Letztes Wochenende war ich im herrlichen Allgäuer Bergland zu einem schweren Marathon - heute zieht es mich in den Norden ins flache Land. Ich freue mich auf einen weiteren Landschafts-Marathon. Dazu fahre ich 250km an das Große Moor zwischen Vechta und Barnstorf.
Mein heutiger Bericht wird etwas anders, denn es gibt keine Dörfer mit besonderen Sehenswürdigkeiten, es gibt nur Natur pur mit viel Moor. Bevor es ins Moor geht, will ich noch erklären: Was ist eigentlich ein Moor und wie ist es entstanden?
Das Moor ist eine ökologische Übergangszone zwischen festem Land und Wasser. In diesen nassen Lebensräumen herrscht ständig Wasserüberschuss aus Niederschlägen oder Mineralbodenwasser. Pflanzenreste werden unvollständig abgebaut und lagern sich als Moor ab, das sich im Laufe der Jahre als unterschiedliche Torfschichten aufbaut. Die Entstehung der Moore beginnt vor ca. 10-14tausend Jahren nach der letzten Eiszeit, als sich das Klima allmählich wieder erwärmte. In vielen Senken und Tälern stand das Wasser und die Vegetation veränderte sich. Es wuchsen mehr und mehr feuchtigkeitsliebende Pflanzen, die nach ihrem Absterben zu Boden sanken und dort ein organisches Sediment bildeten. In diesen Gebieten entwickelte sich ein ganz eigenes Reich für bestimmte Pflanzen und Tiere.
Nach knapp 3 Stunden Fahrt komme ich am Naturschutz- und Informationszentrum (NIZ) Goldenstedter Moor e.V. in Arkeburg an. Beim „Das Haus im Moor“ befindet sich das Veranstaltungszentrum für den heutigen Tag. Das aus Holz erbaute Gebäude mit seinem begrünten Dach ist auch der Mittelpunkt für die Besucher des Moores und des Naturschutz- und Informationszentrums. Das Goldenstedter Moor ist ein Hochmoorgebiet und gehört zu den wertvollsten Moorgebieten Deutschlands.
Der Veranstalter nennt seinen Moormarathon „eine sympathische Alternative zu den zahlreichen Stadtläufen“. Neben dem Marathon gibt es auch Halbmarathon, 7,5km und 13km Moorlauf, 7,5km und 13km Walking sowie verschiedene Bambini- und Kinderläufe. Das Marathonstartgeld beträgt 22€, für Nachmelder plus 3€. Die Anmeldung ist ruck-zuck erledigt und ich kann mich in Ruhe am Auto umziehen und noch ein wenig hier umsehen. Wir haben so eine Stunde vor dem Start 13 Grad und die Wettervorhersage gibt uns Höchsttemperaturen bis 18 Grad für heute an. Im Haus im Moor gibt es auch ein Cafe, wo man nach dem Lauf typische Moorspezialitäten aus Buchweizen wie z.B. den traditionellen Pfannkuchen genießen kann.
Der Veranstalter hat alles gut ausgeschildert und so findet jeder den Weg zur Umkleide, Taschenabgabe und später auch zu den Duschen. Neben dem Haus im Moor werden gerade die zwei Vierbeiner mit Herrchen bzw. Frauchen fotografiert von der örtlichen Presse, denn sie werden heute als Gespann auf der Marathonstrecke mitlaufen.
Der Platz füllt sich recht schnell, denn die ca. 250 Marathonis und Halbmarathonis starten gleich um 9 Uhr. Auch hier gibt es kein Gedränge, denn alle haben ihren Chip in der Startnummer, der die Nettozeit für die Gesamtstrecke misst. Vor dem Start noch schnell ein Foto mit der Moorhexe, die sich im Laufe der Runden verdreifacht hat.
Kurz vorm Startschuss will noch unbedingt ein großer Traktor mitten durch die Läuferschar. Nachdem er die Hälfte der Läufer verscheucht hatte, kam der Starschuss und es ging los. Je nach Ambitionen schnell oder auch genüsslich langsam setzt sich das Feld in Bewegung. Es geht ein Stück geradeaus Richtung Dreiecksmoor auf der Arkeburger Straße. In einer 3km Schleife laufen wir zum Lutter Moor und kommen dann wieder am Haus im Moor vorbei. Nun geht es in die andere Richtung. Hinter km 3 kommen wir an einem der vielen Torfwerke vorbei.
Nach einem weiteren Kilometer haben wir vor uns eine endlos lang scheinende Gerade, die in echt jedoch nur 1km lang ist. Es gibt auf der heutigen Strecke mehrere solcher geraden Passagen. Wir sind in einer der ungewöhnlichsten Landschaften Norddeutschlands, wir sind mitten im Goldenstedter Moor, einer der größten zusammenhängenden Hochmoorlandschaften Deutschlands. Hier sind außer dem Zwitschern der Vögel keine Geräusche zu hören. Flache Weiden und kleine Wäldchen wechseln sich ab, mal ist es grün, mal braun. Der Bodenbelag wechselt zwischen Sand, Gras, Schotter, Asphalt, Pflaster, Torf und Betonplatten. Es kommen immer wieder Tümpel und kleine Seen mit verkrüppelten Bäumen. Oft sind auch nur abgestorbene Stämme zu sehen.
Früher waren die Moore ein gefürchtetes Ödland. Der schmatzende und bei jedem Schritt schwankende Boden machte den dort lebenden Menschen Angst. Sie fürchteten sich falls sie im dichten Nebel den Weg verließen im Moor unterzugehen. Viele Geschichten erzählen von den Moorleichen. Die wohl bekannteste hier gefundene Moorleiche ist die von Johann Spieker (nicht zu verwechseln mit dem Läufer vom MC 100, der heute hier läuft). Jan oder Johann Spieker war ein umherziehender Händler, der die ländliche Bevölkerung mit allerlei Kleinwaren versorgte. Sein Weg zwischen Lutten und Drebber ging immer quer durchs Goldenstedter Moor. 1828 kam er im Moor zu Tode und wurde auch hier bestattet. Seine Überreste wurden 1978 als Moorleiche wieder ausgegraben.
Moorleichen sind fast vollständig erhalten. Während sich die mineralischen Anteile der Knochen auflösen, bleiben die Weichteile im sauren Milieu eines Hochmoores durch den Sauerstoffabschluss und die Wirkung der Huminsäure erhalten. Während die meisten Funde aus der Eisenzeit stammen, wurde vor noch nicht langer Zeit eine mehr als 2.500 Jahre alte Teenager-Moorleiche gefunden. Moorleichen stammen nicht von verunglückten Menschen, sie wurden im Moor bestattet. Horrorgeschichten von im Moor Versunkenen sind meist nicht wahr. Physikalisch ist das gar nicht möglich, denn ein eingetauchter menschlicher Körper, der in etwa die Dichte von Wasser hat, geht nicht unter sondern erhält Auftrieb. Also keine Angst vorm Moormarathon. Bisher ist noch niemand im Moor geblieben.