
„Andrea, Andrea“, ruft es schon wieder hinter mir. Dieses Mal erkenne ich die Stimme. Es ist Dirk. Wir sind etwa so bei Kilometer 30, beziehungsweise 45 Ultra-Marathon-Kilometern. Dirk ist als Pacemaker für die Marathonläufer mit einer Zielzeit von 4:14 unterwegs. „Ich liege gut in der Zeit und kann ein Stück mit dir laufen“. Er erzählt mir vom K78 in Davos und wie schlecht doch das Wetter war. Nach etwa ein-/zwei Kilometern ist er auch schon wieder weg.
Leicht abwärts rollt es fast von selbst in das Dorf Kalterherberg. Der Ort ist direkt an der deutsch-belgischen Grenze gelegen. Beeindruckend ist die doppeltürmige Kirche St. Lambertus, die im Volksmund auch als „Eifeldom“ bezeichnet wird. In der Menge jubelnder Zuschauer erhebt sich eine La-Ola-Welle, als ich an den Mädels vorbei laufe. Es ist Andrea mit ihrer Staffelmannschaft – jetzt habe ich Gänsehaut.
Es dauert nicht lange und ich durchquere das geschichtsträchtige Vennbahnviadukt, welches seit 1885 bis zum letzten Weltkrieg enorm wichtig für die Wirtschaft der Eifel war. Lässig zurückgelehnt verpflegen sich an einem Waldrastplatz drei Walker aus ihren Rucksäcken, gleichmütig verfolgen sie die rasende Läuferschar.
Ich stoße plötzlich auf eine weitere heiße Spur. Wer mich kennt, der weiß, dass ich auf eine Sache nicht verzichten kann: Ich bin eine Süchtige und brauche den Rausch regelmäßig – und nach so vielen Stunden auf den Beinen meldet sich meine Begierde wieder…
Ich erreiche Mützenich, einen nordwestlichen Stadtteil von Monschau. Von hier aus sind es nur noch knapp 3 Kilometer bis zum Ziel. Die beschauliche Streusiedlung war nach dem zweiten Weltkrieg eine deutsche Exklave auf belgischem Staatsgebiet und lag im Zentrum der Schmuggellinien; genau hier verläuft von 1945 bis 1953 die Aachener Kaffeefront. Geschätzte 1000 Tonnen Röstgenuss werden in dieser Zeit über die nahen belgischen und niederländischen Grenzen geschmuggelt. Seit 2012 erinnert das Schmuggler-Denkmal am Grenzübergang an diese sündige Zeit.
Höhepunkt der aromatischen Ungesetzlichkeit ist das Jahr 1948: Mit der Einführung der D-Mark und der Anhebung des deutschen Steuersatzes (auf stolze zehn Mark pro Kilogramm) konnte nun Kaffee in Belgien für acht Mark eingekauft und in Deutschland für das Doppelte verkauft werden. Damit war der Kaffeeschmuggel lukrativer als der von Zigaretten und verhilft der strukturschwache Region zu einem wahren Wirtschaftswunder. Jede zweite Tasse des köstlichen Bohnen-Kaffees, die in den ersten Nachkriegsjahren im Rheinland getrunken wird, ist auf illegalem Weg zu ihren Genießer gelangt. Die ansässige Staatsanwaltschaft ermittelte damals gegen über 100 Bewohner, die gesamte männliche Jugend Mützenichs ist involviert; wegen Spielermangels steigt der örtliche Fußballverein sogar ab.
Ich verzehre mich nach dem Röstaroma und während ich auf den letzten Kilometern dem Ziel entgegenlaufe, kann ich den Duft der frisch gemahlenen und aufgebrühten Bohnen schon wahrnehmen. Ich freue mich, gleich nach 56 Kilometern meine Begierde stillen zu können. Zuvor werde ich honigsüß be- und umworben, denn ein cremig klebriger Honiglöffel wird mir entgegengestreckt. Bekanntlich beruhigt Honig. Wenn ich jedoch auf einen laufenden, beziehungsweise rennenden, also nicht gehenden Walker treffe, hilft auch der Honig nicht mehr. Ich glaube gar, die extrem motivierten Walker machen sich regelrecht einen Spaß daraus, den ermüdeten Ultraläufern zackig zu entwischen. Es gibt aber auch andere. Die sind tatsächlich mit schwerem Gepäck und dickem Wanderstiefel auf den zweiundvierzig Kilometern unterwegs – Respekt!
„Im schnellen Wind“ ist nicht der Titel eines weiteren Kriminalromans, sondern ein Straßenname. Bereits seit dem 17. Jahrhundert schützen die Eifelaner ihre Häuser vor den heftigen, vom Atlantik her kommenden Winden der Nordeifel, mithilfe von Rotbuchen- oder Weißdornhecken. Die Hecken ersetzen Zäune und Mauern vor den Häusern. Sie wachsen langsam, brauchen fünfzehn Jahre für fünf Meter. So manche Hecke ragt schon mal sechs bis acht Meter in die Wolken und hat bereits zwei Jahrhunderte alte Wurzeln. Die meisten sind gerade frisch geschnitten, die Torbögen und Fenster der Haushecken sind preisgekrönt und zieren manch Tourismusbroschüre oder Reiseführer.
Zugegeben: Jetzt auf den letzten Kilometer hätte ich den gerade einsetzenden typischen Krimi-Nieselregen auch nicht mehr gebraucht. Er lässt mich den letzten Anstieg immerhin ungewollt schneller laufen. Wieder erkenne ich die Kirchturmspitze von Konzen, noch immer lassen sich die Toten nicht in ihrer Ruhe stören, noch immer läutet keine Glocke. Aber ich höre den Moderator, höre diesmal meinen Namen von vorne, ich bin im Ziel!
Christine scheint dem Werwolf entwischt zu sein, sie kam mit der tollen Zeit von 6:07 h ins Ziel. Mich überrascht man mit dem ersten Platz in meiner Altersklasse. „Das wird uns kein Schwein glauben…". „Du brauchst bloß in die Eifel kommen, da ist was los!". Aus dem Krimi Eifel-Blues von Jacques Berndorf.
Steckbrief:
Der Ultramarathon 56 Km / 850 HM / Hügelige Streckenführung, fast durchgängig durch Feld und Wald
Achteinhalb Stunden/ 1.000 HM/ 60% Waldwege
Wettbewerbe:
Neben dem Ultra-Marathon werden auch ein Marathon, ein Marathon Walk, ein Staffelmarathon, ein Mini-Marathon, ein Eifel-Panorama-Walk sowie eine Montainbike-Tour angeboten.
Funktions-Shirt, Urkunde und Medaille, für die Damen eine langstielige rote Rose.
Verpflegung: Ultra Buffer, Tee, Wasser, Cola, Brot, Müsliriegel, Salztabletten und jede Menge Obst.
Zeitmessung:
Champion-Chip
Ultra-Marathon –Damen
1. Dupont, Mieke Blankenberge 4:36:45 Stunden
2. Braun, Marion Germania Eicherscheid 4:53:25 Stunden
3. Fätsch, Sandra LSG Zeiskam Team 5:07:03 Stunden
Ultra-Marathon - Männer
1. Mey. Markus Peters Sportteam 3:54:35 Stunden
2. Dunst, Florian LT Altburg 3:56:09 Stunden
3. Breuer, Markus Germania Dürwiß 4:08:04 Stunden
Platzierungen bei den Damen Marathon:
1. Smitiukh, Svitlana Turnerbund Wiesbaden 3:15:10 Stunden
2. Offermann, Eva TV Konzen 3:15:40 Stunden
3. Walter, Iris TV Meisenheim 3:32:05 Stunden
Die Platzierungen bei den Männern Marathon:
1. Collet, André Aachener TG 2:39:09 Stunden
2. Werker, Markus Peters Sportteam 2:41:31 Stunden
3. Niessen, Christian Peters Sportteam 2:47:04 Stunden